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BSG - Entscheidung vom 11.05.2017

B 5 RS 6/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 11.05.2017 - Aktenzeichen B 5 RS 6/17 B

DRsp Nr. 2017/13787

Rentenversicherung Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz Verletzung rechtlichen Gehörs Darlegungserfordernisse Pauschale Bezugnahme auf vorinstanzliches Vorbringen

1. Zwar liegt eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor, wenn das LSG seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist; insofern gilt jedoch die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist. 2. Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann. 3. Besondere Umstände liegen insbesondere vor, wenn das Gericht auf rechtliche Ausführungen zu tragenden Rechtssätzen oder auf tatsächliches Vorbringen zu entscheidungserheblichen Tatsachen nicht eingeht, obwohl der Beteiligtenvortrag nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war. 4. Die Darlegungserfordernisse des § 160a Abs. 2 S. 3 SGG können jedoch durch eine pauschale Bezugnahme auf vorinstanzliches Vorbringen nicht ersetzt werden. 5. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich die maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte aus den Akten zusammenzustellen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. November 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 160a Abs. 2 S. 3;

Gründe:

Mit Urteil vom 23.11.2016 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Zeiten vom 23.5.1977 bis 30.6.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG und Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG .

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht iS von § 103 SGG .

Hierzu trägt er vor, das LSG, das davon ausgegangen sei, die sog betriebliche Voraussetzung für eine fingierte Versorgungsanwartschaft iS von § 1 VO-AVItech iVm § 1 Abs 1 der 2. DB sei nicht erfüllt, habe diesbezüglich unzutreffend auf ein "Sanierungskonzept vom Oktober 1990" abgestellt. Wie die Situation am 30.6.1990 gewesen sei, auf die es nach der Rechtsprechung des BSG ankomme, habe es nicht aufgeklärt.

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 103 SGG nicht schlüssig dargetan.

Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht gerügt, muss die Beschwerdebegründung ua einen für das BSG ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist ( BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Der Kläger hat jedoch nicht aufgezeigt, einen (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrag im Berufungsverfahren gestellt zu haben. Soweit er hervorhebt, dass die Tatsachengerichte von Amts wegen zur Sachermittlung verpflichtet seien, ist dies zwar zutreffend. Aufgrund dessen muss ein Kläger im Berufungsverfahren zur Erreichung einer sachgerechten Entscheidung seines Rechtsstreits zunächst auch keine Beweisanträge stellen. Vertraut er aber auf eine Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen und unterlässt er deshalb Beweisanträge bzw hält diese nicht aufrecht, kann er später im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geltend machen, das LSG habe gesetzeswidrig gehandelt (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 127). Dies wäre mit den Vorgaben des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nicht zu vereinbaren.

Der Kläger rügt des Weiteren sinngemäß eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör iS von § 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG .

Hierzu trägt er vor, sein Schriftsatz vom 16.11.2017 (gemeint 2016), in dem er sich mit dem Begriff des Produktions(durchführungs)betriebes unter Berücksichtigung des ihn prägenden Hauptzwecks auseinandergesetzt habe, werde in der angefochtenen Entscheidung noch nicht einmal erwähnt. Vielmehr folge das Berufungsgericht dem Vorbringen der Beklagten uneingeschränkt, ohne auf das klägerische Vorbringen einzugehen.

Zwar liegt eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor, wenn das LSG seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33). Insofern gilt jedoch die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 16; BVerfGE 96, 205 , 217). Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann (vgl BVerfGE 28, 378 , 384 f; 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Besondere Umstände liegen insbesondere vor, wenn das Gericht auf rechtliche Ausführungen zu tragenden Rechtssätzen oder auf tatsächliches Vorbringen zu entscheidungserheblichen Tatsachen nicht eingeht, obwohl der Beteiligtenvortrag nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfGE 47, 182 , 187; 86, 133, 146; BVerfG Kammerbeschluss vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 , 498 RdNr 12 und BVerfG NJW 1994, 2683 mwN). Der Kläger hätte daher im Einzelnen dartun müssen, dass sein Tatsachenvortrag aus dem Schriftsatz vom 16.11.2016 entscheidungserheblich und seine Rechtsausführungen tragend gewesen sind. Der Kläger hat indes weder die im vorgenannten Schriftsatz aufgeführten Tatsachen noch Rechtsargumente benannt, sondern vielmehr auf den Schriftsatz vom 16.11.2016 Bezug genommen. Die Darlegungserfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG können jedoch durch eine pauschale Bezugnahme auf vorinstanzliches Vorbringen nicht ersetzt werden. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich die maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte aus den Akten zusammenzustellen.

2. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hat bereits keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG widersprochen habe. Er macht lediglich geltend, das Berufungsgericht weiche hinsichtlich des Stichtags 30.6.1990 von der Rechtsprechung des BSG und hinsichtlich der vertretenen Rechtsauffassung, dass der VEB Baumechanisierung H. - kein volkseigener Produktionsbetrieb gewesen sei, von " BSG B 5 RS 5/11 R" ab. Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).

Eine nähere Darlegung der geltend gemachten Divergenz wäre hier umso mehr erforderlich gewesen, als sich die Gründe des angefochtenen Urteils ausdrücklich auf Entscheidungen des BSG beziehen und ausführen, dass nach diesen Maßstäben der Beschäftigungsbetrieb des Klägers nicht zu den Produktionsbetrieben der Industrie oder des Bauwesens gehört habe.

Mit seinem übrigen Vorbringen macht der Kläger die Unrichtigkeit des Berufungsurteils in der Sache geltend. Hierauf kann indes nach § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 23.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 852/13
Vorinstanz: SG Neuruppin, vom 08.10.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 7 R 291/11