Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 13.06.2017

B 13 R 27/16 BH

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1-2
SGB VI § 43
SGB VI § 240 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 13.06.2017 - Aktenzeichen B 13 R 27/16 BH

DRsp Nr. 2017/10197

Rente wegen Erwerbsminderung Grundsatzrüge Divergenzrüge Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen

1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bislang ungeklärte und für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. 2. Die an die Prüfung der Erwerbsminderung i.S. des § 43 SGB VI bzw. der Berufsunfähigkeit i.S. des § 240 Abs. 1 SGB VI anzulegenden Maßstäbe sind höchstrichterlich geklärt. 3. Divergenz bedeutet das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind; sie kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. 4. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. 5. Nicht die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Mai 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 -2; SGB VI § 43 ; SGB VI § 240 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Im Streit stehen Rentenleistungen wegen Erwerbsminderung. Die in Kanada lebende, 1941 geborene Klägerin hat den Beruf der Einzelhandelskauffrau erlernt. Sie arbeitete nach einer Unterbrechung zwischen 1980 und 1996 bis 23.1.1999 als Verkäuferin. Wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung am linken Knie beantragte sie 2001 eine Rente bei der Beklagten. Diese fasste den Antrag als einen solchen auf eine vorgezogene Altersrente für Frauen bzw bei Schwerbehinderung auf und lehnte ihn durch Bescheide aus 2002 und 2003 ab. Seit dem 1.2.2006 bezieht die Klägerin eine Regelaltersrente. Aufgrund weiterer zu den Akten gelangter medizinischer Unterlagen befand die Beklagte unter Überprüfung der Bescheide aus den Jahren 2002 und 2003 über einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Durch Bescheid vom 6.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.4.2012 lehnte sie auch diesen ab.

Im Klageverfahren hat das SG diverse von der Klägerin vorgelegte medizinische Unterlagen übersetzen lassen und ein orthopädisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage eingeholt. Es hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 1.12.2014 mit der Begründung abgewiesen, die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung seien nicht gegeben. Das LSG hat die Berufung der Klägerin hiergegen durch Urteil vom 4.5.2016 zurückgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung. Sie sei nach Auswertung der medizinischen Unterlagen bis Januar 2006 noch in der Lage gewesen, mindestens sechs Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Hieran hinderten sie auch die sich ua aus der Knieersatzoperation und der Fraktur am linken Sprunggelenk ergebenden qualitativen Leistungseinschränkungen nicht. Zwar sei nach den Unterlagen des Arztes H. nicht auszuschließen, dass sie nicht mehr als Verkäuferin arbeiten könne. So beschreibe er eine schmerzbedingte Unfähigkeit der Klägerin zu stehen, zu sitzen oder eine Zeit lang zu laufen. Eine aufgehobene Gehfähigkeit habe er jedoch ausdrücklich nicht befunden. Aus dem Gutachten des Orthopäden Dr. S. vom 17.10.2002 ergebe sich zwar eine Arbeitsunfähigkeit durch die damals vorhandene akute Behandlungsbedürftigkeit des linken Knies. Hieraus folge jedoch nach dem Einsetzen der Knieendoprothese keine dauerhafte Erwerbsminderung. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen schlössen eine einfache, ggf überwiegend sitzende, ansonsten in wechselnder Körperhaltung verrichtete, Tätigkeit nicht aus. Auch eine dauerhafte Wegeunfähigkeit habe nicht festgestellt werden können. Ebenso wenig habe die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Ausgehend von der letzten Beschäftigung als Verkäuferin bei einem Juwelier sei sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Das LSG hat die Revision zum BSG nicht zugelassen.

Zur Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens begehrt die Klägerin mit Schreiben vom 22.8.2016 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Sie hat ihren Antrag nicht begründet.

II

Der Antrag der Klägerin auf PKH ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dahinstehen kann hier, ob die Klägerin nach ihren eigenen Angaben und den Ermittlungen des Senats die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH erfüllt. Denn unabhängig hiervon mangelt es bereits an der hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung.

Gegen das von der Klägerin angegriffene Urteil des LSG ist als Rechtsmittel allein die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statthaft (§ 160a SGG ). In einem solchen Verfahren geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG inhaltlich richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Dass einer dieser Zulassungsgründe hier mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, ist nach Prüfung des Streitstoffs und Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren nicht ersichtlich.

Es ist nicht zu erkennen, dass eine Zulassung der Revision gegen das Urteil des LSG auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bislang ungeklärte und für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Dass im Rechtsstreit der Klägerin solche Rechtsfragen von Bedeutung sein könnten, ist nicht ersichtlich.

Die an die Prüfung der Erwerbsminderung iS des § 43 SGB VI bzw der Berufsunfähigkeit iS des § 240 Abs 1 SGB VI anzulegenden Maßstäbe sind höchstrichterlich geklärt. Es wird insoweit auf die vom LSG zitierte Rechtsprechung verwiesen. Dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, im konkreten Fall darüber hinaus eine durch das BSG bisher ungeklärte Frage von grundsätzlicher Bedeutung zu formulieren, die im konkreten Fall auch klärungsfähig ist, vermag der Senat unter Berücksichtigung des Inhalts der Verwaltungs- und Gerichtsakten nicht festzustellen.

Dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Divergenz bedeutet das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind. Sie kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (vgl Senatsbeschlüsse vom 20.5.2014 - B 13 R 49/14 B - Juris RdNr 10; vom 28.2.2017 - B 13 R 37/16 BH - BeckRS 2017, 104349 RdNr 11).

Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Das LSG nimmt ausdrücklich auf die einschlägigen Entscheidungen des BSG Bezug. Selbst wenn das LSG die dort niedergelegten Maßstäbe unzutreffend angewandt haben sollte, folgt hieraus keine Divergenz, sondern allenfalls eine unrichtige Rechtsanwendung des Berufungsgerichts. Diese führt jedoch nicht zur Zulassung der Revision.

Schließlich vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen Verfahrensmangel in dem Sinne erfolgreich rügen könnte, dass deswegen die Revision zuzulassen wäre (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

Die Klägerin ist durch das LSG nicht in ihrem rechtlichen Gehör verletzt worden (Art 103 GG , § 62 SGG ). Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin eingereichten medizinischen Unterlagen in seine Wertung einbezogen. Sie hatte auch ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Dass das LSG den Schlussfolgerungen der Klägerin aus diesen Unterlagen nicht gefolgt ist, begründet keinen Gehörsverstoß. Denn das Gebot der Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht regelmäßig nur dazu, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Eine Verpflichtung der Würdigung der Beteiligten zu folgen ergibt sich hieraus nicht. Das rechtliche Gehör ist erst verletzt, wenn sich klar ergibt, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung gar nicht erwogen worden ist (vgl BVerfGE 65, 293 , 295 f = BVerfG SozR 1100 Art 103 Nr 5 S 3 f; BSG Beschluss vom 16.1.2007 - B 1 KR 133/06 B - Juris RdNr 4 mwN). Das ist vorliegend nicht der Fall.

Anhaltspunkte dafür, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Sachaufklärungsrüge (§ 103 SGG ) erfolgreich anbringen könnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren darauf Bezug nimmt, das SG habe sie entgegen seiner ursprünglichen Absicht nicht in Deutschland begutachten lassen, vermag dies keinen Verfahrensfehler zu begründen. Dies gilt selbst dann, wenn man annehmen wollte, die Klägerin habe - unter Heranziehung der reduzierten Anforderungen bei einem unvertretenen Kläger (Senatsbeschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - Juris RdNr 11) - damit einen bis zur Entscheidung des LSG aufrechterhaltenen Beweisantrag gestellt. Denn für den Vorhalt, das Gericht habe seine Verpflichtung zur Amtsermittlung gemäß § 103 SGG verletzt, bestehen nach § 160a Abs 2 S 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG spezifische Erfordernisse. Insoweit muss neben dem gestellten Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist, die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen (stRspr, vgl zB BSG vom 29.3.2007 - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11; BSG vom 19.11.2007 - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG vom 14.4.2009 - SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr 8). Das ist vorliegend jedoch auszuschließen. Im Zeitpunkt der beabsichtigten Untersuchung in Deutschland im Jahr 2014 kam es nicht mehr auf den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gesundheitszustand und das aktuelle Leistungsvermögen der Klägerin an. Denn sie bezog seit dem 1.2.2006 Regelaltersrente, sodass eine Rente wegen Erwerbsminderung nur für den damals mindestens bereits acht Jahre zurückliegenden Zeitraum beansprucht werden konnte. Ausgehend vom Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Jahr 2001 waren mithin Gesundheitszustand und Leistungsvermögen einer acht bis dreizehn Jahre zurückliegenden Zeitspanne zu bewerten. Insoweit hat der Sachverständige Dr. M. in seinem orthopädischen Gutachten nach Aktenlage die persönliche Untersuchung der Klägerin auch für nicht notwendig erachtet.

Soweit die Klägerin mit der Auswertung und Würdigung des im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens und der beigezogenen Unterlagen durch das Berufungsgericht nicht einverstanden ist, wendet sie sich gegen dessen Beweiswürdigung. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann aber ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Beschwerde mit dem Ergebnis der Zulassung der Revision von vornherein nicht auf die Verletzung von § 128 Abs 1 S 1 SGG stützen. Ebenso unerheblich ist, dass die Klägerin die Entscheidung des LSG für inhaltlich falsch hält. Denn die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit kann, wie eingangs bereits dargelegt, nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden.

Auch die Entscheidung des LSG durch Urteil des Berichterstatters mit den ehrenamtlichen Richtern ohne mündliche Verhandlung ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Sie folgt, wie im Berufungsurteil zutreffend ausgeführt, aus § 153 Abs 5 SGG iVm § 105 Abs 2 S 1 SGG und § 124 Abs 2 SGG .

Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts durch das Gericht (§ 121 Abs 1 ZPO ).

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 04.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 163/15
Vorinstanz: SG Berlin, vom 01.12.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 30 R 56/12