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BSG - Entscheidung vom 08.02.2017

B 13 R 327/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 08.02.2017 - Aktenzeichen B 13 R 327/16 B

DRsp Nr. 2017/10093

Rente wegen Erwerbsminderung Anspruch auf rechtliches Gehör Umfang der gerichtlichen Hinweispflicht Nichtberücksichtigung von Vortrag

1. Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge ist, dass der Kläger darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. 2. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht nur dann zu einer vorherigen Erörterung der für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbevollmächtigter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. 3. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf die in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen. 4. Insbesondere bietet der Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen formellen und materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. September 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

Im Streit steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund von Berufsunfähigkeit. Die Beklagte hat den entsprechenden Antrag der Klägerin abgelehnt (Bescheid vom 21.6.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2011) und das LSG Berlin-Brandenburg hat durch Beschluss vom 9.9.2016 die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG Potsdam vom 15.10.2014 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG hat die Klägerin Beschwerde zum BSG erhoben. Sie rügt Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), insbesondere eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs nach §§ 62 und 128 Abs 2 SGG durch das LSG. Ferner macht sie eine falsche Anwendung der §§ 43 , 44 und 240 Abs 2 SGB VI durch das Berufungsgericht geltend. Die Klägerin führt aus, dass sie Facharbeiterschutz als Berufskraftfahrerin genieße. Zu dieser Frage sei sie vom Berufungsgericht nicht angehört worden. Das LSG habe lediglich Auskünfte bei Anderen eingeholt. Das Gericht habe zudem das Abschlusszeugnis der IHK nicht berücksichtigt, obwohl es dem Berufungsgericht übersandt worden sei. Ebenso wenig habe das Gericht die Klägerin zu der Verweisungstätigkeit als Pförtnerin angehört. Wären diese Anhörungen erfolgt, hätte das LSG ihr Berufsschutz als Facharbeiterin zugestehen und eine Verweisung auf die Tätigkeit als Pförtnerin ablehnen müssen. Sie hätte dann ihren Anspruch auf die begehrte Rentenleistung durchsetzen können.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 20.11.2016 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge ist, dass der Kläger darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - Juris RdNr 24; BSG Beschluss vom 7.10.2016 - B 9 V 28/16 B - Juris RdNr 6). An Darlegungen hierzu mangelt es in der vorliegenden Beschwerdeschrift.

Zur Begründung ihres Vorbringens, das LSG habe sie nicht zum Facharbeiterschutz als Berufskraftfahrerin angehört, führt die Klägerin aus, das Abschlusszeugnis der IHK zu den Gerichtsakten gereicht zu haben. Sie bringt mithin selbst dar, sich rechtliches Gehör insoweit verschafft zu haben, als sie den aus ihrer Sicht vorhandenen Beleg für den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung zur Facharbeiterin beigebracht habe. Durch welche Maßnahmen das LSG ihr gleichwohl rechtliches Gehör insoweit versagt haben soll, legt sie nicht dar. Soweit sie aus dem Berufsabschluss folgert, dass dieser Facharbeiterschutz begründe und vorbringt, dass das LSG dies verkannt habe, rügt sie keine Gehörsverletzung, sondern eine unzutreffende Würdigung der von ihr ausdrücklich benannten Auskünfte Anderer, die das LSG eingeholt habe, und des Abschlusszeugnisses. Wie bereits dargelegt eröffnet eine derartige Rüge jedoch nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG nicht den Zugang zum Revisionsverfahren.

Soweit das Vorbringen der Klägerin in der Beschwerdebegründung so verstanden werden sollte, dass sie eine Verletzung rechtlichen Gehörs iS des § 62 SGG , Art 103 GG durch Erlass einer Überraschungsentscheidung geltend machen will, vermag ihr auch dies nicht zur Zulassung der Revision zu verhelfen.

Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht nur dann zu einer vorherigen Erörterung der für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbevollmächtigter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl zB BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 , 144 f; BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 45/09 B - Juris RdNr 7; BSG Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 44/08 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17). Dies ist nach der Beschwerdebegründung nicht anzunehmen. Dabei ist jeweils von der Rechtsauffassung des LSG auszugehen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Auf 2014, § 160 RdNr 23). Welche Schlussfolgerungen das Gericht aus den Tatsachen bzw Beweisergebnissen ziehen wird, muss das Gericht vorab nicht mitteilen (vgl BSG Beschluss vom 17.7.2007 - B 6 KA 14/07 B - Juris RdNr 7). Es gibt auch keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf die in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen (vgl BSG Beschluss vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3). Insbesondere bietet der Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen formellen und materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 , 216). Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, insbesondere dass das Berufungsgericht einen erforderlichen rechtlichen Hinweis unterlassen habe, sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

Soweit die Klägerin ausdrücklich die Verletzung von § 128 Abs 2 SGG rügt, mangelt es ebenfalls an einer hinreichenden Begründung hierfür. Nach § 128 Abs 2 SGG darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Klägerin legt nicht dar, dass sie sich zu den vom LSG eingeholten Auskünften "Anderer" nicht äußern konnte. Das benannte Ausbildungszeugnis hat sie - wie bereits erwähnt - nach ihrem eigenen Vorbringen selbst beim Gericht eingereicht.

Wegen der nach Auffassung der Klägerin falschen Anwendung der §§ 43 , 44 und 240 Abs 2 SGB VI durch das LSG ist die Revision ebenfalls nicht zuzulassen. Insoweit begründet die Klägerin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern rügt die unzutreffende rechtliche Würdigung durch das Berufungsgericht. Art 103 GG vermittelt jedoch keinen Anspruch, dass das Gericht der Rechtsansicht eines Beteiligten folgen müsste und schützt daher auch nicht vor einer aus dessen Sicht unrichtigen Rechtsanwendung (BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 09.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 11/15
Vorinstanz: SG Potsdam, - Vorinstanzaktenzeichen 10 R 642/11