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BSG - Entscheidung vom 04.05.2017

B 3 P 8/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 04.05.2017 - Aktenzeichen B 3 P 8/17 B

DRsp Nr. 2017/13559

Pflegeversicherung Verfahrensrüge Verletzung der Sachaufklärungspflicht Würdigung einander entgegenstehender Gutachten

1. Es ist Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachten- bzw. Beweisergebnissen auseinanderzusetzen. 2. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. 3. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 10. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe:

I

Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 10.1.2017 den Anspruch der Klägerin auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I (Pflegegeld) ab 25.9.2013 verneint. Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen der Pflegestufe I für den Zeitaufwand von wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten an Grundpflege nicht (§ 15 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB XI aF) unter Berücksichtigung des von den Sachverständigen (Bo., Be., Ri., Ra. und S.) im Wesentlichen übereinstimmend festgestellten Hilfebedarfs. Dieser sei von der auf Antrag der Klägerin gehörten Sachverständigen (B.) in ihrem Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme bestätigt worden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen LSG hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie rügt die Verletzung von Art 19 Abs 4 GG als einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers nicht ordnungsgemäß aufgezeigt worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die Klägerin ist der Ansicht, das LSG habe das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG ) verletzt, weil es den gutachterlich festgestellten Pflegeaufwand nicht überprüft habe. Eine andere Kontrollinstanz als die Sozialgerichte stehe der Klägerin zur Überprüfung der Pflegegutachten nicht zur Verfügung. Insbesondere das in ihrem Auftrag nach § 109 SGG erstellte Pflegegutachten der Sachverständigen B. vom 5.9.2016 sei im Hinblick auf den Zeitaufwand für die pflegerelevanten Verrichtungen nicht überprüft worden. Der Zeitaufwand sei von der Sachverständigen falsch wiedergegeben worden, es sei kein konkreter Bezug zwischen den einzelnen Leiden der Klägerin, den daraus resultierenden hilfsbedürftigen Verrichtungen und dem notwendigen Pflegeaufwand hergestellt worden. Das Gutachten enthalte keine Begründung zur Festlegung des Pflegeaufwands; dies komme einer Willkür gleich. Da das Gutachten nicht plausibel sei, habe es auch nicht als Beweis herangezogen werden dürfen. Anstelle dessen habe das LSG seinem Urteil den im Pflegetagebuch notierten Hilfebedarf von mindestens 50 Minuten täglich im Bereich der Grundpflege zugrunde legen müssen. Das Gericht habe versäumt, die von der Klägerin vorgetragenen Mängel zu hinterfragen.

Aus diesem Vortrag lässt sich kein Verfahrensmangel herleiten. Der Anspruch der Beteiligten auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 GG ) gewährleistet, dass die Gestaltung des Verfahrens in einem angemessenen Verhältnis zu dem auf Sachverhaltsaufklärung und Verwirklichung des materiellen Rechts gerichteten Verfahrensziels stehen muss (vgl nur BVerfGE 88, 118 , 124, 126 ff; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - Juris RdNr 8 mwN).

Die Klägerin berücksichtigt nicht ausreichend, dass weder die Verletzung von § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) noch von § 128 Abs 1 S 1 SGG (Beweiswürdigung des Gerichts) im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensfehler gerügt werden können (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ). Darauf lässt sich das Vorbringen der Klägerin im Kern reduzieren, auch wenn sie ihre Rügen in das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG ) kleidet.

Der Ausschluss der Rüge von § 109 SGG gilt sogar unabhängig davon, worauf der Verfahrensmangel im Einzelnen beruht (zur Verfassungsmäßigkeit dieses Ausschlusses vgl BVerfG SozR 1500 § 160 Nr 69; stRspr BSG vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 14 mwN).

Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich auch nicht sinngemäß die zulässige Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG bzw des Fragerechts an Sachverständige nach § 116 S 2 SGG . Es bleibt vielmehr völlig offen, auf welche Art und Weise das LSG die eingeholten Sachverständigengutachten einer weiteren Überprüfung hätte unterziehen sollen. Dass die Klägerin einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ) gestellt habe, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei, hat sie nicht behauptet.

Wenn die Klägerin der Meinung ist, dass anstelle des gutachterlich festgestellten Pflegeaufwands der im Pflegtagebuch festgehaltene Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege dem Berufungsurteil hätte zugrunde gelegt werden müssen, handelt es sich um Fragen der Beweiswürdigung, die keinen Verfahrensmangel begründen können (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 128 Abs 1 S 1 SGG ).

Im Übrigen ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachten- bzw Beweisergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 f und Nr 21 RdNr 8). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben ( BSG aaO Nr 21 RdNr 9).

Die Klägerin hat nach diesen Maßstäben nicht substantiiert dargelegt, dass sich das LSG nicht den eingeholten Gutachten, insbesondere nicht dem der Sachverständigen B. und ihrer ergänzenden Stellungnahme hätte anschließen dürfen. Dafür reicht es nicht aus zu behaupten, das Gutachten beruhe auf Willkür und entbehre einer Begründung, wenn die Klägerin die von der Sachverständigen zugrunde gelegten Hilfebedarfe im Einzelnen wiedergibt und das LSG dahin zitiert, dass die Sachverständige sich mit dem Vorbringen der Klägerin und ihres Ehemanns eingehend auseinandergesetzt habe (Beschwerdebegründung S 5, 6). Gleiches gilt für den Vorwurf der unplausiblen bzw fehlenden Verknüpfungen zwischen Erkrankungen und Pflegeaufwand.

Zudem ist nicht zu übersehen, dass die Klägerin die Ergebnisse von vier weiteren Pflegegutachten mitteilt, die die Pflegebedürftigkeit übereinstimmend ebenfalls verneinen. Nach dem Vortrag der Klägerin bleibt offen, welche Bedeutung diese Gutachten für die Entscheidungsfindung des LSG gehabt haben. Die Klägerin hat versäumt, die tragenden Gründe des Berufungsurteils in der Beschwerdebegründung wiederzugeben. Im Ergebnis fehlt es daher auch an hinreichender Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Verfahrensfehlers.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 10.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 P 37/15
Vorinstanz: SG Dresden, vom 21.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 16 P 14/14