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BSG - Entscheidung vom 13.09.2017

B 12 P 1/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 13.09.2017 - Aktenzeichen B 12 P 1/17 B

DRsp Nr. 2017/15935

Nichtzulassungsbeschwerde Grundsatzrüge Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage Genügen der Darlegungspflicht Berücksichtigung des Stands von Rechtsprechung und Lehre

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. 2. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Dezember 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Berücksichtigung ihres landesrechtrechtlichen Beihilfeanspruchs im Rahmen des Leistungsumfangs und der Beitragserhebung in der sozialen Pflegeversicherung (sPV). Die Klägerin ist ab 1.8.1988 als Rentnerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherungspflichtig. Nach dem Tod ihres Ehemanns erhält sie seit 1.4.1996 eine Witwenbeamtenpension. Auf ihren Antrag auf Pflegeleistungen vom 13.10.2011 bewilligte die beklagte Pflegekasse unter Anwendung von § 28 Abs 2 SGB XI Leistungen zur Hälfte. Den im Sommer 2015 gestellten Antrag der Klägerin auf "Vollmitgliedschaft" lehnte die Beklagte durch Bescheid ab. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil.

II

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen LSG vom 14.12.2016 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).

1. Die Klägerin beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 7.2.2017 ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), legt aber dessen Vorliegen nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 S 3 SGG entsprechenden Weise dar.

Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 RK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48).

Die Klägerin wirft auf Seite 3 der Beschwerdebegründung folgende Frage auf:

"Sind Einzugsstellen gesetzlich verpflichtet, von Witwen/Witwer mit eigener, zeitlich vorrangiger gesetzlicher Krankenversicherung und gesetzlicher Pflegeversicherung - die mit dem Tod des beihilfeberechtigten Ehepartners zeitlich nachrangig den unverzichtbaren Anspruches auf Beihilfe auferlegt bekommen - nur halbe Pflegebeiträge für die Pflegeversicherung einzuziehen und den Anspruch der Witwen/Witwer auf ganze Pflegesachleistungen zu halbieren?"

Diese Frage sei klärungsbedürftig. Ihre Antwort ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Das BSG habe bisher keine entsprechende Entscheidung zu diesen Personengruppen getroffen, auf die bis jetzt der Halbierungsanspruch Anwendung findet. Die einschlägige Kommentarliteratur sei im Wesentlichen einheitlich. Sie beziehe den Halbierungsanspruch ausschließlich auf Personen mit ursprünglichem Beihilfeberechtigungsanspruch, die im Nachgang hierzu die freiwillige gesetzliche Versicherung wählten, anstelle der privaten Versicherung. Soweit eine Kommentierung nachträglich erworbene Beihilfeansprüche behandle, treffe sie auf Witwen/Witwer nicht zu.

a) Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG ) mit höherrangigem Recht ( BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN) formuliert hat. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann ( BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN).

b) Jedenfalls legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit ihrer Frage nicht hinreichend dar.

Die Klägerin behauptet, eine Antwort auf ihre Frage ergebe sich nicht aus dem Gesetz. Sie begründet ihre Behauptung allerdings nicht. Demzufolge befasst sich die Klägerin auch nicht hinreichend mit der Rechtslage: Diese sieht in § 28 Abs 2 SGB XI hinsichtlich des Leistungsumfangs ausdrücklich vor, dass Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit und Pflege Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben, die jeweils zustehenden Leistungen zur Hälfte erhalten; dies gilt auch für den Wert von Sachleistungen. Hinsichtlich der Beitragserhebung bestimmt § 55 Abs 1 S 2 SGB XI , dass für Personen, bei denen § 28 Abs 2 SGB XI Anwendung findet, der Beitragssatz die Hälfte des Beitragssatzes nach Satz 1 beträgt.

Soweit die Klägerin ausführt, pflichtversicherte Witwen/Witwer seien - anders als freiwillig Versicherte - gesetzlich verpflichtet, mit ihrer Rente ganze Beiträge der gesetzlichen Pflegeversicherung (GPV) zu tragen, da sie keinen Arbeitgeber mehr hätten, legt die Klägerin einen Bezug zur oben genannten Regelung in § 55 Abs 1 S 2 SGB XI nicht dar.

Zudem legt die Klägerin nicht dar, inwieweit sich aus Rechtsprechung oder rechtswissenschaftlicher Literatur die behauptete Klärungsbedürftigkeit ergibt. Sie beschränkt sich auf den Vortrag, ihre konkreten Lebensumstände - nach Rentenbeginn und Tod des Ehepartners eintretende Beihilfeberechtigung als Witwe - seien dort bislang nicht behandelt worden. Inwieweit hierzu ua anlässlich des gesetzlich angeordneten Gleichlaufs von halbem Leistungsanspruch und halber Beitragserhebung überhaupt Anlass bestanden hätte, kann der Beschwerdebegründung nicht nachvollziehbar entnommen werden.

Soweit sich die Klägerin möglicherweise gegen den vom LSG festgestellten Erwerb des Beihilfeanspruchs wendet, legt sie nicht dar, inwieweit das Berufungsurteil hinsichtlich der darin herangezogenen landesrechtlichen Bestimmungen angesichts der Regelung in § 162 SGG überhaupt einer Klärung in einem späteren Revisionsverfahren zugänglich sein könnte.

Schließlich legt die Klägerin auch die von ihr andeutungsweise behauptete Ungleichbehandlung iS von Art 3 Abs 1 GG nicht nachvollziehbar dar. Sie behauptet ohne Begründung, es läge eine Ungleichbehandlung zwischen "den gesetzlich Versicherten" und "den freiwillig bzw privat Versicherten" in der GPV vor: die gesetzlich Versicherten seien einerseits beschwert durch den halben Rechtsverlust aus der GPV - für den sie schuldrechtlich in erster Linie haften müssten - anderseits privilegiert durch die zweifache Beitragshalbierung, nämlich in der GKV und GPV.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 14.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 2 P 32/16
Vorinstanz: SG München, vom 01.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 18 P 367/15