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BSG - Entscheidung vom 19.04.2017

B 12 R 2/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 19.04.2017 - Aktenzeichen B 12 R 2/17 B

DRsp Nr. 2017/13114

Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen Nichtzulassungsbeschwerde Verfahrensrüge Amtsermittlungspflicht Substantiierung eines entscheidungserheblichen Mangels

1. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug. 2. Nach § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 SGG kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist; Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG. 3. Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. 4. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 96 036,25 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe:

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Beigeladenen zu 1. bis 4. und eine weitere - bereits vor Klageerhebung verstorbene - Person sowie gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen auf diese Forderung.

Der Kläger war bis Ende 2010 als Rechtsanwalt zugelassen. In den Jahren 2002 bis 2004 ließ er Renovierungsarbeiten an in seinem Eigentum stehenden Wohnungen durchführen, wobei die Beigeladenen zu 1. bis 4. sowie die weitere Person eingesetzt wurden. Nach Ermittlungen des Hauptzollamts wurde der Kläger durch das Amtsgericht L. rechtskräftig wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in 34 tatmehrheitlichen Fällen, in 16 Fällen rechtlich zusammentreffend mit Betrug, verurteilt. Nach Anhörung des Klägers forderte die Beklagte von ihm Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 96 036,25 Euro wegen Beschäftigung der genannten Personen in der Zeit vom 1.10.2002 bis 31.3.2004 und wies seinen Widerspruch zurück, mit dem er geltend machte, nicht Arbeitgeber, sondern Auftraggeber gewesen zu sein und dass eine mögliche Forderung wegen fehlenden Vorsatzes verjährt sei (Bescheid vom 15.4.2011, Widerspruchsbescheid vom 14.9.2012).

Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Nach Aktenlage, insbesondere den Angaben des Klägers sowie der Beigeladenen vor dem Hauptzollamt und den Zeugenaussagen im Strafverfahren sei eindeutig belegt, dass es sich bei den Tätigkeiten der Beigeladenen zu 1. bis 4. sowie der weiteren Person um abhängige Beschäftigungen gehandelt habe und der Kläger als Arbeitgeber anzusehen sei. Ferner sei nicht zu beanstanden, dass für den Beigeladenen zu 4. bisher nicht verbeitragter Lohn festgestellt worden sei. Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision durch das BSG , nachdem das Bayerische LSG diese im Urteil vom 13.10.2016 nicht zugelassen hatte.

II

Die Beschwerde des Klägers ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

1. Der Kläger beruft sich in der von seinen Prozessbevollmächtigten gefertigten Beschwerdebegründung vom 10.3.2017 ausschließlich auf die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ), also einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Die Beschwerdebegründung genügt jedoch nicht den Anforderungen an dessen Darlegung.

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 , 82; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169 , 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG ). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Um die gerügte Gehörsverletzung anforderungsgerecht darzulegen, hätte der Kläger insbesondere aufzeigen müssen, weshalb das LSG sein auf den Seiten 3 und 4 der Beschwerdebegründung wiedergegebenes Vorbringen zu den Umständen der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. bis 4. sowie der weiteren Person nicht zur Kenntnis genommen haben könnte, obwohl das LSG das Vorbringen des Klägers sowohl im Verwaltungs- wie auch im Klage- und Berufungsverfahren im angegriffenen Urteil ausführlich darstellt. Allein aus dem Umstand, dass das LSG dem Vortrag des Klägers nicht gefolgt ist, begründet noch keinen Verstoß gegen dessen Gehörsanspruch. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird ( BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 13 R 305/11 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - BeckRS 2011, 73125 RdNr 9).

Soweit der Kläger eine Gehörsverletzung daraus herleiten will, dass das LSG diesem Vortrag nicht nachgegangen sei, rügt er tatsächlich eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) durch das LSG. Die Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht verfehlt der Kläger aber schon deshalb, weil er hierfür - wie soeben dargelegt - zumindest einen vor dem LSG gestellten Beweisantrag hätte benennen müssen, dem dieses nicht gefolgt ist. Dies hat der Kläger nicht getan. Zugleich können die Einschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG auch nicht durch die Berufung auf die vermeintliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör umgangen werden.

2. Die ergänzende, vom Kläger selbst gefertigte und unterschriebene Beschwerdebegründung vom 20.3.2017 kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil sie erst nach dem Ende der bereits bis zum 10.3.2017 verlängerten Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 160a Abs 2 S 1 und S 2 SGG ), nämlich am 22.3.2017 beim BSG eingegangen ist. Zudem gehört der Kläger nach Beendigung seiner Zulassung als Rechtsanwalt Ende 2010 nicht mehr zu dem in § 73 Abs 4 SGG abschließend benannten Kreis der vor dem BSG postulationsfähigen Personen. Ausnahmen hiervon sind nicht zulässig.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 13.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 14 R 712/15
Vorinstanz: SG Augsburg, vom 04.08.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 17 R 1087/12