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BSG - Entscheidung vom 14.12.2017

B 1 KR 36/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 142 Abs. 2
SGG § 136 Abs. 2
SGG § 139

BSG, Beschluss vom 14.12.2017 - Aktenzeichen B 1 KR 36/17 B

DRsp Nr. 2018/2513

Krankenversicherung Verfahrensrüge Unzureichender bzw. fehlender Tatbestand in einem Beschluss Darstellung des Tatbestands durch eine Bezugnahme

1. Die Notwendigkeit eines Tatbestands folgt für Beschlüsse ohne mündliche Verhandlung unmittelbar daraus, dass Beschlüsse zu begründen sind, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über ein Rechtsmittel entscheiden. 2. Urteilsersetzende Beschlüsse, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, müssen danach derart begründet sein, dass sie wie ein Urteil selbstständige Grundlage der revisionsgerichtlichen Überprüfung sein können. 3. Gemäß § 136 Abs. 2 SGG kann die Darstellung des Tatbestands durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zur Sitzungsniederschrift erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. 4. Fehler, die dem Gericht bei der Zusammenstellung der wesentlichen Gründe des Urteils unterlaufen sind und nicht nach § 139 SGG berichtigt werden können, sind nur dann Verfahrensmängel i.S. von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG , wenn sie schwerwiegend sind (insbesondere: völliges Fehlen des Tatbestands oder der wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Urteils, Widersprüchlichkeit und Unklarheit).

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Mai 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 142 Abs. 2 ; SGG § 136 Abs. 2 ; SGG § 139 ;

Gründe:

I

Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Kostenerstattung von 7500 Euro für eine Brustrekonstruktion mit Silikonimplantaten bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung - unter teilweiser Bezugnahme auf das SG -Urteil - ausgeführt, die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V seien nicht erfüllt. Die Beklagte habe die beantragte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt, da für die durchgeführte Operation mangels Entstellung der Klägerin keine medizinische Indikation bestanden habe. Auch ein psychischer Leidensdruck begründe keine Indikation für die Operation. Die Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung sei - anders als die hiervon abweichende Bewertung von Dr. - überzeugend (Beschluss vom 23.5.2017).

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers.

1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensfehler kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24 , 36). Daran fehlt es. Die Klägerin erfüllt mit ihrem Vortrag nicht diese Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers.

a) Die Klägerin rügt, das LSG hätte präoperativ erstellte Lichtbilder von ihrer Brust, jedenfalls aber - nach Einholung des Gutachtens von Dr. J - eine "Nachbegutachtung" durchführen und ein weiteres Sachverständigengutachten von Amts wegen einholen müssen. Diese Rügen erfüllen nicht die dargelegten gesetzlichen Voraussetzungen. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - Juris RdNr 5). Hierzu gehört die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt und noch zumindest aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - Juris RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Diese Grundsätze gelten auch für LSG-Entscheidungen nach § 153 Abs 4 SGG ; der Beteiligte muss hier darlegen, dass er einen Beweisantrag nach Zugang der Anhörungsmitteilung innerhalb der vom LSG gesetzten Frist gestellt oder aufrechterhalten hat ( BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - Juris RdNr 5 mwN). Daran fehlt es. Die Klägerin benennt bereits keinen Beweisantrag. Außerdem legt sie die Rechtsauffassung des LSG nicht dar, aufgrund der die genannten Beweiserhebungen erforderlich sein sollen.

b) Soweit die Klägerin rügt, der Tatbestand des LSG-Beschlusses genüge den Mindestanforderungen des § 136 Abs 2 SGG nicht und das LSG habe den Hinweis auf die Entfernung eines Knotens (krankhafter Befund) bei der ersten OP nicht aufgenommen, legt sie eine Verletzung der sinngemäß gerügten Regelung des § 136 Abs 1 Nr 5 und Abs 2 SGG nicht hinreichend dar. Die Notwendigkeit eines Tatbestands (§ 136 Abs 1 Nr 5 und Abs 2 SGG ) gilt auch für Beschlüsse nach § 153 Abs 4 SGG . Zwar verweist § 142 Abs 1 SGG auf diese Regelung nur für Beschlüsse mit mündlicher Verhandlung. Die Notwendigkeit eines Tatbestands folgt für Beschlüsse ohne mündliche Verhandlung aber unmittelbar daraus, dass Beschlüsse zu begründen sind, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über ein Rechtsmittel entscheiden (vgl § 142 Abs 2 SGG ). Urteilsersetzende Beschlüsse, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, müssen danach derart begründet sein, dass sie wie ein Urteil selbstständige Grundlage der revisionsgerichtlichen Überprüfung sein können (vgl BSG Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 51/02 R - Juris; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG , Stand August 2017, § 136 Anm 1c cc). Nach § 136 Abs 1 Nr 5 SGG enthält das Urteil "die gedrängte Darstellung" des Tatbestands. Gemäß § 136 Abs 2 SGG kann die Darstellung des Tatbestands durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zur Sitzungsniederschrift erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. Fehler, die dem Gericht bei der Zusammenstellung der wesentlichen Gründe des Urteils unterlaufen sind und nicht nach § 139 SGG berichtigt werden können, sind nur dann Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG , wenn sie schwerwiegend sind (insbesondere: völliges Fehlen des Tatbestands oder der wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Urteils; Widersprüchlichkeit und Unklarheit; vgl BSG Beschluss vom 8.2.2006 - B 1 KR 65/05 B - Juris RdNr 14 mwN). Die Klägerin legt nicht dar, inwieweit es sich bei den (vermeintlichen) Auslassungen um wesentliche Grundlagen des Beschlusses handeln soll.

c) Soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag, die Entscheidungsgründe seien mangelhaft, das Fehlen von Entscheidungsgründen rügen will, legt sie deren Fehlen nicht schlüssig dar. Zwar sind in dem Beschluss die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl § 128 Abs 1 S 2 SGG iVm § 153 Abs 4 SGG ; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG , Stand August 2017, § 128 Anm 1c). Die Klägerin trägt aber selbst nicht vor, dass das LSG die Beweisergebnisse nicht gewürdigt hat, sondern kritisiert, dass es sie nach ihrer Auffassung hätte abweichend würdigen müssen. Entscheidungsgründe fehlen aber nicht bereits dann, wenn die Gründe (vermeintlich) sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (stRspr, vgl zB BSG SozR Nr 79 zu § 128 SGG ; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - Juris RdNr 7; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG , Stand August 2017, § 136 Anm 13i dd mwN). Infolgedessen legt eine Beschwerdebegründung das Fehlen von Gründen nicht schlüssig dar, wenn sie lediglich geltend macht, das LSG hätte weitere, konkret benannte rechtliche Gesichtspunkte behandeln müssen. Im Kern greift sie damit nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen, sondern die Richtigkeit der Entscheidung an. Solches Vorbringen reicht nicht aus, um die Revision zuzulassen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG Beschluss vom 8.2.2006 - B 1 KR 65/05 B - Juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - Juris RdNr 7). So liegt es hier. Die Klägerin erläutert die (vermeintlich) fehlerhafte Beweiswürdigung lediglich umfänglich.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 23.05.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 335/14
Vorinstanz: SG Oldenburg, vom 22.07.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 62 KR 278/13