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BSG - Entscheidung vom 20.03.2017

B 8 SO 7/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 20.03.2017 - Aktenzeichen B 8 SO 7/17 B

DRsp Nr. 2017/13516

Krankenversicherung Grundsatzrüge Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage Genügen der Darlegungspflicht Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog. Breitenwirkung) dargelegt werden. 3. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist; über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen. 4. Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Im Streit ist die Erstattung von Zahnbehandlungskosten in Höhe von 74,07 Euro sowie die "künftige Übernahme" von Beiträgen eines Wahltarifs einschließlich Selbstbehalt und eventueller Risikozuschläge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung.

Die 1964 geborene Klägerin ist behindert (Grad der Behinderung 50) und seit 1995 privat kranken- bzw pflegeversichert. Ab 1.7.2010 erhielt sie von der Beklagten zunächst Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ( SGB XII ), seit 1.1.2013 erhält sie Leistungen nach dem Vierten Kapitel. Seit 1.7.2010 wird ihre private Krankenversicherung im sog Basistarif geführt. Die Beiträge hierfür und für die Pflegeversicherung zahlt die Beklagte. Die Klage, ua gerichtet auf die Erstattung von 74,07 Euro sowie auf Übernahme höherer Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung im Wahltarif einschließlich Selbstbehalt und eventueller Risikozuschläge, blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 6.11.2015; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts [LSG] vom 21.10.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der bestehende Versicherungsschutz im sog Basistarif decke den sozialhilferechtlichen Bedarf der Klägerin. Der Regelbedarf sei wegen der Kosten in Höhe von 74,07 Euro nicht abweichend festzusetzen; denn der zusätzliche Bedarf sei nicht unabweisbar.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Es stellten sich folgende Rechtsfragen:

"1. Sind die Beitragsbemessungsregelungen des § 12 Abs 1c Satz 4 und 5 VAG (seit 1.1.2016: § 152 Abs 4 VAG ) sowie des § 110 Abs 2 Satz 3 und 4 SGB XI zwingend und die Übernahme von Beiträgen für den Basistarif angemessen oder sind höhere Beiträge zu übernehmen, wenn der Leistungsbezug nach dem 1.1.2009 begonnen hat, der Wechsel in den Basistarif nach dem 30.6.2009 verlangt wurde und der Leistungsberechtigte bereits vor dem 1.4.2007 eine private Krankheitskostenversicherung mit einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart hatte, die der Pflicht nach § 193 Abs 3 genügt (§ 193 Abs 5 Satz 1 Nr 2 VVG )?

2. Sind die Beitragsbemessungsregelungen des § 12 Abs 1c Satz 4 und 5 VAG (seit 1.1.2016: § 152 Abs 4 VAG ) sowie des § 110 Abs 2 Satz 3 und 4 SGB XI zwingend und die Übernahme von Beiträgen für den Basistarif gem § 32 Abs 5 SGB XII angemessen oder sind höhere Beiträge zu übernehmen, wenn gegenüber den im Basistarif Privatversicherten von den Vertragsärzten Leistungen nach privatem Gebührenrecht bewirkt und berechnet werden dürfen, die die Versicherer gem § 152 Abs 1 Satz 1 VAG nicht erstatten sollen, weil sie in Art, Umfang und Höhe jeweils den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch , auf die ein Anspruch besteht, nicht vergleichbar sind?

3. Sind die Beitragsbemessungsregelungen des § 12 Abs 1c Satz 4 und 5 VAG (seit 1.1.2016: § 152 Abs 4 VAG ) sowie des § 110 Abs 2 Satz 3 und 4 SGB XI zwingend und die Übernahme von Beiträgen für den Basistarif gem § 32 Abs 5 SGB XII angemessen oder sind höhere Beiträge zu übernehmen, wenn sich die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung mit den im Basistarif versicherten ärztlichen Leistungen gem § 75 Abs 3a Satz 1 SGB V in der Möglichkeit einer freiwilligen Behandlung durch einzelne Vertragsärzte im Ausnahmefall, ggf mit Unterstützung der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung im räumlichen Umfeld des Versicherten sowie der Aufsichtsbehörden der Länder erschöpft?

4. Liegen gegenüber im Basistarif Privatversicherten von den Vertragsärzten nach privatem Gebührenrecht bewirkte und berechnete Leistungen "(vor)", die die Versicherer gem § 152 Abs 1 Satz 1 VAG nicht erstatten sollen, weil sie in Art, Umfang und Höhe jeweils den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch , auf die ein Anspruch besteht, nicht vergleichbar sind "(Bedarfe)", unausweichlich in mehr als geringem Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe und rechtfertigen eine abweichende Regelsatzfestsetzung gem § 27a Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB XII ? Wenn ja, ab welcher Höhe?

5. Liegen die bei einem Wechsel aus dem Basistarif in einen anderen Tarif von dem Versicherer für die Mehrleistung verlangten Leistungsausschlüsse, -einschränkungen und Risikozuschläge unausweichlich in mehr als geringem Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe und rechtfertigen "(diese)" eine abweichende Regelsatzfestsetzung gem § 27a Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB XII ? Wenn ja, ab welcher Höhe?"

Es stelle sich zunächst die Frage, ob die Klägerin überhaupt Zugang zum Basistarif habe (Frage 1); werde diese Frage verneint, wären die Fragen 4 und 5 zu beantworten. Werde Frage 1 jedoch bejaht, sei eine Versicherung im Basistarif auf ihre Angemessenheit zu überprüfen, insbesondere die konkrete rechtliche Ausgestaltung der zulässigen Leistungen der Vertragsärzte einerseits sowie eine der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbare Sicherstellung der Versorgung mit den im Basistarif versicherten ärztlichen Leistungen andererseits (Fragen 2 und 3).

Was den Zugang zum Basistarif betreffe, sei angesichts widersprechender Regelungen im Gesetz über den Versicherungsvertrag - Versicherungsvertragsgesetz für sog Altfälle unklar, ob ein Leistungsbezieher vom Versicherungsunternehmen in den Basistarif aufgenommen werden dürfe. Das Bundessozialgericht habe noch nicht endgültig über die Kriterien der Angemessenheit der Beiträge im Basistarif in § 32 Abs 5 SGB XII entschieden. Die instanzgerichtliche Rechtsprechung bejahe dies zwar, es fehle jedoch jede systematische Prüfung und Herleitung dieser Folgerung. Insbesondere seien weder die konkreten Leistungen verglichen noch eine vergleichbare Sicherstellung der Versorgung untersucht worden. Insbesondere bleibe den Vertragsärzten unbenommen, nach Art und Umfang nicht erstattungsfähige Leistungen dennoch zu erbringen und den Basistarifversicherten zu berechnen. Dies zeige sich exemplarisch an den Kosten der Zahnbehandlung aus dem Jahr 2014, die ihr (der Klägerin) in Rechnung gestellt und in Höhe von 74,07 Euro von der Beklagten nicht erstattet worden seien.

Im Basistarif Versicherten dürften über den Beitrag hinaus keine vom Regelsatz nicht gedeckten Bedarfe oberhalb einer Bagatellgrenze entstehen. Deshalb sei fraglich, ob und wenn ja in welcher Höhe in der Vergangenheit durch den Basistarif nicht abgedeckte Behandlungskosten im Wege einer abweichenden Festsetzung des Regelsatzes zu erstatten seien. Die Arztrechnung, um deren Erstattung es gehe, sei keinesfalls "zu hoch" und überschreite auch die Bagatellgrenze. In welcher Höhe künftig Kosten entstünden, die auch in einem Wahltarif nicht erstattet würden, könne derzeit noch nicht beziffert werden.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Es fehlt jedenfalls an der ausreichenden Darlegung zur Klärungsfähigkeit der von der Klägerin formulierten Rechtsfragen. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist ( BSG 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen ( BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Bezüglich der von der Klägerin gestellten Frage 1 hinsichtlich ihres Zugangs zu einer Versicherung im Basistarif ist nicht ausgeführt, wieso sich diese Frage überhaupt stellt. Denn nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist sie seit 1.7.2010 im sog Basistarif versichert; nur insoweit können deshalb überhaupt Beiträge angefallen sein. Unter welchen Voraussetzungen und auf welcher sozialhilferechtlichen Rechtsgrundlage die Übernahme höherer Beiträge (welcher?) für die Vergangenheit deshalb überhaupt in Betracht kommen soll, hat die Klägerin nicht dargelegt; sie hat auch nicht die Prüfungsschritte aufgezeigt, die - einen "rechtswidrigen" Wechsel in den Basistarif in der Vergangenheit unterstellt - zur Erstattung der geltend gemachten 74,07 Euro führen könnten. Entsprechendes gilt für die unter 2 gestellte Frage.

Soweit die Klägerin zu Frage 3 geltend macht, dass für Versicherte im Basistarif eine Versorgung nur durch eine "freiwillige Behandlung" durch einzelne Vertragsärzte im Ausnahmefall gesichert sei, genügt auch insoweit ihr Vorbringen nicht den Anforderungen an die schlüssige Darlegung der Klärungsfähigkeit der Frage im vorliegenden Verfahren. Die Klägerin hat zwar in ihren allgemeinen Ausführungen darauf hingewiesen, dass ihr die Kassenärztliche Vereinigung Bayern im März 2014 keinen Augenarzt habe benennen können, der sie zu den Bedingungen des Basistarifs behandelt habe, und weiter, es existiere keine fachgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage der Sicherstellung der Versorgung gemäß § 75 Abs 3a Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - ( SGB V ). Inwieweit diese Frage im vorliegenden sozialhilferechtlichen Verfahren zu klären ist, legt sie jedoch nicht dar. Auch insoweit erschöpft sich das Vorbringen der Klägerin in abstrakten Rechtsausführungen zur Bemessung der Höhe des Basistarifs und zur gesetzlichen Regelung der ärztlichen Vergütung.

Hinsichtlich der unter Nr 4 und 5 aufgeworfenen Fragen zur abweichenden Festsetzung des Regelbedarfs nach § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII legt die Klägerin noch nicht einmal dar, für welche zahnärztliche Behandlung übersteigende Kosten in Höhe von 74,07 Euro angefallen sind. Dies wäre aber erforderlich, um zu prüfen, welcher Bedarf ungedeckt geblieben ist. Sie behauptet lediglich, diese Kosten seien weder "zu hoch" und deshalb "unabweisbar" iS des § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII .

Nicht schlüssig ist ihr Vorbringen zu Frage 5, ob auch dann, wenn sie in einen "Wahltarif" "umgestuft" werde, eine unangemessene Versicherung vorliege, die eine abweichende Regelbedarfsfestsetzung wegen von der Versicherung verlangter Risikozuschläge und ggf wegen Leistungsausschlüssen nicht erstatteter Kosten rechtfertige. Sie erwähnt zwar, dass ein Risikozuschlag monatlich 28,68 Euro betrage; zugleich weist sie aber darauf hin, dass die Höhe künftig nicht erstattungsfähiger Leistungen wegen Behandlungen des psychiatrischen Formenkreises ohne konkreten Behandlungsfall noch nicht bezifferbar sei. Der eigene Vortrag der Klägerin macht insoweit deutlich, dass es ihr auch insoweit nur um die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen geht. Sähe die Klägerin dies anders, hätte sie zumindest weiter darlegen müssen, auf welchem (ggf auch unter prozessualen Gesichtspunkten im Einzelnen darzulegenden) Weg der Senat zur Beantwortung dieser Frage gelangen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 21.01.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 8 SO 246/15
Vorinstanz: SG München, - Vorinstanzaktenzeichen S 22 SO 469/15