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BSG - Entscheidung vom 22.05.2017

B 1 KR 9/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 22.05.2017 - Aktenzeichen B 1 KR 9/17 B

DRsp Nr. 2017/13794

Krankenversicherung Grundsatzrüge Klärungsbedürftige Rechtsfrage Höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage Erneute Klärungsbedürftigkeit

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. 2. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig. 3. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung von 1066,50 Euro Kosten für zweimalige Behandlung mit dem Hyaluronpräparat Belotero und zukünftige Versorgung mit dem Medizinprodukt Sculptra zur Behandlung einer Lipodystrophie bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat ua ausgeführt, hinsichtlich der Erstattung von Kosten sei die Klage schon unzulässig, weil kein das Hyaluronpräparat Belotero betreffendes Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Die Lipodystrophie wirke nicht entstellend. Eine Behandlung mit dem Medizinprodukt Sculptra sei nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst. Es bestehe auch kein Anspruch unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens oder einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts (Beschluss vom 12.1.2017).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels.

1. Wer sich - wie hier der Kläger - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Beschwerdebegründung genügt dem nicht.

Der Kläger formuliert als Rechtsfrage:

"Ist die fehlende Empfehlung der Sculptra-Behandlung durch den gemeinsamen Bundesausschuss ein der Beklagten zuzurechnender Systemmangel, der auf der Nichtausübung des Antragsrechts nach § 135 Abs. 1 SGB V durch einen Antragsberechtigten - Kassenärztliche Bundesvereinigung, eine der Kassenärztlichen Vereinigungen oder einer der Spitzenverbände der Krankenkassen - trotz einer erkennbaren Versorgungslücke beruht."

Damit stellt der Kläger keine abstrakte Rechts- sondern eine Tatfrage. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage, die mit ja oder nein beantwortet werden kann, ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann; es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG , den Vortrag des Beschwerdeführers darauf zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe.

Im Übrigen fehlen jegliche Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Diese sind angesichts der umfangreichen und vom Kläger zum Teil selbst zitierten Rspr des BSG zu den Voraussetzungen für ein Systemversagen (vgl nur BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32; BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12; BSGE 81, 54 , 65 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 21; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70) unerlässlich. Er legt nicht dar, wieso mit Blick auf diese Rspr noch Klärungsbedarf bestehen soll. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rspr entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rspr in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Der Kläger legt nicht dar, dass der Rspr des erkennenden Senats in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird. Er legt auch nicht dar, dass die gestellte Frage entscheidungserheblich ist, obwohl das LSG eine Entstellung des Klägers verneint hat.

2. Der Kläger legt auch einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dar. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24 , 36). Der Kläger legt keinen Verfahrensmangel in diesem Sinne dar. Er rügt als Verfahrensmangel, dass das LSG zwar darlege, dass es "sich nach eigener Prüfung den Ausführungen des LSG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 18.02.2010 L 9 KR 10/08" anschließe, aber nicht erkennbar sei, welche Prüfung es vorgenommen habe, und demzufolge auch keine Stellungnahme habe abgegeben werden können.

Soweit der Kläger damit sinngemäß das Fehlen von Entscheidungsgründen im Sinne der §§ 128 Abs 1 und 136 Abs 1 Nr 6 SGG rügen wollte, legt er deren Fehlen nicht schlüssig dar. Entscheidungsgründe fehlen nicht bereits dann, wenn die Gründe (vermeintlich) sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (vgl BSG SozR Nr 79 zu § 128 SGG ; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 11 mwN). Infolgedessen legt eine Beschwerdebegründung das Fehlen von Gründen nicht mit der Begründung dar, dass sich der Senat eines LSG auf seine eigene Rspr gestützt habe, ohne diese erneut eingehend zu erläutern. Im Kern greift der Kläger mit seinem Vortrag nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen, sondern die Richtigkeit der Entscheidung an. Solches Vorbringen reicht indes nicht aus, um die Revision zuzulassen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG Beschluss vom 8.2.2006 - B 1 KR 65/05 B - Juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - Juris RdNr 11 mwN).

Soweit der Kläger mit seiner Behauptung, er habe sich nicht zu den Entscheidungsgrundlagen des LSG äußern können, die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG , Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention ) geltend machen will, genügt sein Vortrag ebenfalls nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Ein Urteil darf nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (BVerfG [Kammer] NJW 2003, 2524 ; BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 45/09 B - mwN). Der Grundsatz soll indes lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Auffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten.

Der Kläger gibt an, dass das LSG an seiner Rspr festgehalten und hierauf Bezug genommen habe. Abgesehen davon, dass das Gericht die Beteiligten nicht auf alle nur möglichen Gesichtspunkte hinweisen und vorab seine Rechtsauffassung zur Rechtssache bzw zu den Erfolgsaussichten zu erkennen geben muss (vgl zB BSG Beschluss vom 10.8.2007 - B 1 KR 58/07 B - Juris RdNr 7 mwN), ist es deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb er durch die Entscheidung des LSG überrascht werden oder zu der in früheren Entscheidungen geäußerten Rechtsauffassung keine Stellung nehmen konnte.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 12.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 9 KR 283/15
Vorinstanz: SG Berlin, vom 20.05.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 210 KR 1595/13