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BSG - Entscheidung vom 30.03.2017

B 3 KR 15/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 30.03.2017 - Aktenzeichen B 3 KR 15/17 B

DRsp Nr. 2017/10770

Krankengeld Verfahrensrüge Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht Würdigung einander entgegenstehender Gutachten Kein Anspruch auf ein Obergutachten

1. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. 2. Es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein sog. Obergutachten. 3. Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachten auseinanderzusetzen; hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. 4. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. 5. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ;

Gründe:

I

Das Bayerische LSG hat mit Urteil vom 17.1.2017 den Anspruch der Klägerin auf Weiterbewilligung von Krankengeld über den 27.2.2012 hinaus verneint, weil sie ihre Arbeitsunfähigkeit über diesen Zeitpunkt hinaus nicht nachgewiesen habe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf einen Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat den geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht formgerecht aufgezeigt (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 Abs 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein Verfahrensfehler vorliege, weil die Vorinstanzen ein Obergutachten von Amts wegen hätten einholen müssen, auch ohne den "Beweisantrag im Termin". Die Klägerin habe Anspruch auf Krankengeld gehabt, weil sie aus psychiatrischen und orthopädischen Gründen krank und erwerbsunfähig gewesen sei. Das SG habe sich nicht über das Gutachten des Dr. L. hinwegsetzen dürfen und das LSG habe seine eigene Sachkunde nicht an die Stelle derjenigen des Sachverständigen setzen dürfen. Das LSG hätte vielmehr ein Obergutachten einholen müssen, weil Zweifel an der Richtigkeit der Gutachten, auf die sich die Vorinstanzen berufen haben, durch den Entlassungsbericht des Klinikums vom 20.11.2014 entstanden seien. Demnach sei die Klägerin als weiterhin arbeitsunfähig entlassen worden. Hierauf habe die Klägerin bereits im Berufungsschriftsatz vom 3.11.2014 und zuletzt im Schriftsatz vom 26.10.2016 hingewiesen.

Zweifelhaft ist bereits, ob die Klägerin einen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ordnungsgemäß bezeichnet hat. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN) muss nicht nur die Stellung eines Antrags selbst, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 403 ZPO ) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte, und dass es sich nicht nur um eine Beweisanregung gehandelt habe.

Daneben fehlt zur formgerechten Bezeichnung eines Verfahrensmangels nach § 103 SGG schon die hinreichende Darlegung, aus welchem Grund sich das Berufungsgericht von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zur Einholung eines weiteren Gutachtens hätte gedrängt sehen müssen. Dies bleibt bereits deshalb unklar, weil die Klägerin den vom LSG festgestellten Sachverhalt in der Beschwerdebegründung nur rudimentär mitteilt und daher nicht nachvollziehbar ist, welche Gutachten bzw ärztlichen Mitteilungen Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen sind und welchen Inhalt sie gehabt haben.

Überdies besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein sog Obergutachten (stRspr vgl nur BSG Beschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 272/05 B - Juris RdNr 5, 11; Beschluss vom 29.4.2015 - B 13 R 373/14 B - RdNr 7). Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben ( BSG aaO RdNr 9).

Solche Umstände hat die Klägerin nicht vorgetragen. Ob sich das LSG allein aufgrund des Entlassungsberichts des Klinikums vom 20.11.2014 zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte gedrängt sehen müssen, entzieht sich einer Klärung durch den erkennenden Senat, da die Klägerin keine überprüfbaren Tatsachenfeststellungen des LSG mitgeteilt hat, anhand derer eine solche Überprüfung im Beschwerdeverfahren möglich wäre.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 17.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KR 472/14
Vorinstanz: SG München, vom 25.09.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 29 KR 477/12