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BSG - Entscheidung vom 13.07.2017

B 10 KG 1/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 160a Abs. 2 S. 3
SGG § 103

BSG, Beschluss vom 13.07.2017 - Aktenzeichen B 10 KG 1/16 B

DRsp Nr. 2017/14031

Kindergeld unter Anrechnung bulgarischer Familienleistungen Verfahrensrüge Ohne Weiteres auffindbarer Beweisantrag Verletzung der Amtsermittlungspflicht

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. 2. Gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. 3. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen, so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. 4. Daran fehlt es von vornherein, soweit die Beschwerdebegründung sich auch auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht stützt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. September 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 160a Abs. 2 S. 3; SGG § 103 ;

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt in der Hauptsache Kindergeld nach § 1 Bundeskindergeldgesetz ( BKGG ) ab dem 1.6.2007 ohne Anrechnung bulgarischer Familienleistungen und ohne Vorläufigkeitsvorbehalt.

Die bulgarische Klägerin lebte bis 2007 in Deutschland, war dort mit einem Deutschen verheiratet und hat aus dieser Beziehung ein 2006 geborenes Kind. Seit Mai 2007 lebt sie mit ihrem Kind in Bulgarien.

Von September 2006 bis Mai 2007 bezog die Klägerin Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz ( EStG ). Für die anschließende Zeit hob die Familienkasse die Bewilligung wegen einer Änderung der Verhältnisse auf (kein Wohnsitz in Deutschland, keine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht). Den Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG für die Zeit ab Juni 2007 lehnte die Familienkasse ab. Das Finanzgericht (FG) hat die Familienkasse verpflichtet, der Klägerin ungekürztes Kindergeld nach § 62 EStG iVm Art 73 Verordnung (EWG) Nr 1408/71 für die Zeit von April 2008 bis März 2010 zu gewähren, weil der Kindsvater in dieser Zeit als Arbeitnehmer abhängig beschäftigt war, das Kindergeld seit September 2006 zugunsten der Klägerin festgesetzt und ausgezahlt wurde und der Bezug der wohnsitzbezogenen bulgarischen Leistungen nicht zu einem Ruhen des deutschen Kindergelds führe. Im Übrigen hat das FG die Klage abgewiesen, für die Zeit von Juni 2007 bis Januar 2008 wegen bestandskräftiger Ablehnungsbescheide; für die Zeit von Februar bis März 2008, weil der Kindsvater in dieser Zeit Student gewesen sei und Art 73 Verordnung (EWG) Nr 1408/71 nicht zur Anwendung gelange, und für die Zeit ab April 2010 wegen fehlender Verwaltungsentscheidungen (FG Hamburg Urteil vom 5.7.2012 - 5 K 77/10).

Einen ersten Antrag auf Kindergeld nach § 1 BKGG lehnte die Beklagte ebenso ab wie die Überprüfung (Bescheide vom 10.3.2008 und 18.6.2009; Widerspruchsbescheid vom 12.4.2010). Hiergegen richtete sich die Klage vor dem SG Nürnberg unter S 9 KG 39/10. Einem weiteren Antrag gab die Beklagte sodann auf der Basis der damaligen - inzwischen geänderten - Weisungslage teilweise statt und bewilligte ab Mai 2010 vorläufig und unter Anrechnung bulgarischer Familienleistungen Kindergeld nach § 1 BKGG (Bescheid vom 31.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 18.5.2011).

Die dagegen gerichtete Klage unter S 9 KG 39/11 hat das SG Nürnberg mit dem Verfahren unter S 9 KG 39/10 verbunden und sodann abgewiesen, ua weil das Urteil des FG für die Zeit bis April 2010 Tatbestandswirkung entfalte und für die Zeit ab Mai 2010 allenfalls ein steuerrechtliches Kindergeld in Betracht komme, für das die Finanzgerichte zuständig seien (Urteil vom 28.4.2014). Das LSG hat die Berufung dementsprechend zurückgewiesen (Urteil vom 17.9.2015).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, für die der Senat PKH gewährt hat (Beschluss vom 14.7.2016). Die Klägerin macht in der wegen des bestehenden Anwaltszwangs (§ 78 Abs 4 S 1 SGG ) allein maßgeblichen Nichtzulassungsbeschwerdebegründung ihres Prozessbevollmächtigten insbesondere geltend, das SG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, die (nachträglich) verbundene Klage an das sachlich zuständige FG abzugeben. Das nach Entscheidung des SG in der Hauptsache zuständige LSG habe die gebotene umfängliche Prüfung des Klagebegehrens unterlassen. Hätte es auch den steuerrechtlichen Kindergeldanspruch geprüft, hätte es sich der Rechtsauffassung des FG anschließen müssen und Kindergeld in ungekürztem Umfang zusprechen müssen.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG ), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Daran fehlt es von vornherein, soweit die Beschwerdebegründung sich auch auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG ) stützt.

Die Klägerin beanstandet im Kern, dass in der ersten Instanz eine Verweisung an das FG unterblieben sei und deshalb jetzt sowohl beim SG als auch beim LSG das Klagebegehren umfassend auch unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen gewesen wäre. Die Beschränkung auf das soziale Kindergeld verletze - in der Berufungsinstanz fortwirkend - sowohl § 17 Abs 2 , § 17a Abs 5 GVG als auch § 123 SGG .

Die Rüge eines im Berufungsverfahren fortwirkenden Mangels geht indes bereits deshalb ins Leere, weil die Beschwerdebegründung nicht darlegt, wieso der steuerrechtliche Kindergeldanspruch ohne Weiteres Streitgegenstand in den sozialgerichtlichen Verfahren war, was eine auch diesen Anspruch umfassende Prüfung durch das SG17 Abs 2 S 1 GVG ) und - fortwirkend - eine ebenso umfassende Bindung des LSG (§ 17a Abs 5 GVG ) im Ansatz überhaupt nur hätte auslösen können. Die Beschwerdebegründung versäumt insoweit eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die Klägerin den steuerrechtlichen Kindergeldanspruch für die Zeit ab Juni 2007 eigens schon beim FG anhängig gemacht hatte, das FG angesichts seiner getroffenen Entscheidung deswegen den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt haben könnte (vgl § 17a Abs 1 GVG ).

Kraft eigener Kompetenz war das LSG im Übrigen nicht verpflichtet, über den steuerrechtlichen Anspruch der Klägerin materiell zu entscheiden. Gemäß § 202 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG hat das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Griffe diese Bindungswirkung ein, so würde diese allerdings gelten, wenn das Klagebegehren auf das steuerrechtliche Kindergeld gerichtet wäre, obwohl derartige Rechtsstreitigkeiten in die Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit fallen (vgl zB BFH Beschluss vom 16.11.1998 - VI B 162/98). Unter diesen Umständen hätte das LSG über diesen Anspruch ausnahmsweise im sozialgerichtlichen Verfahren zu entscheiden gehabt. Das SG hat indessen mit Blick auf die fehlende Rechtswegzuständigkeit gerade keine Entscheidung in der Hauptsache iS von § 17a Abs 5 GVG getroffen (vgl hierzu BSG Beschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11; BSG Beschluss vom 31.10.2012 - B 13 R 437/11 B).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 17.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 14 KG 14/14
Vorinstanz: SG Nürnberg, vom 28.04.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 18 KG 39/11