Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 28.06.2017

B 6 KA 16/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGB V a.F. § 87a Abs. 2 S. 2

BSG, Beschluss vom 28.06.2017 - Aktenzeichen B 6 KA 16/17 B

DRsp Nr. 2017/13805

Kassenarztvergütung Grundsatzrüge Behaupteter Verfassungsverstoß Zuschläge oder Abschläge von Orientierungswerten Fehlende Vorgabe von Indikatoren durch den EBewA

1. Wer mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend macht, darf sich nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Grundrechte beschränken. 2. Vielmehr muss der Beschwerdeführer unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den gerügten Verfassungsnormen bzw. -prinzipien in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. 3. Der Senat hat bekräftigt, dass die fehlende Vorgabe von Indikatoren durch den EBewA die Vertragspartner auf regionaler Ebene nicht gehindert hat, nach eigener Entscheidung Zuschläge oder Abschläge von den Orientierungswerten zu vereinbaren, die Vertragsärzte durch die fehlenden Vorgaben mithin nicht beschwert waren. 4. Die Vertragspartner durften nach § 87a Abs. 2 Satz 2 SGB V a.F. solche Zuschläge nur nicht unter Verwendung von Kriterien vereinbaren, die denen widersprachen, die der BewA (unterstellt) festgelegt hatte; ebenso hat der Senat sich mit der Berücksichtigung des Kriteriums "Geschlecht" befasst und die Feststellungen des EBewA für ausreichend gehalten. 5. Wenn der Senat keine Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit gemacht hat, beruhte dies darauf, dass insofern keine Zweifel bestanden.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 143 382 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGB V a.F. § 87a Abs. 2 S. 2;

Gründe:

I

Der Kläger, der als Facharzt für Nuklearmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, begehrt höheres Honorar für die Quartale I/2010 und II/2010. Seine Widersprüche gegen die Honorarbescheide für diese Quartale wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2011 zurück. Der Kläger habe das ihm zugewiesene Regelleistungsvolumen ( RLV ) erheblich überschritten und Ausgleichszahlungen erhalten. Ein darüber hinaus gehender Anspruch bestehe nicht. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.2.2014 abgewiesen. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LSG die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger könne mit seinem Begehren bereits deshalb nicht durchdringen, weil die Bescheide über die Zuweisung von RLV von ihm nicht angefochten worden seien. Sein Honorar für die streitbefangenen Quartale habe die Beklagte rechtsfehlerfrei festgesetzt. Sowohl die maßgeblichen Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses (EBewA) als auch die den Bescheiden zugrunde liegenden Regelungen des Honorarverteilungsvertrags (HVV) seien rechtmäßig.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, zu deren Begründung er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) sowie Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) geltend macht. Hinsichtlich der Versäumung der Begründungsfrist hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

II

Dem Kläger wird hinsichtlich der Versäumung der Begründungsfrist nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs 1 SGG gewährt, weil seinen Prozessbevollmächtigten nach seinem glaubhaften Vortrag kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Die Beschwerde hat indes keinen Erfolg.

1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG liegen nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt. Das ist hier der Fall.

a) Der Kläger stellt die Frage,

"Verletzt die Nichtumsetzung der in den streitgegenständlichen Quartalen geltenden Vorgaben in § 87 Abs. 2f ) SGB V (Festlegung von Indikatoren zur Messung der regionalen Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur nach § 87a Abs. 2 Satz 2 SGB V )" und "in § 87b Abs. 3 SGB V (Bestimmung der Morbidität nach Satz 1 mit Hilfe der Morbiditätskriterien Alter und Geschlecht) durch den zuständigen (Erweiterten) Bewertungsausschuss in Teil C. bzw. Teil F. seiner Beschlüsse vom 27./28.08.2008 bzw 02.09.2009 und die folgende Duldung dieser Rechtsverstöße durch den erkennenden Senat den Bf. in seinen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2, Art. 2 Abs. 1 , jeweils in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ?"

Es kann offenbleiben, ob das Vorbringen des Klägers den Darlegungsanforderungen genügt. Wer mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend macht, darf sich nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Grundrechte beschränken. Vielmehr muss der Beschwerdeführer unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 8.9.2016 - B 9 V 13/16 B - Juris RdNr 7 mwN). Eine solche gründliche Erörterung der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt die Beschwerde bereits vermissen. Auch fehlt es an Darlegungen dazu, warum einer Rechtsfrage zu ausgelaufenem Recht grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auch der Vortrag, die Frage, ob die Gerichte "Ungehorsam" gegenüber dem Gesetzgeber dulden dürfen, spiele immer wieder eine Rolle, führt in dieser plakativen Allgemeinheit nicht weiter. Schließlich ist nach dem Vorbringen des Klägers auch nicht erkennbar, inwiefern die Rechtsfrage im konkreten Fall klärungsfähig ist.

Jedenfalls kann die Frage auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats eindeutig beantwortet werden. In dem vom Kläger in Bezug genommenen Urteil des Senats vom 11.12.2013 ( B 6 KA 4/13 R - SozR 4-2500 § 87b Nr 5) hat der Senat bekräftigt, dass die fehlende Vorgabe von Indikatoren durch den EBewA die Vertragspartner auf regionaler Ebene nicht gehindert hat, nach eigener Entscheidung Zuschläge oder Abschläge von den Orientierungswerten zu vereinbaren (so schon das Urteil vom 21.3.2012 - B 6 KA 21/11 R - BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 33 ff), die Vertragsärzte durch die fehlenden Vorgaben mithin nicht beschwert waren. Die Vertragspartner durften nach § 87a Abs 2 Satz 2 SGB V aF solche Zuschläge nur nicht unter Verwendung von Kriterien vereinbaren, die denen widersprachen, die der BewA (unterstellt) festgelegt hatte ( BSG SozR 4-2500 § 87b Nr 5 RdNr 27). Ebenso hat der Senat sich mit der Berücksichtigung des Kriteriums "Geschlecht" befasst und die Feststellungen des EBewA für ausreichend gehalten (SozR 4-2500 § 87b Nr 5 RdNr 29). Wenn der Senat keine Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit gemacht hat, beruhte dies darauf, dass insofern keine Zweifel bestanden. Der nicht näher substantiierte Vortrag des Klägers gibt keinen Anlass zu weiteren Überlegungen. Die Ausführungen des Klägers verhalten sich ausschließlich dazu, dass der Senat aus seiner Sicht das Vorgehen des EBewA nicht zutreffend beurteilt hat. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung oder eine erneute Klärungsbedürftigkeit (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 8b) wird damit nicht aufgezeigt.

b) Auch die Frage,

"Verstößt es gegen das Gebot des venire contra factum proprium, wenn eine Kassenärztliche Vereinigung schriftlichen Regelungen bewusst nicht die äußere Form eines Bescheides gibt, um massenweisen Widersprüchen vorzubeugen, sich aber nachträglich auf eine Bescheideigenschaft beruft",

erfüllt die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht. Diese Frage kann abstrakt ohne Weiteres bejaht werden, sodass ihr keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zudem fehlt es insoweit an der erforderlichen Klärungsfähigkeit im Fall des Klägers. Das LSG hat einen solchen Sachverhalt nicht festgestellt. Soweit der Kläger eine andere Auffassung vorträgt, greift er lediglich die Bewertung des LSG im Einzelfall an.

2. Ein Verfahrensmangel ist nicht hinreichend gerügt. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dem Vortrag des Klägers ist bereits nicht zu entnehmen, wann und an welcher Stelle er den behaupteten Beweisantrag gestellt hat, den EBewA zur Vorlage von Unterlagen aufzufordern und den Vorsitzenden des EBewA beizuladen. Soweit er vorträgt, die Anträge seien noch in der mündlichen Verhandlung gestellt worden, ist dies nicht nachvollziehbar, weil das LSG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Zudem ist zweifelhaft, ob es sich bei den genannten Anträgen um Beweisanträge iS von §§ 373 , 403 ZPO iVm § 118 SGG handelte. Schließlich ist nicht dargelegt, warum das LSG sich ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiteren Ermittlungen im Sinne der Anträge hätte gedrängt fühlen müssen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO . Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO ).

4. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der von keinem Beteiligten angegriffenen Festsetzung des LSG (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG ).

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 20.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KA 1867/12
Vorinstanz: SG Stuttgart, vom 19.02.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 11 KA 512/12