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BSG - Entscheidung vom 21.08.2017

B 9 SB 13/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 128 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 21.08.2017 - Aktenzeichen B 9 SB 13/17 B

DRsp Nr. 2017/14455

Feststellung eines Grades der Behinderung Verletzung rechtlichen Gehörs Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen Verbot von Überraschungsentscheidungen

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten, und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird. 2. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, z.B. wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist. 3. Art. 103 Abs. 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 128 Abs. 2 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Der Beklagte stellte bei der Klägerin zuletzt einen GdB von 50 fest, ua wegen erheblicher Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und eines psychosomatischen Schmerzsyndroms (Bescheid vom 28.1.2013, Widerspruchsbescheid vom 15.4.2013).

Die dagegen von der Klägerin erhobene, auf Feststellung eines GdB von 80 gerichtete Klage hat das SG nach medizinischen Ermittlungen abgewiesen. Laut der eingeholten Sachverständigengutachten sei der zuerkannte GdB von 50 bereits als äußerst wohlwollend anzusehen (Gerichtsbescheid vom 16.10.2014).

Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Sie habe keinen Anspruch auf Erstellung eines höheren als den bereits festgestellten GdB. Die Klägerin habe weder substantiierte Einwände gegen die eingeholten Gutachten erhoben noch mit der Berufung neue entscheidungserhebliche Gesichtspunkte aufgezeigt. Der Senat habe die Sach- und Rechtslage nochmals geprüft. Im Ergebnis habe er sich - anders als zunächst beabsichtigt - nicht veranlasst gesehen, weiter zu ermitteln. Hierfür böten die eingeholten Befundberichte keinen Anlass (Urteil vom 11.1.2017).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe ihr rechtliches Gehör und seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (1.) noch die Verletzung rechtlichen Gehörs (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halb 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG ), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte.

Daran fehlt es hier. Das LSG hat der anwaltlich vertretenen Klägerin - nach ihrem Vortrag - in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, von Amts wegen nicht weiter ermitteln zu wollen. Daraufhin einen Beweisantrag gestellt zu haben, behauptet die Klägerin selber nicht. Damit kann sie ihre Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf die behauptete Verletzung der Amtsermittlungspflicht stützen.

2. Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG ; Art 103 Abs 1 GG ) verletzt, entsprechen die Ausführungen gleichfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Denn dieser Anspruch soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG ; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188 , 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267 , 274; 96, 205, 216 f). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267 , 274) oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133 , 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1 , 12; 76, 93, 98).

Die Beschwerde trägt nicht substantiiert vor, welchen rechtserheblichen Vortrag das Gericht übergangen haben sollte. Die Behauptung der Klägerin, ihr Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, hat das LSG ebenso in seine Entscheidungsfindung einbezogen wie die eingeholten Befundberichte. Das ergibt sich aus den Urteilsgründen. Letztlich wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des LSG, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG indes der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in: Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 160 RdNr 58 mwN).

Schließlich hat das LSG seinen Entschluss, entgegen seiner ursprünglichen Absicht von einer weiteren Beweisaufnahme abzusehen, in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt. Dies trägt die Beschwerde selber vor. Daher hat das LSG auch keine das rechtliche Gehör der Klägerin verletzende Überraschungsentscheidung getroffen.

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 11.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 10 SB 418/14
Vorinstanz: SG Detmold, vom 16.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 1 SB 567/13