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BSG - Entscheidung vom 29.03.2017

B 9 SB 82/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 29.03.2017 - Aktenzeichen B 9 SB 82/16 B

DRsp Nr. 2017/13521

Feststellung eines Grades der Behinderung Verfahrensrüge Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen Hinreichende Bezeichnung eines Verfahrensfehlers

1. Wird gerügt, dass in der Sitzungsniederschrift des LSG der Satz fehle: "Das Sach- und Streitverhältnis wurde mit den Beteiligten erörtert" und vorgetragen, dass verfahrensfehlerhaft im Sitzungsprotokoll weder die Darstellung des Sachverhalts erfolgt noch dass das Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert worden sei, ist damit ein Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. 2. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, z.B. wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt, oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist. 3. Art. 103 Abs. 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. September 2016 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt K aus P beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des bei ihr festgestellten Grades der Behinderung (GdB) sowie die Entziehung des Merkzeichens "G" und begehrt einen GdB von mindestens 70. Diesen Anspruch hat das LSG mit Urteil vom 29.9.2016 verneint unter Bezugnahme auf das Urteil des SG vom 26.8.2014. Bei der Klägerin bestehe nach Ablauf der sog Heilungsbewährung nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X nur noch ein GdB von 40. Damit habe auch der geltend gemachte Nachteilsausgleich "G" nicht mehr bestehen bleiben können.

Mit ihrer gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG erhobenen Beschwerde, für die sie zugleich die Gewährung von PKH unter Beiordnung des sie vertretenden Prozessbevollmächtigten beantragt hat, macht die Klägerin geltend, das LSG habe einen Verfahrensfehler begangen durch die Nichtdarstellung des Sachverhalts im Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 29.9.2016 und dadurch ihr rechtliches Gehör verletzt.

II

1. Der PKH-Antrag der Klägerin ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO ). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Denn die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Verfahrensverstoß und die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das LSG nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie im Fall der Klägerin - darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde danach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG ), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht.

Soweit die Klägerin rügt, dass in der Sitzungsniederschrift des LSG der Satz fehle: "Das Sach- und Streitverhältnis wurde mit den Beteiligten erörtert" und vorträgt, dass verfahrensfehlerhaft im Sitzungsprotokoll weder die Darstellung des Sachverhalts erfolgt noch dass das Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert worden sei, hat sie ebenfalls einen Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Gemäß § 112 Abs 1 S 2 SGG (iVm § 153 Abs 1 SGG ) beginnt die mündliche Verhandlung nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts. Da der Sachvortrag Kernstück der mündlichen Verhandlung ist und sicherstellt, dass sowohl die beisitzenden Richter als auch die Beteiligten zeit- und inhaltsgleich erfahren, welche Tatumstände der vortragende Richter für wesentlich hält, stellt dessen Fehlen einen Verfahrensmangel dar (vgl BSG Beschluss vom 25.1.2011 - B 5 R 261/10 B - SozR 4-1500 § 112 Nr 3 mwN). Allerdings behauptet die Klägerin vorliegend nicht einmal, dass die Darstellung des Sachverhalts in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt ist. Sie trägt lediglich vor, dass das Sitzungsprotokoll nicht die Darstellung enthält, dass der Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung vorgetragen sei (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 2 ZPO ). Danach hat die Klägerin einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 112 Abs 1 S 2 SGG nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus wäre das Recht der Klägerin, sich auf die fehlende Darstellung des Sachverhalts am Beginn der mündlichen Verhandlung zu berufen, auch gemäß § 202 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO entfallen, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 29.9.2016 anwesend gewesen ist, ohne eine vermeintlich fehlende Darstellung des Sachverhalts, also eines ihm bekannten Verfahrensfehlers (§ 295 Abs 1 Alternative 2 ZPO ), zu rügen. Damit ist ein evtl Mangel in der Darstellung des Sachverhalts ohnehin geheilt (vgl BVerwG Beschluss vom 10.12.2003 - 8 B 154/03 - Juris).

3. Ebenso wenig hat die Klägerin mit ihren og Ausführungen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG ; Art 103 Abs 1 GG ) hinreichend dargelegt. Die Vorschrift des § 62 SGG soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG ; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19; BVerfGE 84, 188 , 190) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267 , 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267 , 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133 , 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1 , 12; 76, 93, 98). Mit der Rüge einer Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs kann ein Beteiligter überdies nur dann durchdringen, wenn er vor dem LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl BSG Beschluss vom 24.9.2014 - B 9 SB 11/14 B - Juris mwN).

Dass die anwaltlich vertretene Klägerin im Berufungsverfahren diesen Anforderungen genügt hat, ist ihrem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Die mündliche Verhandlung dient der Verwirklichung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Wird daher aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen. Dies war bei der Klägerin der Fall, da ihr Prozessbevollmächtigter an der Sitzung vom 29.9.2016 teilgenommen hat. Insbesondere hat die Klägerin nicht dargelegt, welches entscheidungserhebliche Vorbringen durch die fehlerhafte Sitzungsniederschrift verhindert worden sein soll und inwieweit die Entscheidung des LSG darauf beruht. So weist die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung selbst daraufhin, dass das LSG die Beweislast verkenne und sich im Widerspruch zur ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. H vom 9.5.2016 begebe, nach dessen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Gesundheitszustand der Klägerin bereits 2009 vorgelegen habe. Damit kritisiert die Klägerin tatsächlich die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG ), womit sie nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

5. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 29.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 13 SB 240/14
Vorinstanz: SG Potsdam, vom 26.08.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 5 SB 9/13