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BSG - Entscheidung vom 21.08.2017

B 9 SB 3/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 21.08.2017 - Aktenzeichen B 9 SB 3/17 B

DRsp Nr. 2017/14457

Feststellung eines Grades der Behinderung Nichtzulassungsbeschwerde Mindestanforderungen der Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes Verständliche Sachverhaltsschilderung

1. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung in der Beschwerdebegründung gehört zu den Mindestanforderungen der Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes. 2. Sie muss das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen. 3. Denn es ist nicht seine Aufgabe, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. September 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 ;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt einen höheren Grad der Behinderung (GdB) als den zuletzt bei ihm festgestellten GdB von 40.

Der Beklagte lehnte seinen auf einen höheren GdB gerichteten Änderungsantrag ab (Bescheid vom 25.11.2008, Widerspruchsbescheid vom 9.3.2009). Klage und Berufung sind nach umfangreicher medizinischer Beweiserhebung erfolglos geblieben. Das LSG hat ausgeführt, nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen seien die beim Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen weiterhin mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe seine Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.), noch eine grundsätzliche Bedeutung (2.) oder eine Divergenz (3.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG ), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Zudem muss die defizitäre Sachaufklärung für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung kausal im Sinne der Möglichkeit sein. Der Beschwerdeführer hat deshalb darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 160a RdNr 97 mwN).

Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Sie teilt bereits den Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich maßgeblicher Umstände), der dem Beschluss des LSG zugrunde liegt, nicht nachvollziehbar und umfassend mit. Ihren Schilderungen können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung in der Beschwerdebegründung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen der Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes. Sie muss das BSG in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr zB BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 13 R 153/06 B - BeckRS 2007, 42635 RdNr 9). Denn es ist nicht seine Aufgabe, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 12.5.1999 - B 4 RA 181/98 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48 f; BSG Beschluss vom 20.6.2013 - B 5 R 462/12 B - BeckRS 2013, 70651 RdNr 12; BSG Beschluss vom 9.4.2015 - B 12 KR 106/14 B - Juris RdNr 6).

Die Beschwerde enthält die danach erforderlichen Darlegungen nicht. Allein aufgrund ihrer Begründung lässt sich die Entscheidungserheblichkeit der berichteten Beweisanträge nicht beurteilen. Genauso wenig lässt sich einschätzen, ob diese Anträge hinreichend konkret waren, nachdem die Vorinstanzen bereits umfangreich - ua durch vier Sachverständigengutachten - Beweis erhoben hatten. Denn je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema schon vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (Fichte, SGb 2000, 653 , 656). Ohne verständliche Wiedergabe der bisherigen Beweisergebnisse und ihre rechtlichen Einordnung, an der es die Beschwerde weitgehend fehlen lässt, kann der Senat die behauptete Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung ebenfalls nicht beurteilen.

2. Ebenso wenig grundsätzlich dargelegt hat die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits (vgl § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

An diesen Darlegungen fehlt es hier. Soweit die Beschwerde es für eine grundsätzliche Rechtsfrage hält,

auf welche Weise ein Durchschnittswert im Sinne von Teil A Nr 2 Buchst f Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (AnlVersMedV) zu ermitteln ist,

hat sie die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur auseinandersetzen (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 160a RdNr 50 mwN).

Solche Ausführungen enthält die Beschwerde nicht. Sie setzt sich bereits nicht näher mit dem Wortlaut von Teil A Nr 2 Buchst f AnlVersMedV auseinander. Vielmehr erläutert sie lediglich ihre eigene Auslegung der Vorschrift und erklärt diejenige des LSG für falsch. Das genügt nicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

Unabhängig davon fehlt es auch an der Darlegung der Klärungsfähigkeit. Ebenso wenig wie bei seiner Verfahrensrüge hat der Kläger mit seiner Grundsatzrüge den maßgeblichen, vom LSG festgestellten Sachverhalt vollständig und nachvollziehbar dargelegt. Daher lässt sich nicht beurteilen, ob die von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen in einem Revisionsverfahren überhaupt entscheidungserheblich wären und deshalb dort geklärt werden könnten.

Soweit die Beschwerde dem LSG schließlich vorhält, es habe die seelischen Leiden des Klägers zu Unrecht als nicht erhöhend für den GdB angesehen, weil sie bereits mit dem Hautleiden berücksichtigt seien, zeigt sie keine fallübergreifende Rechtsfrage auf, sondern kritisiert die Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall. Eine unrichtige Entscheidung des LSG im Einzelfall begründet für sich genommen jedoch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

3. Auch eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) legt der Kläger nicht ausreichend dar. Zwar behauptet er unter Hinweis auf die Erfindung einer Rechtsfigur der "rein formell bedingten Mindestbewertung" durch das LSG eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R). Zur formgerechten Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz ist in der Beschwerdebegründung indes darzulegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die vorinstanzliche Entscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Sie muss einen abstrakten Rechtssatz des vorinstanzlichen Urteils und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die vorinstanzliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21 , 29). Daran fehlt es vollständig. Insbesondere bezeichnet der Kläger schon keinen divergierenden Rechtssatz des LSG, sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe seiner eigenen Interpretation der LSG-Entscheidung und schließt daraus, das LSG halte sich nicht an die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 15.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 11 SB 4/11
Vorinstanz: SG Neuruppin, vom 28.10.2010 - Vorinstanzaktenzeichen S 3 SB 48/09