Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 22.03.2017

B 13 R 33/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 62

BSG, Beschluss vom 22.03.2017 - Aktenzeichen B 13 R 33/17 B

DRsp Nr. 2017/10542

Erwerbsminderungsrente Verfahrensrüge Gehörsverletzung Verbot von Überraschungsentscheidungen

1. Wird als Verfahrensmangel die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend gemacht, so liegt ein solcher Verstoß nur vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können. 2. Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten. 3. Ein Urteil darf nicht auf tatsächliche oder rechtliche Grundlagen gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn der Rechtsstreit dadurch eine unerwartete Wendung nimmt. 4. Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann. 5. Darüber hinaus ist für den Erfolg einer entsprechenden Rüge Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Erforderliche getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 29. Dezember 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 62 ;

Gründe:

Mit Urteil vom 29.12.2016 hat das LSG Sachsen-Anhalt einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.2.2011 bis 31.1.2017 verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 24.2.2017 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil der ausschließlich geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Wird als Verfahrensmangel - wie vorliegend - die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) geltend gemacht, so liegt ein solcher Verstoß nur vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (stRspr, zB Senatsbeschlüsse vom 20.8.2008 - B 13 R 217/08 B - Juris RdNr 5 und vom 4.8.2004 - B 13 RJ 167/03 B - Juris RdNr 8). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten. Ein Urteil darf nicht auf tatsächliche oder rechtliche Grundlagen gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn der Rechtsstreit dadurch eine unerwartete Wendung nimmt (vgl Senatsbeschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - Juris RdNr 21 mwN).

Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann. Darüber hinaus ist für den Erfolg einer entsprechenden Rüge Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Erforderliche getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - Juris RdNr 22 mwN).

Diesen Anforderungen an die Bezeichnung des Mangels der Verletzung rechtlichen Gehörs wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger trägt vor, nach dem Erörterungstermin hätten die Beteiligten davon ausgehen dürfen, dass der Berichterstatter von einem Leistungsvermögen des Klägers von drei bis maximal 6 Stunden entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. J. ausgehe. "Überraschend und ohne nochmaligen Hinweis" habe sich das LSG dann aber im Urteil darauf gestützt, dass nicht feststehe dass bei ihm ein Leistungsvermögen von unter 6 Stunden gegeben sei.

Mit diesem und seinem weiteren Vorbringen in der Beschwerdebegründung hat der Kläger jedoch die Verletzung seines rechtlichen Gehörs auch im Sinne einer Überraschungsentscheidung nicht hinreichend dargetan. Zwar trägt er vor, dass der Berichterstatter es "als plausibel" bezeichnet habe, dass der Sachverständige Prof. Dr. J. zum Untersuchungszeitpunkt von einem Leistungsvermögen von 3 bis 6 Stunden ausgegangen sei, auch wenn dieser für die Vergangenheit "keine konkreten Festlegungen" des klägerischen Leistungsvermögens vorgenommen habe. Der Kläger behauptet jedoch nicht, dass sich der Berichterstatter im Erörterungstermin gegenüber den Beteiligten bereits ausdrücklich darin festgelegt habe, dass er der von ihm zu treffenden Leistungsbeurteilung allein das Sachverständigengutachten des Sachverständigen Prof. Dr. J. zugrunde legen werde, zumal der Kläger selbst vorträgt, dass die im Verfahren bereits gehörten Gutachter Dr. T. und Privatdozent Dr. W. "von einer eindeutigen Leistungsfähigkeit des Klägers von mehr als 6 Stunden täglich ausgegangen" seien. Ist aber die Sach- und Rechtslage umstritten oder problematisch, muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (vgl BVerfGE 86, 133 , 145). Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger jedenfalls nicht ausschließen, dass sich das LSG im Rahmen seiner Beweiswürdigung hinsichtlich der Einschätzung des quantitativen Leistungsvermögens auch auf die Sachverständigengutachten des Dr. T. und des Privatdozenten Dr. W. , die beide überstimmend (letzterer sogar noch unter Annahme eines weiter zurückgehenden Beschwerdebildes) von einem Leistungsvermögen des Klägers für leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden täglich und mehr mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen ausgegangen sind, stützen und damit im Ergebnis letztlich der Ansicht der Beklagten folgen werde. Der Kläger behauptet nicht, vom LSG im Erörterungstermin oder zu einem späteren Zeitpunkt an weiterem Vortrag oder der - gegebenenfalls auch vorsorglichen - Stellung der in der Beschwerdebegründung genannten Beweisanträge gehindert worden zu sein.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen-Anhalt, vom 29.12.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 173/14
Vorinstanz: SG Magdeburg, - Vorinstanzaktenzeichen 42 R 1413/11