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BSG - Entscheidung vom 01.11.2017

B 12 R 23/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 01.11.2017 - Aktenzeichen B 12 R 23/17 B

DRsp Nr. 2017/17220

Beitragspflicht zur Sozialversicherung Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen Verfahrensrüge Entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens Genügen der Darlegungspflicht

Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird ist nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, so dass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Januar 2017 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 34 722,62 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe:

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit einer nach einer Betriebsprüfung hinsichtlich des Zeitraums vom 1.1.2006 bis 31.8.2008 von der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund geltend gemachten Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 34 722,62 Euro anlässlich der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. für den Kläger.

Der Kläger ist Inhaber einer Einzelfirma. Der Beigeladene zu 1. ist sein Sohn. Nachdem er zunächst als freier Mitarbeiter für ein anderes Unternehmen tätig war, nahm er Ende 2004 eine Tätigkeit im Betrieb des Klägers auf. Nach einer Betriebsprüfung vom 8.9. bis 7.10.2008 forderte die Beklagte vom Kläger durch Bescheid vom 22.9.2010 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 34 772,62 Euro nach, da der Beigeladene zu 1. in der Zeit vom 1.1.2006 bis 31.8.2008 als (abhängig) Beschäftigter der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlegen habe. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 12.1.2017.

II

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen LSG vom 12.1.2017 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).

1. Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 20.6.2017 auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

Es lägen "nachhaltige Verfahrensfehler" vor, auf denen die angegriffene Entscheidung beruhe und die dazu führen würden, dass die Entscheidung unzutreffend sei. Die Verfahrensfehler seien dem LSG "insbesondere im Rahmen der Beweisaufnahme" unterlaufen und führten insoweit zu einem falschen Ergebnis der Beweisaufnahme. Des Weiteren rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs bzw "das Übergehen wesentlicher Einwendungen ... im Rahmen der Sachverhaltsermittlung von Amts wegen" und deren rechtlicher Bewertung in der Entscheidung "(bzw. völliges Übergehen dieser Einwendungen in der rechtlichen Bewertung im Rahmen der angegriffenen Entscheidung)".

a) Das LSG habe festgestellt, dass das SG zwar inhaltlich richtig, angesichts des ungeklärten Sachverhalts nicht aber durch Gerichtsbescheid hätte entscheiden dürfen. Damit habe ihm nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung gestanden, was besondere Sorgfalt bei der Sachverhaltsermittlung erfordere. Das LSG habe seine Entscheidung auf eine Abwägung zwischen den diversen Zeugenaussagen aus einem Strafverfahren einerseits und den Aussagen des Klägers und insbesondere des Beigeladenen zu 1. andererseits gestützt. Seine Einschätzung einer fehlenden "Glaubwürdigkeit" der Einlassungen des Klägers und des Beigeladenen zu 1. habe es "ganz nachhaltig" auf Zeugenaussagen gestützt, die in dieser Form nicht hätten herangezogen werden dürfen, weil der Großteil von Zeugen stammen würde, die im hier streitgegenständlichen Zeitraum noch gar nicht im Betrieb des Klägers tätig gewesen seien. Zudem hätte das LSG die Zeugen erneut vernehmen müssen. Das LSG habe auch erst im Termin vom 12.1.2017 darauf hingewiesen, dass Zeugenaussagen aus einem Strafverfahren berücksichtigt würden. Es habe keine Möglichkeit bestanden, auf die Problematik der völlig ungeeigneten Zeugenaussagen hinzuweisen.

b) Zudem rügt der Kläger eine "Rechtsverletzung durch Nichtberücksichtigung wesentlicher Argumente". Das LSG habe lediglich zwischen den Alternativen "scheinselbständige Arbeitnehmertätigkeit" und "selbständige Tätigkeit" differenziert, das "Rechtsinstitut des 'arbeitnehmerähnlichen Selbständigen' im Sinne § 2 Nr. 9 SGB VI " dagegen nicht einmal ansatzweise berührt, geschweige denn in seinen Voraussetzungen geprüft. Indem das LSG dem Vortrag des Klägers und des Beigeladenen zu 1. keinerlei Beachtung geschenkt habe, liege eine "Verletzung rechtlichen Gehörs/Artikel 103 GG ".

2. Einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat der Kläger nicht bezeichnet (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff).

Der Kläger hat überwiegend bereits keine bundesrechtliche Verfahrensnorm bezeichnet, die das Berufungsgericht verletzt haben soll. Überdies wird ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Entsprechende Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung aber nicht.

a) In grundlegender Hinsicht berücksichtigt der Kläger nicht, dass nach § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel ua nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann. Dadurch ist kraft Gesetzes die Rüge eines Verstoßes gegen die Vorschrift, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet, im Rahmen einer auf Verfahrensmängel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschlossen. Auch kann die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).

b) Einen Verstoß des LSG gegen die im Wege des Urkundenbeweises mögliche Verwertung von Zeugenaussagen aus anderen Verfahren (vgl hierzu Keller in MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 117 RdNr 5 mwN) bezeichnet der Kläger nicht.

c) Hinsichtlich seiner Rüge, die im Strafverfahren vernommenen Zeugen hätten erneut vernommen werden müssen, berücksichtigt der Kläger § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 aE SGG nicht. Danach kann im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ein behaupteter Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen entsprechenden Beweisantrag, den der anwaltlich vertretene Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt bzw aufrecht erhalten hätte, bezeichnet der Kläger jedoch nicht.

d) Soweit der Kläger vorträgt, er habe auf die Einbeziehung von Zeugenaussagen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.1.2017 nicht reagieren können, legt er konkrete und nachvollziehbare Gründe hierfür nicht dar. Bereits in der Ladung zum Termin vom 14.12.2016 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass "zur Beweiserhebung" ua fünf Ordner des AG beigezogen worden sind. Ausweislich der Niederschrift waren in der mündlichen Verhandlung der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter anwesend. Anträge des Klägers, zB auf Akteneinsicht oder Vertagung, wurden nicht protokolliert. Im Übrigen befasst sich der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht mit der Prozessgeschichte und erwähnt daher nicht, dass bereits am 3.3.2016 ein Erörterungstermin durchgeführt wurde, in dem das LSG ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass "sehr viel davon abhänge, welche Angaben des Klägers und des Beigeladenen als glaubhaft" zugrunde gelegt werden können. In der hierzu ergangenen Ladung vom 11.2.2016 wurde ebenfalls bereits auf die Beziehung ua von fünf Ordnern des AG hingewiesen.

e) Schließlich genügt der Kläger den an die Darlegung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu stellenden Anforderungen nicht, weil er nicht - wie aber erforderlich - detailliert darlegt, welches konkrete Vorbringen vom LSG übergangen worden sein soll, und dass sich das vorinstanzliche Gericht auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung mit dem Vorbringen hätte auseinandersetzen müssen (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 697 mwN). Der Kläger berücksichtigt insbesondere nicht, dass es (nach der Rechtsauffassung des LSG) allein in Bezug auf die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. um die (grundlegende) Abgrenzung einer (abhängigen) Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit gemäß § 7 Abs 1 SGB IV geht. Der Kläger legt nicht dar, inwieweit die Nichtberücksichtigung von § 2 S 1 Nr 9 SGB VI überhaupt entscheidungserheblich sein konnte. Hierzu hätte er sich mit dem Wortlaut, der systematischen Stellung und der gesetzgeberischen Intention (vgl Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit BT-Drucks 14/1855 S 6) befassen müssen, um die Entscheidungserheblichkeit seines Vorbringens in Bezug auf die besondere Rentenversicherungspflicht eines Selbstständigen nach § 2 S 1 Nr 9 SGB VI darzulegen. Dies unterlässt er aber.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 12.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 14 R 44/13
Vorinstanz: SG München, vom 05.12.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 1661/11