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BSG - Entscheidung vom 20.02.2017

B 12 KR 95/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG § 162

BSG, Beschluss vom 20.02.2017 - Aktenzeichen B 12 KR 95/16 B

DRsp Nr. 2017/10080

Beitragspflicht zur Sozialversicherung Grundsatzrüge Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage

1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. 2. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll. 3. Die Formulierung einer Rechtsfrage, zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl. § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht ist für die Zulässigkeit einer auf die Grundsatzrüge gestützten Nichtzulassungsbeschwerde unverzichtbar, weil das Beschwerdegericht nur an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGG § 162 ;

Gründe:

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1. in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin in der Zeit ab 1.10.2010.

Die Klägerin ist ein IT-Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Der Beigeladene zu 1. war seit 1.10.2010 für sie als einer von zwei Gesellschafter-Geschäftsführern tätig. An den Geschäftsanteilen hielt er anfänglich rund 21 %, ab Frühjahr 2011 rund 30 %, der zweite Geschäftsführer rund 55 % und dessen Sohn rund 15 %.

Auf Antrag der Klägerin führte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund ein Statusfeststellungsverfahren durch und stellte die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. wegen seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung fest; in der Rentenversicherung sei er hingegen versicherungsfrei (Bescheid vom 28.2.2011).

Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das SG die Bescheide der Beklagten für die Zeit vom 1. bis 6.1.2011 nur hinsichtlich der Feststellung von Versicherungspflicht in der GKV und sPV sowie für die Zeit ab 7.1.2011 vollständig aufgehoben. Zugleich hat es festgestellt, dass der Beigeladene zu 1. wegen seiner Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit ab 7.1.2011 nicht versicherungspflichtig beschäftigt sei. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 2.8.2013). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil geändert und die Klage (auch für die Zeit ab 7.1.2011) abgewiesen, soweit sie sich gegen die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung richtete. Entgegen der Auffassung des SG habe auch in der Zeit ab 7.1.2011 Versicherungspflicht begründende Beschäftigung vorgelegen. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 22.6.2016.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

1. Die Klägerin beruft sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 29.9.2016 darauf, "die beim Landessozialgericht eingenommene Positionierung und dann im Urteil fixierten Entscheidungsgründe zeug[t]en davon, dass eingereichte Dokumente, Darlegungen des Geschäftsführers der Klägerin erstinstanzlich und zweitinstanzlich völlig zum Nachteil der Klägerin interpretiert wurden und dass gestellte Beweisanträge nicht vollinhaltlich berücksichtigt wurden sowie von falschen Annahmen des Landessozialgerichts ausgegangen wurde, so dass in derartiger Weise Rechts- und Formpflichten verletzt wurden und dass somit die Angelegenheit sich zu einer solchen von grundsätzlicher Bedeutung entwickelt hat und die Nichtzulassungsbeschwerde begründet" sei. Im Vordergrund werde dabei eine mangelnde Sachaufklärung gesehen. Im Folgenden führt sie sodann einzelne Punkte aus, bei denen das LSG ihrer Auffassung nach wegen ungenügender Sachaufklärung von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei sowie Beweise und Tatsachen nicht oder nicht zutreffend gewürdigt bzw rechtlich falsch bewertet habe. Sie kommt zu dem Schluss, "dass das Landessozialgericht weder in tatsächlicher rechtlicher Würdigung und auch was höchstrichterliche Rechtsprechung anbetrifft, sich nicht adäquat mit den tatsächlichen rechtlichen Verhältnissen, mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme, auseinandergesetzt hat und die Sachaufklärung nicht objektiv erfolgte und entsprechend eine rechtsfehlerhafte Beurteilung erfolgte".

Diese Beschwerdebegründung ist - wenn man die Beschwerde nicht bereits wegen ihrer mangelnden Bestimmtheit als unzulässig ansehen will - zu Gunsten der Klägerin dahin auszulegen, dass sich die Klägerin neben dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache vor allem auf einen Verfahrensmangel beruft (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 3 SGG ). Die Beschwerdebegründung genügt jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung dieser Zulassungsgründe.

2. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist ( BSG Beschluss vom 16.11.1987 - 5b BJ 118/87 - SozR 1500 § 160a Nr 60; BSG Beschluss vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65; BSG Beschluss vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG Beschluss vom 11.12.1997 - 1 B 60/97 - NJW 1999, 304 und BVerfG Kammerbeschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll ( BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 RK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin formuliert schon keine Rechtsfrage, zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht. Diese ist jedoch für die Zulässigkeit einer auf die Grundsatzrüge gestützten Nichtzulassungsbeschwerde unverzichtbar, weil das Beschwerdegericht nur an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 181).

3. Die Begründung der Klägerin erfüllt die Zulässigkeitsanforderungen der Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht bezüglich des von ihr sinngemäß geltend gemachten Verfahrensmangels. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 , 82; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169 , 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG ). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33).

Die Klägerin verfehlt diese Anforderungen an die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines Verfahrensmangels schon deshalb, weil sie sich entgegen § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG auf einen vermeintlichen Verstoß des LSG gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG ) beruft, ohne einen konkreten Beweisantrag zu benennen, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Soweit sich die Klägerin auf bestimmte Beweisangebote bezieht, genügt dies nicht. Ein solches Angebot kann nicht mit einem - erforderlichen formellen - Beweisantrag gleichgesetzt werden.

Zugleich führt auch die sinngemäße Rüge einer Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde. Denn mit ihrem Vorbringen, das LSG habe sich "nicht adäquat mit den tatsächlichen rechtlichen Verhältnissen, mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme, auseinandergesetzt", wendet sich die Klägerin einzig gegen die freie richterliche Überzeugungsbildung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens. Hierauf kann jedoch - wie bereits dargelegt - die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ebenso wenig gestützt werden, wie auf die Behauptung einer vermeintlichen inhaltlichen Unrichtigkeit des Berufungsurteils.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

6. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2 , § 47 Abs 1 und 3 GKG . Es war der Auffangstreitwert festzusetzen (vgl zB BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R - Juris RdNr 30; BSG Urteil vom 4.6.2009 - B 12 R 6/08 R - Juris RdNr 37; BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 12 KR 17/11 R - Juris RdNr 44), weil Gegenstand des der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreits nicht (auch) eine Beitrags(nach)forderung war.

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 22.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 9 KR 279/13
Vorinstanz: SG Berlin, - Vorinstanzaktenzeichen S 81 KR 1778/11