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BSG - Entscheidung vom 29.11.2017

B 12 R 27/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG § 157
SGG § 62
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6

BSG, Beschluss vom 29.11.2017 - Aktenzeichen B 12 R 27/17 B

DRsp Nr. 2018/2783

Beitragspflicht zur Sozialversicherung Grundsatzrüge Begründung einer richterlichen Entscheidung Anforderungen an das rechtliche Gehör

1. Zwar können grundsätzlich auch Fragen des Verfahrensrechts, etwa solche zum Prüfungsumfang im Berufungsverfahren, zu den Anforderungen an das rechtliche Gehör und an die Begründung einer richterlichen Entscheidung die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache rechtfertigen. 2. Voraussetzung für eine hinreichende Begründung ist jedoch auch hier, dass der Beschwerdeführer eine oder mehrere klärungsbedürftige verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen klar bezeichnet, über die in einem späteren Revisionsverfahren zu entscheiden wäre. 3. Die bei der Anwendung der § 157 , § 62 und § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG zu berücksichtigenden Maßstäbe sind durch die Rechtsprechung des BSG hinreichend präzisiert worden.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. April 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 309 837,47 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGG § 157 ; SGG § 62 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 136 Abs. 1 Nr. 6 ;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten in dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit darüber, ob die Klägerin im Hinblick auf eine Sozialversicherungspflicht wegen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. bis 12. nachträglich Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung in Höhe von (zuletzt) 309 837,47 Euro zu entrichten hat. Das SG Heilbronn wies ihre Klage ab; das LSG Baden-Württemberg wies ihre hiergegen eingelegte Berufung mit Beschluss vom 3.4.2017 zurück und ließ die Revision nicht zu. Dagegen hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.

II

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im og Beschluss des LSG ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Mit der Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, lässt sich die Zulassung der Revision demgegenüber nicht erreichen.

Die Klägerin stützt sich in ihrer Beschwerdebegründung vom 30.5.2017 (nebst Anlagen) auf alle drei Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 SGG .

1. Beruft sich ein Beschwerdeführer auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), so muss er ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Die Klägerin wendet im Kern ein (S 6 f der Beschwerdebegründung), das Berufungsgericht habe sich mit der "klägerseitigen Argumentation, insbesondere dem Vortrag zweiter Instanz" überhaupt nicht auseinandergesetzt, und stellt hierzu die Fragen

"in welchem Umfange sich das Berufungsgericht mit dem klägerseitigen Vorbringen auseinandersetzen muss, sondern auch ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Berufungsgericht neuen Vortrag im Rahmen des Berufungsverfahrens berücksichtigen muss"

und

"in wie fern das Berufungsgericht sich im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung positionieren muss. Dies insbesondere dann, wenn das Berufungsgericht erheblich von der bisherigen Rechtsprechung abweicht".

Zur Erläuterung trägt die Klägerin vor, das LSG habe ausschließlich Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und Rechtsfragen nicht oder allenfalls am Rande erörtert. Das Berufungsgericht sei in der Begründung seiner Entscheidung auf die klägerseitigen Ausführungen zur Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 16.12.2014 (L 6 R 2387/13) nicht eingegangen, obwohl ihr ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde gelegen habe, und habe diese Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung nicht begründet.

Mit diesem Vorbringen legt die Klägerin den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) nicht in der gebotenen Weise dar.

Zwar können grundsätzlich auch Fragen des Verfahrensrechts, etwa solche zum Prüfungsumfang im Berufungsverfahren (vgl § 157 SGG ), zu den Anforderungen an das rechtliche Gehör (vgl § 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) und an die Begründung einer richterlichen Entscheidung (vgl § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ) die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache rechtfertigen. Voraussetzung für eine hinreichende Begründung ist jedoch auch hier, dass der Beschwerdeführer eine oder mehrere klärungsbedürftige verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen klar bezeichnet, über die in einem späteren Revisionsverfahren zu entscheiden wäre. Der Senat kann offenlassen, ob die Klägerin überhaupt Rechtsfragen in diesem Sinne aufwirft oder vielmehr (verdeckte) Tatsachenfragen stellt, also solche der Subsumtion ihres (individuellen) Sachverhalts und der Anwendung der genannten Verfahrensvorschriften in ihrem (Einzel)Fall. Jedenfalls legt sie nicht substantiiert dar, dass die von ihr gestellten Fragen des Verfahrensrechts - ihre Qualität als Rechtsfragen unterstellt - (noch) höchstrichterlicher Klärung in verallgemeinerungsfähiger Weise bedürfen. Die bei der Anwendung der § 157 , § 62 und § 136 Abs 1 Nr 6 SGG zu berücksichtigenden Maßstäbe sind durch die Rechtsprechung des BSG hinreichend präzisiert worden (vgl beispielsweise die Rechtsprechungsnachweise in den Kommentierungen von Keller zu § 157 , § 62 und § 136 Abs 1 Nr 6 SGG in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017). Warum sich hieraus nicht ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von ihr - der Klägerin - als grundsätzlich herausgestellten Verfahrensfragen ergeben sollen, erläutert sie nicht.

2. Die Klägerin beruft sich darüber hinaus auf eine Abweichung des Berufungsurteils von dem Urteil des BSG vom 18.11.2015 ( B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25; S 8 f der Beschwerdebegründung).

Divergenz im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewandt hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die eines der mit der Norm befassten Gerichte aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, welcher abstrakter Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht sowie, dass die Entscheidung hierauf beruht ( BSG SozR 1500 § 160 Nr 14, 21 , 29 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN).

Die Klägern trägt hierzu vor, die Berufungsentscheidung stehe "in völligem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, insbesondere seiner Entscheidung vom 18.11.2015, Az.: B 12 KR 16/13 R". Nach einer Darstellung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit entwickelten Kriterien weist sie darauf hin, dass "dies vorliegend gerade nicht der Fall ist", weil alle Beigeladenen nicht in ihren Betrieb eingegliedert gewesen seien, in der Art und Weise der Ausführung ihrer Tätigkeit frei gewesen seien und keinen arbeitsrechtlichen Weisungen unterlegen hätten. Hinsichtlich des Beigeladenen zu 11. erläutert die Klägerin, dass im Hinblick auf dessen Tätigkeiten für mehrere Auftraggeber "nicht nachvollzogen" werden könne, inwiefern er persönlich abhängig sein soll.

Eine Divergenz legt die Klägerin hiermit nicht in zulassungsrelevanter Weise dar. Weder arbeitet sie einen bestimmten abstrakten Rechtssatz der angefochtenen Berufungsentscheidung heraus noch stellt sie einem solchen einen abstrakten höchstrichterlichen Rechtssatz als widersprüchlich gegenüber. Der Sache nach rügt sie lediglich, dass der Beschluss des LSG nicht den Kriterien entspreche, die das BSG aufgestellt habe, das LSG sie im konkreten Einzelfall aus tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen unzutreffend angewandt und den Rechtsstreit dadurch falsch entschieden habe.

3. Die Klägern bezeichnet schließlich entscheidungserhebliche Mängel des Berufungsverfahrens (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ; S 6 ff der Beschwerdebegründung) nicht in der erforderlichen Weise.

Sie sieht einen Verfahrensmangel zunächst darin, dass das Berufungsgericht ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss entschieden habe. Zum einen sei ihr dadurch die Möglichkeit genommen worden, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung persönlich darzulegen, "wie die betrieblichen Tätigkeiten tatsächlich gelebt" worden seien. Zum anderen habe der Ausschluss ehrenamtlicher Richter ihre Rechtsverfolgung unzulässig eingeschränkt, zumal es gerade auch die Funktion ehrenamtlicher Richter sei, Sachverhalte praktisch zu beurteilen.

Eine Verletzung des § 153 Abs 4 SGG , die sie der Sache nach mit ihrem Vorbringen rügt, bezeichnet die Klägerin damit nicht in der gebotenen Weise. Weder legt sie hinreichend dar, das Berufungsgericht habe aus sachfremden Erwägungen oder aufgrund grober Fehleinschätzung von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (vgl grundlegend schon BSG Beschluss vom 16.11.1995 - 11 BAr 117/95 - SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34), noch begründet sie, dass die Anhörung (vgl § 153 Abs 4 S 2 SGG ) den an sie zu stellenden Anforderungen nicht genügt habe.

Auch mit ihren Ausführungen zu dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (S 6 f der Beschwerdebegründung) bezeichnet die Klägerin keine entscheidungserheblichen Mängel des Berufungsverfahrens.

Soweit sie rügt, das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ) dadurch verletzt, dass es sich mit ihren im Berufungsverfahren vorgetragenen Argumenten - insbesondere den "klägerseitigen Ausführungen" zur Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 16.12.2014 (L 6 R 2387/13) - überhaupt nicht auseinandergesetzt habe, fehlt es in der Beschwerdebegründung schon an einer Konkretisierung, welches Vorbringen genau dadurch verhindert worden sein soll (zu diesen Anforderungen grundlegend schon BSG Beschluss vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 S 53 f). Auch lässt die Beschwerdebegründung Ausführungen dazu vermissen, ob und inwieweit die Berufungsentscheidung auf einem angenommenen Gehörsverstoß beruhen kann. Aus den gleichen Gründen fehlt es an der schlüssigen Bezeichnung einer Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG , zumal das Gericht in den Entscheidungsgründen nicht zu jedem Beteiligtenvorbringen Stellung nehmen muss, wenn aus den Umständen erkennbar wird, dass es dieses für unerheblich hält. Allein die Rüge, das LSG habe auf ihren Vortrag aus dem Berufungsverfahren in den Entscheidungsgründen seines Beschlusses eingehen müssen, reicht insoweit nicht aus.

4. Nach alledem wendet sich die Klägerin im Kern - wie sich aus Ihren Ausführungen auf den S 4 ff ihrer Beschwerdebegründung ergibt - einzig gegen die materiell-rechtliche Bewertung ihres Sachverhalts durch das LSG am Maßstab des § 7 Abs 1 SGB IV , die sie für fehlerhaft hält, und stellt dieser ihre eigene abweichende Beurteilung gegenüber. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht gestützt werden.

5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

7. Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG in Höhe der vom LSG angenommenen Nachforderung festzusetzen.

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 03.04.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 R 3444/16
Vorinstanz: SG Heilbronn, vom 07.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 3620/14