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BSG - Entscheidung vom 25.04.2017

B 9 V 74/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 25.04.2017 - Aktenzeichen B 9 V 74/16 B

DRsp Nr. 2017/13758

Anerkennung eines höheren Grades der Schädigungsfolgen Grundsatzrüge Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ) beruft, muss daher eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. 3. Klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich bislang weder tragend entschieden noch präjudiziert ist, die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder so gut wie unbestritten ist, diese sich auch nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. September 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Der Beschwerdeführer begehrt die Anerkennung eines höheren Grades der Schädigungsfolgen (GdS) aufgrund besonderer beruflicher Betroffenheit.

Der Kläger hat in der ehemaligen DDR zwei rechtsstaatswidrige Inhaftierungen erlitten. Bei ihm ist deshalb als Schädigungsfolge iS von § 21 Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz ( StrRehaG ) eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) anerkannt, zuletzt mit einem GdS von 40.

Seinen Antrag auf Höherbewertung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit lehnte der Beklagte ab, Klage und Berufung blieben erfolglos. Das LSG hat ua ausgeführt, es lasse sich weder nachweisen, dass der Kläger einen Berufsabschluss als Meister für Schienenfahrzeugschlosser angestrebt habe, noch, dass das Nichterreichen dieses Berufs ursächlich auf die anerkannte Schädigungsfolge zurückzuführen sei (Urteil vom 19.9.2016).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und Verfahrensfehler begangen.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.) noch die angebliche grundsätzliche Bedeutung (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG ).

1. Die behauptete Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann.

a) Soweit der Kläger als Verfahrensmangel rügt, dass das LSG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG ; Art 103 Abs 1 GG ) verletzt habe, entsprechen seine Ausführungen nicht den Darlegungsanforderungen. Dieser Anspruch soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG ; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188 , 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267 , 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht braucht jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten ohne entsprechende Beweisaufnahme annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267 , 274), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133 , 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1 , 12; 76, 93, 98).

Die Beschwerde wirft dem LSG vor, es habe in seinem Urteil einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Nichterreichen des Facharbeiter- und Meisterabschlusses durch den Kläger und der bei ihm anerkannten Schädigungsfolge verneint, ohne auf den Inhalt von ihr benannter medizinischer Gutachten einzugehen. Darin soll nach Ansicht der Beschwerde eine Gehörsverletzung liegen. Indes legt die Beschwerde nicht substantiiert dar, warum sich aus den genannten Gutachten hinreichend konkrete Aussagen zur Auswirkung der verfolgungsbedingten psychischen Erkrankung des Klägers auf seine berufliche Entwicklung und hier insbesondere auf das Verfehlen des angeblich angestrebten Berufes entnehmen lassen sollten. Die von der Beschwerde zitierte Aussage des Prof. Dr. F: ..., beim Kläger sei eine erhebliche Beeinträchtigung für die Verwendung im Berufsleben zu verzeichnen gewesen, ist dafür zu allgemein gehalten. Wie die Beschwerde zudem selber einräumt, hat das LSG den entsprechenden Akteninhalt ausdrücklich zum Gegenstand seiner Beratung und Entscheidung gemacht. Schließlich stützt das LSG seine Kausalitätsbetrachtung, wie die Beschwerde ebenfalls mitteilt, auf eine in Bezug genommene versorgungsärztliche Stellungnahme des Beklagten. Deren Inhalt teilt die Beschwerde indes nicht mit und legt daher auch nicht dar, ob und in welcher Weise das LSG damit auf die von der Beschwerde für entscheidungserheblich gehaltenen Gutachten eingeht.

b) Die Beschwerde rügt als weiteren Verfahrensfehler, das LSG habe das Verfahren L 9 VE 3/13 über den Berufsschadensausgleich des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens L 9 VE 6/12 (jetzt B 9 V 84/16 B) über den Umfang der beim Kläger anzuerkennenden Schädigungsfolgen, speziell eines Morbus Crohn, aussetzen müssen und habe deshalb gegen § 114 Abs 2 SGG verstoßen. Nach dieser Vorschrift steht indes die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen des Gerichts. Zur Rüge eines Verstoßes gegen die Ermessensvorschrift des § 114 Abs 2 S 1 SGG muss daher dargetan werden, dass grundsätzlich eingeräumtes Ermessen im besonderen Streitfall auf Null reduziert und das Gericht zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet war. Das Ermessen reduziert sich nur dann zu einer Verpflichtung zur Aussetzung, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist ( BSG Beschluss vom 13.11.2006 - B 13 R 423/06 B - Juris). Warum die Möglichkeit, dass bei ihm auf dem Umweg über eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde eine weitere Schädigungsfolge anerkannt werden würde, eine Sachentscheidung im Verfahren um eine besondere berufliche Betroffenheit nach § 30 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz ( BVG ) ausschloss, hat der Kläger nicht dargelegt.

2. Ebenso wenig dargetan ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss daher eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s a BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn sie

- höchstrichterlich bislang weder tragend entschieden noch präjudiziert ist,

- die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder so gut wie unbestritten ist,

- diese sich auch nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.

a) Soweit die Beschwerde es sinngemäß für klärungsbedürftig hält, ob das rechtliche Gehör verletzt ist, wenn der wesentliche Inhalt medizinischer Gutachten, die das Berufungsgericht ausdrücklich in seine Entscheidungsfindung einbezogen hat, bei der Entscheidungsfindung offensichtlich übergangen worden ist, fehlt es an der Darlegung, warum sich diese Frage nicht bereits mithilfe der von der Beschwerde selbst zitierten Rechtsprechung insbesondere des BVerfG beantworten lässt. Danach ist ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen anzunehmen, wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten ohne entsprechende Beweisaufnahme annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267 , 274) oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133 , 146).

Darüber hinaus fehlt es, wie unter 1. aufgezeigt, an der substantiierten Darlegung, warum im Fall des Klägers eine solche Gehörsverletzung vorliegen und die aufgeworfene Frage deshalb überhaupt entscheidungserheblich sein sollte.

b) Soweit die Beschwerde es darüber hinaus für klärungsbedürftig hält, ob die Ausübung eines Berufs iS von § 30 Abs 2 S 1 BVG bereits mit Aufnahme einer Berufsausbildung beginnt, fehlt es bereits an der Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der Norm, mit ihrem gesetzlichen Kontext und den Gesetzesmaterialien, der vorinstanzlichen Entscheidung sowie der übrigen Rechtsprechung, der einschlägigen rechtswissenschaftlichen Literatur und der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wie es eine substantiierte Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung aber erfordern würde (vgl Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG , 2014, § 160a RdNr 50 mwN). Die Beschwerde behauptet lediglich, nach "Recherche" sei die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage klärungsbedürftig, ohne irgendwelche greifbaren Ergebnisse ihrer Nachforschungen mitzuteilen. Soweit die Beschwerde dabei den Kommentar von Rohr/Sträßer/Dahm zu § 30 BVG zitiert, teilt sie den Inhalt der Kommentierung nicht mit und setzt sich noch weniger damit auseinander. § 30 Abs 2 S 1 BVG unterscheidet zwischen dem nachweisbar angestrebten, dem begonnenen und dem ausgeübten Beruf. Auf den Unterschied zwischen diesen verschiedenen Stadien der beruflichen Entwicklung sowie die damit zusammenhängende gesetzliche Systematik geht die Beschwerde nicht ein. Insbesondere legt sie nicht dar, warum die Ausübung eines Ausbildungsberufs bereits ohne Abschluss der erforderlichen Ausbildung beginnen können soll (vgl Rohr/Sträßer/Dahm, BVG Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher, Stand Oktober 2015, § 30 Nr 3b BVG und § 5 S 3 Nr 1 Berufsschadensausgleich-VO).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 19.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 9 VE 3/13
Vorinstanz: SG Leipzig, vom 19.12.2012 - Vorinstanzaktenzeichen S 5 VE 23/10