Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 21.09.2017

IX ZB 5/17

Normen:
EuGVVO a.F. Art. 34 Nr. 1
EuZustVO Art. 14
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 21.09.2017 - Aktenzeichen IX ZB 5/17

DRsp Nr. 2017/14551

Vollstreckbarerklärung eines polnischen Zahlungsurteils; Versagung der Anerkennung der ausländischen Entscheidung wegen eines offensichtlichen Widerspruchs zur öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats (ordre public); Fehlerhafte Anwendung von Zustellungsvorschriften im Einzelfall; Anforderungen an eine wirksame Zustellung gegen Einschreiben mit Rückschein oder einen gleichwertigen Beleg

Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung kann nicht schon dann wegen eines offensichtlichen Widerspruchs zur öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats (ordre public) versagt werden, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erlassen wurde, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Der Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann. Die fehlerhafte Anwendung von Zustellungsvorschriften im Einzelfall erfüllt diese Voraussetzung nicht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. Januar 2017 wird auf Kosten der Antragsgegnerin mit der Maßgabe als unzulässig verworfen, dass die bis zum 22. Dezember 2014 zu zahlenden Zinsen in Höhe von 13 v.H. bereits seit dem 1. Juni 2011 zu leisten sind.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 6.911 € festgesetzt.

Normenkette:

EuGVVO a.F. Art. 34 Nr. 1 ; EuZustVO Art. 14; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Vollstreckbarerklärung eines polnischen Zahlungsurteils. Auf seine Klage erließ das Amtsgericht Szubin in Polen einen Mahnbescheid, gegen den die Antragsgegnerin nach Zustellung von Klage und Mahnbescheid Widerspruch einlegte und diesen begründete. Das Gericht veranlasste die Zustellung der Ladung zum Termin mittels Einschreiben mit Rückschein. Der Briefumschlag wurde ausweislich einer Empfangsbestätigung der Polnischen Post AG nicht abgeholt und ungeöffnet dem Gericht zurückgesandt. In der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2012 war die Antragsgegnerin weder erschienen noch vertreten. Am gleichen Tag verurteilte das Gericht die Antragsgegnerin zur Zahlung von 26.000 PLN nebst gesetzlicher Zinsen seit dem 1. Juni 2011 sowie zur Rückerstattung von Prozesskosten in Höhe von 3.913,14 PLN an den Antragsteller. Am 31. August 2012 erteilte das Gericht die Vollstreckungsklausel für das Urteil.

Der Antragsteller hat die Vollstreckbarerklärung des Urteils in Deutschland nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: EuGVVO aF) beantragt und hierzu beglaubigte und übersetzte Abschriften des Urteils, des Beschlusses vom 31. August 2012 und der Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO aF vorgelegt. Der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts hat dem Antrag stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht mit Maßgaben zur Höhe der Zinsen zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Antragsgegnerin weiter gegen die Vollstreckbarerklärung.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 EuGVVO aF, § 15 Abs. 1 AVAG , § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch wegen grundsätzlicher Bedeutung oder zur Rechtsfortbildung erforderlich.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt:

Die Unkenntnis der Antragsgegnerin von Terminsladung und Urteil könne zwar einen Verstoß gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public nach Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF begründen. Allerdings liege im Streitfall ein solcher Verstoß nicht vor. Das Ursprungsgericht habe die Ladung in Übereinstimmung mit Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl. 2007 Nr. L 324/79; fortan EuZustVO) mittels Einschreiben gegen Rückschein übersandt. Ob der Nachweis der Zustellung nur durch unterzeichneten Rückschein oder - wie im Streitfall - auch über die Dokumentation der Nichtabholung geführt werden könne, sei von der Verordnung nicht geregelt und durch das Ursprungsgericht zu entscheiden. Etwaige Rechtsanwendungsfehler des Ursprungsgerichts könnten wegen Art. 45 Abs. 2 EuGVVO aF nicht zur Ablehnung der Vollstreckbarerklärung führen. Wenn die Antragsgegnerin behaupte, ihr sei das Urteil nicht zugestellt worden, komme zwar eine Zustellung durch Einlegen in die Gerichtsakte nach Art. 1135 § 2 des polnischen ZVGB in Betracht, was gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public verstoßen könne. Indes habe die Antragsgegnerin trotz gerichtlichen Hinweises zu den Umständen der Zustellung nicht vorgetragen.

Die Vollstreckbarerklärung könne auch nicht deshalb nach Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF versagt werden, weil das polnische Urteil keine Begründung enthalte. Streitige Urteile bedürften nach polnischem Recht nur unter besonderen Umständen einer Begründung. Würden sie nicht angefochten, ermögliche Art. 328 ZVGB ein weniger aufwändiges Verfahren. Die Rechte eines Beklagten würden nicht tangiert, wenn ihm wie auch einem Dritten der Gegenstand der Verurteilung erkennbar sei. Diese Kenntnis könne wie im Streitfall auch durch die Zustellung der Klageschrift im Ursprungsverfahren und die Vorlage im Vollstreckbarerklärungsverfahren durch den Antragsteller vermittelt werden.

2. Die Rechtsbeschwerde zeigt keinen Zulässigkeitsgrund auf.

a) Insbesondere wurde der Anspruch der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gewahrt. Das Beschwerdegericht hat das als übergangen gerügte Vorbringen der Antragsgegnerin, ihr sei die Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht ausgehändigt worden, vielmehr sei der Briefumschlag mit der Ladung ungeöffnet und ohne Unterzeichnung des Rückscheins zurückgegangen, ausweislich der Gründe zur Kenntnis genommen. Gleiches gilt für ihren Vortrag, sie verfüge über keinen Briefkasten, sie habe nach dem Widerspruch vom polnischen Gericht nichts mehr gehört und das Urteil erstmals im Vollstreckbarerklärungsverfahren erhalten. Das Beschwerdegericht hat, ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, diesen Umständen nur eine andere Bedeutung beigemessen. Das verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG . Weiteren Vortrag der Antragsgegnerin auf den Hinweis des Beschwerdegerichts, auf welche Art und Weise die Zustellung des Urteils erfolgt sein soll, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

b) Das Beschwerdegericht hat seiner Prüfung zum Anerkennungsversagungsgrund des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF den zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Die Voraussetzungen für einen Zulässigkeitsgrund sind nicht erfüllt.

aa) Die Anerkennung der ausländischen Entscheidung kann nicht schon dann wegen eines offensichtlichen Widerspruchs zur öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats (ordre public) versagt werden, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erlassen wurde, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Der Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (BGH, Beschluss vom 26. August 2009 - XII ZB 169/07, BGHZ 182, 188 Rn. 25 mwN; vom 10. September 2015 - IX ZB 39/13, WM 2016, 574 Rn. 12).

bb) Die fehlerhafte Anwendung von Zustellungsvorschriften im Einzelfall erfüllt diese Voraussetzung nicht. Deshalb sind die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Fragen zum Nachweis einer wirksamen Zustellung der Ladung mittels Einschreiben mit Rückschein nach Art. 14 EuZustVO nicht entscheidungserheblich. Das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs erstreckt sich nicht auf eine bestimmte verfahrensrechtliche Ausgestaltung, etwa die Ladung zum Verhandlungstermin (BGH, Urteil vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 , 321; Beschluss vom 6. Oktober 2005 - IX ZB 360/02, NJW 2006, 701 Rn. 17). Im Übrigen hat der Europäische Gerichtshof die Anforderungen geklärt, die an eine wirksame Zustellung gegen Einschreiben mit Rückschein oder einen gleichwertigen Beleg im Sinne des Art. 14 EuZustVO zu stellen sind (EuGH, Urteil vom 2. März 2017 - C-354/15, Henderson / Novo Banco, EuZW 2017, 344 Rn. 70 ff).

cc) Die Würdigung des Beschwerdegerichts, das Fehlen der Urteilsbegründung verstoße im Streitfall nicht gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public, erfüllt keinen Zulässigkeitsgrund. Das Beschwerdegericht geht von dem zutreffenden rechtlichen Maßstab des Begründungserfordernisses aus (vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2012 - C-619/10, Trade Agency / Seramico, EuZW 2012, 912 Rn. 52 ff; BGH, Beschluss vom 10. September 2015, aaO Rn. 23). Soweit es das Grundrecht der Antragsgegnerin auf ein faires Verfahren im Streitfall gleichwohl als nicht beeinträchtigt angesehen hat, weil sich der Sachverhalt der zugestellten und auch im Vollstreckbarerklärungsverfahren vorgelegten Klageschrift entnehmen lasse, ist diese tatrichterliche Würdigung zulassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere besteht die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Divergenz zum Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. September 2015 (aaO) nicht. Danach steht die fehlende Begründung des ausländischen Urteils einer Vollstreckbarerklärung in Deutschland dann entgegen, wenn das Urteil weder allein noch zusammen mit anderen vorgelegten Urkunden den zugrunde liegenden Sachverhalt erkennen lässt (aaO Rn. 28). Einen hiervon abweichenden Obersatz hat das Beschwerdegericht nicht aufgestellt. Das gilt auch, soweit es die Kenntnis der Klageschrift für ausreichend hält (vgl. BGH, aaO Rn. 27).

dd) Auch die unterlassene Zustellung des Urteils durch das Ursprungsgericht stellt für sich genommen keinen Verstoß gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public dar. Bereits aus Art. 42 Abs. 2 EuGVVO aF ergibt sich, dass eine vorherige Zustellung der ausländischen Entscheidung keine Voraussetzung für eine Vollstreckbarerklärung ist. Deshalb kommt es nicht darauf an, welche Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Zustellungsvorschriften durch den Beschwerdeführer zu stellen sind. Die gerügte Obersatzabweichung zum Beschluss vom 10. September 2015 (aaO) liegt nicht vor. Im Einklang mit dieser Entscheidung ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die einen Anerkennungsversagungsgrund ausfüllenden Tatsachen vom Antragsgegner vorzutragen sind und eine nach Art. 1135 § 2 ZVGB vorgenommene Zustellung gegen den verfahrensrechtlichen ordre public verstößt.

3. Der Ausspruch des Beschwerdegerichts war richtig zu stellen, weil das polnische Urteil eine Verzinsung der Hauptforderung bereits seit dem 1. Juni 2011 vorsieht (§ 319 Abs. 1 ZPO ).

Vorinstanz: LG Münster, vom 10.07.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 11 O 70/14
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 03.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen I-25 W 296/14