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BGH - Entscheidung vom 16.02.2017

V ZB 116/16

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 4 S. 2

BGH, Beschluss vom 16.02.2017 - Aktenzeichen V ZB 116/16

DRsp Nr. 2017/4090

Verlängerung der Abschiebungshaft gegenüber einem Ausländer über sechs Monate hinaus; Vernichtung des Passes durch den Betroffenen vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland (BRD); Notwendige Belehrung des Ausländers über die Mitwirkungspflichten durch die Ausländerbehörde

Eine Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus kann gerechtfertigt sein, wenn der Ausländer seine Abschiebung verhindert. Die Vernichtung des Passes durch den Betroffenen vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland weist jedoch nicht den erforderlichen Bezug zu einer konkret zu erwartenden und sich bereits abzeichnenden Abschiebung auf.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 18. Juli 2016 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts Mühldorf am Inn vom 15. Juni 2016 und vom 27. Juni 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 4 S. 2;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am 18. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne im Besitz eines Passes oder aufenthaltslegitimierender Papiere zu sein. Er wurde vorläufig festgenommen und am 19. Dezember 2015 polizeilich vernommen. Am gleichen Tag wurde die Abschiebung nach Marokko verfügt. Auf Antrag der beteiligten Behörde wurde gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 17. Juni 2016 angeordnet.

Das Amtsgericht hat auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 15. Juni 2016 die Haft bis zum 1. Juli 2016 und mit Beschluss vom 27. Juni 2016 bis zum 15. Juli 2016 verlängert. Die hiergegen gerichteten Beschwerden des Betroffenen, die jeweils mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung des Amtsgerichts festzustellen, fortgeführt wurden, hat das Landgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2016 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene, der am 7. Juli 2016 abgeschoben worden ist, seine Feststellungsanträge weiter. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Verlängerung der Abschiebungshaft hätten vorgelegen. Insbesondere habe die Haft über sechs Monate hinaus angeordnet werden können. Der Betroffene habe die über drei Monate hinausgehende Dauer selbst zu vertreten. Er habe nach seinen Angaben bei der Polizei seinen Pass zerrissen und sei anschließend ohne Pass nach Europa eingereist. Soweit er sich bei seiner Anhörung am 5. Februar 2016 dahingehend eingelassen habe, dass ihm sein Reisepass von Schleusern abgenommen worden sei, stehe dies in Widerspruch zu seinen bisherigen Angaben und sei unglaubwürdig. Durch die Vernichtung des Reisepasses sei ein langwieriges Verfahren zur Beschaffung des Passersatzpapieres erforderlich geworden. Trotz der Belehrung anlässlich seiner Anhörung am 5. Februar 2016 habe der Betroffene keine Versuche unternommen, die Bearbeitung zu beschleunigen (§ 48 Abs. 3 , § 82 AufenthG ). Er habe von Anfang an deutlich gemacht, an seiner Abschiebung nach Marokko nicht mitzuwirken. Dies sei zur Überzeugung der Kammer mitursächlich dafür, dass die Abschiebung bislang nicht habe durchgeführt werden können.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Die Feststellungen des Beschwerdegerichts sind nicht geeignet, die Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus zu tragen. Dies setzt nach § 62 Abs. 4 Satz 2 AufenthG voraus, dass der Ausländer seine Abschiebung verhindert. Die Vernichtung des Passes durch den Betroffenen vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland weist nicht den erforderlichen Bezug zu einer konkret zu erwartenden und sich bereits abzeichnenden Abschiebung auf (vgl. näher Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 99/16, [...] Rn. 8 ff.). In Bezug auf die von dem Beschwerdegericht angenommene pflichtwidrige Verletzung von Mitwirkungspflichten (vgl. §§ 48 , 49 AufenthG , § 15 AsylG ) fehlt es an Feststellungen, dass die Ausländerbehörde den Betroffenen über diese belehrt, sie ihn zur Vornahme der im jeweiligen Einzelfall erforderlichen konkreten Mitwirkungshandlung aufgefordert und der Betroffene deren Vornahme verweigert hat (Senat, Beschluss vom 19. Januar 2017 - V ZB 99/16, [...] Rn. 13).

2. Die Verlängerung der Haft durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Juni 2016 ist auch, soweit sie den Zeitraum bis zum 18. Juni 2016 betrifft, rechtswidrig. Zwar überschreitet die Abschiebungshaft bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Frist von sechs Monaten. Nach den Ausführungen in dem Antrag auf Haftverlängerung war aber ausgeschlossen, dass die Abschiebung des Betroffenen innerhalb von drei Tagen erfolgen konnte. Die Haft durfte daher auch insoweit nicht aufrechterhalten werden.

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorinstanz: AG Mühldorf am Inn, vom 15.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 XIV 67/16
Vorinstanz: AG Mühldorf am Inn, vom 27.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 XIV 75/16
Vorinstanz: LG Traunstein, vom 18.07.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 2163/16 4 T 2295/16