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BGH - Entscheidung vom 13.07.2017

IX ZB 110/16

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233 S. 1 Fd
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233 S. 1 (Fd)
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233 S. 1

Fundstellen:
DB 2017, 3070
FamRZ 2017, 1852
MDR 2017, 1070
WM 2018, 576

BGH, Beschluss vom 13.07.2017 - Aktenzeichen IX ZB 110/16

DRsp Nr. 2017/15964

Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten; Fehlende Regelung einer Urlaubsvertretung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts bei dessen Urlaubsabwesenheit; Ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens; Konkrete Einzelanweisung zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist

Den Prozessbevollmächtigten trifft ein seiner Partei anzulastendes Organisationsverschulden, wenn bei Urlaubsabwesenheit des sachbearbeitenden Rechtsanwalts eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt nicht geregelt ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 18. November 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Der Gegenstandswert für die Rechtsbeschwerde wird auf 36.294,52 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 233 S. 1;

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht auf Zahlung anwaltlicher Gebühren in Höhe von 36.294,52 € in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 9. Juni 2016, das der Klägerin am 15. Juni 2016 zugestellt worden ist, abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 7. Juli 2016 Berufung eingelegt.

Der bei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin sachbearbeitende Rechtsanwalt S. hat am 1. August 2016 den weitgehend fertiggestellten Entwurf einer Berufungsbegründung mit der Bitte um Verfeinerung und Verfestigung Rechtsanwalt G. als zuständigem Dezernenten übermittelt. Am 5. oder 6. August 2016 hat sich Rechtsanwalt G. telefonisch bei Rechtsanwalt S. mit Rücksicht auf dessen am 8. August 2016 beginnenden dreiwöchigen Erholungsurlaub nach den erforderlichen Anpassungen erkundigt. Im Anschluss hat Rechtsanwalt S. die für ihn tätige Büroangestellte W. angewiesen, ihn rechtzeitig vor Fristablauf am 15. August 2016 an die Frist der Berufungsbegründung zu erinnern. Am 16. August 2016 ist in der Kanzlei der Klägerin festgestellt worden, dass die bis zum 15. August 2016 laufende Berufungsbegründungsfrist versäumt worden ist. Am 19. September 2016 hat die Klägerin in Verbindung mit der Berufungsbegründung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klägerin habe weder eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens noch eine hinreichend konkrete Einzelanweisung zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist dargetan.

Unabhängig davon, ob der Vortrag der Klägerin zur Organisation der Fristenkontrolle den insoweit zu beachtenden Anforderungen entspreche, könne dem Klagevortrag nicht entnommen werden, welche Kontrollmaßnahmen ergriffen würden, um im Falle der Urlaubsabwesenheit des sachbearbeitenden Anwalts die Einhaltung der laufenden Berufungsbegründungsfrist, insbesondere die Eintragung in den Fristenkalender, sicherzustellen. Die Organisation zur Fristenkontrolle im Falle der Urlaubsabwesenheit sei schon deshalb unzureichend, weil eine Regelung für den hier vorliegenden Fall, dass eine Fristsache bereits vorliege, der Sachbearbeiter sie jedoch bis zum Urlaubsantritt nicht mehr erledigen könne, nicht getroffen worden sei. Die Darstellung, es sei selbstverständlich gewesen, dass die Sache in Urlaubsabwesenheit von Rechtsanwalt S. an Rechtsanwalt G. vorzulegen sei, ersetze nicht den konkreten Vortrag und sei zudem nicht glaubhaft gemacht worden. Es sei nicht ersichtlich, dass die Büromitarbeiterin W. gehalten gewesen sei, die für Rechtsanwalt S. notierte Frist auf Rechtsanwalt G. umzutragen. Ebenso sei die Büromitarbeiterin Wa. nicht angehalten worden, Rechtsanwalt G. an unerledigte Berufungsbegründungsfristen von Rechtsanwalt S. zu erinnern.

Dem Vorbringen lasse sich auch keine hinreichend konkrete Einzelanweisung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts S. oder des Dezernatsleiters Rechtsanwalt G. entnehmen, welche bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Beide hätten die Angestellte W. nicht daran erinnert, die für Rechtsanwalt S. notierte Frist auf Rechtsanwalt G. oder einen Urlaubsvertreter umzutragen. Die Anweisung von Rechtsanwalt S. an die Büroangestellte W. , ihn rechtzeitig an die Frist zur Berufungsbegründung zu erinnern, sei zur Fristwahrung ungeeignet gewesen, weil er in dem maßgeblichen Zeitpunkt urlaubsabwesend sein würde.

2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist aber unzulässig, weil ein Zulässigkeitsgrund im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO nicht durchgreift. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten sich im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Der Klägerin kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem ihr zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO ) Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten beruht (§ 233 Satz 1 ZPO ). Die Büroorganisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin genügte in Vertretungsfällen nicht den insoweit zu beachtenden rechtlichen Anforderungen. Außerdem fehlte es an einer Einzelanweisung der mit der Sache befassten Rechtsanwälte S. und G. , bei deren Befolgung das Fristversäumnis vermieden worden wäre.

a) Im Streitfall trifft die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Organisationsverschulden, weil nach den kanzleiinternen Anordnungen eine Fristwahrung im Falle der Abwesenheit des sachbearbeitenden Rechtsanwalts nicht gewährleistet war.

aa) Es gehört zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmitteleinlegungs- und Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden, und zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 - III ZB 55/14, NJW 2015, 2041 Rn. 8; vom 25. Februar 2016 - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 10). Ein Rechtsanwalt hat im Rahmen seiner Organisationspflichten grundsätzlich auch dafür Vorkehrungen zu treffen, dass im Falle seiner Abwesenheit ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen wahrnimmt (BGH, Beschluss vom 27. September 2016 - XI ZB 12/14, NJW-RR 2017, 308 Rn. 9 mwN). Sofern der mit der Sache befasste Rechtsanwalt abwesend ist, muss im Büro Vorsorge getroffen werden, dass die Akte einem erreichbaren anderen Anwalt vorgelegt wird. Bei entsprechender Büroorganisation, nämlich der Anweisung an das Büropersonal, bei Verhinderung des mit der Sache befassten Anwalts die Akte einem anderen Anwalt mit Hinweis auf die demnächst ablaufende Frist vorzulegen, kann die Versäumung einer Frist vermieden werden (BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - X ZR 100/07, GRUR 2008, 280 Rn. 5).

bb) Innerhalb des Büros der Prozessbevollmächtigten der Klägerin war nicht sichergestellt, dass in Vertretungsfällen Fristsachen einem zuständigen Rechtsanwalt rechtzeitig vorgelegt werden.

(1) Die Klägerin hat zur Büroorganisation ihrer Prozessbevollmächtigten folgendes vorgetragen: Der sachbearbeitende Rechtsanwalt habe Fristsachen grundsätzlich vor Urlaubsantritt zu erledigen. Kurzfristig eingehende Fristsachen seien Rechtsanwalt G. als Dezernatsleiter zwecks Auswahl des Sachbearbeiters vorzulegen. Die Vertretung in Terminsachen werde abgesprochen und dadurch vor Urlaubsantritt ein Vertreter bestimmt, so dass betroffene Termine in den Kalender des Vertreters umgetragen würden.

(2) Diese organisatorischen Abläufe sind nicht geeignet, in Vertretungsfällen eine rechtzeitige Vorlage der Akten an einen verantwortlichen Rechtsanwalt und damit die Fristwahrung zu gewährleisten, wenn - wie im Streitfall - der ursprünglich sachbearbeitende Rechtsanwalt eine Terminsache vor seinem Urlaubsantritt nicht abschließend erledigt. In einer derartigen Gestaltung sieht die Organisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin keine allgemeinen Vertretungsregeln vor. Vielmehr hätte, weil es sich nicht um eine kurzfristig eingehende Fristsache handelte, eine Absprache über die Vertretung erfolgen und der Termin im Kalender des Vertreters eingetragen werden müssen. Bei dieser Sachlage konnte die Frist nicht mit Hilfe der allgemeinen Kanzleiorganisation, sondern nur auf der Grundlage einer Verständigung zwischen den Anwälten und einer entsprechenden Einzelanweisung an das Büropersonal gewahrt werden. Die bloße Erinnerung der Mitarbeiter an den Fristablauf durch das von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingesetzte Datenverarbeitungsprogramm war zur Fristwahrung nicht geeignet, weil entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen keine Anweisung an das Büropersonal ergangen war, im Falle der Abwesenheit des sachbearbeitenden Anwalts den Vorgang einem anderen Anwalt vorzulegen (BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - X ZR 100/07, GRUR 2008, 280 Rn. 5). Die zentrale Erfassung der Fristen kann einem Fristversäumnis nur vorbeugen, wenn - woran es hier fehlt - das Personal dahin instruiert wird, die Sache im Falle der Abwesenheit des sachbearbeitenden Anwalts einem anderen Anwalt vorzulegen.

(3) Mit Recht hat das Berufungsgericht das nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist im Schriftsatz vom 16. November 2016 enthaltene Vorbringen der Klägerin, dass Rechtsanwalt G. generell die Vertretung für Rechtsanwalt S. übernehme und deswegen Rechtsanwalt S. betreffende Terminsachen ihm vorzulegen seien, nicht berücksichtigt. Grundsätzlich müssen alle Tatsachen, die für die Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 234 Abs. 1 , § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen auch nach Fristablauf noch erläutert oder vervollständigt werden (BGH, Beschluss vom 16. August 2016 - VI ZB 19/16, N JW 2016, 3312 Rn. 7; Beschluss vom 2. Februar 2017 - VII ZB 41/16, NJW-RR 2017, 627 Rn. 15). Im Streitfall geht es nicht um unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben. Vielmehr hat die Klägerin im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Darstellung, wonach die Vertretung individuell abgesprochen wird, nachträglich eine feststehende Vertretungsregel behauptet. Damit kann sie nicht gehört werden; zudem ist diese Darstellung nicht glaubhaft gemacht worden.

b) Die aufgezeigten Versäumnisse sind nicht nach den Grundsätzen zum Verschulden eines Prozessbevollmächtigten bei Vorliegen einer konkreten Einzelanweisung unerheblich. Danach kommt es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen einer Kanzlei für die Fristwahrung nicht entscheidend an, wenn der Anwalt eine klare und präzise Anweisung für den konkreten Fall erteilt, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 13; vom 25. Februar 2016 - III ZB 42/15, NJW 2016, 1742 Rn. 12 mwN; vom 6. April 2016 - VII ZB 7/15, NJW-RR 2016, 1262 Rn. 13 mwN). Im Streitfall fehlt es an einer derartigen Weisung durch die mit der Sache befassten Rechtsanwälte S. und G.

aa) Nach der Darstellung der Klägerin wies Rechtsanwalt S. die Mitarbeiterin W. im Anschluss an die von ihm am 5. oder 6. August 2016 mit Rechtsanwalt G. geführte fernmündliche Unterredung an, ihn rechtzeitig vor Fristablauf am 15. August 2016 an die Frist zur Berufungsbegründung zu erinnern. Diese Weisung war ersichtlich nicht tauglich, die Wahrung der Frist sicherzustellen, weil sich Rechtsanwalt S. am 8. August 2016 in einen dreiwöchigen Urlaub begab und mithin infolge Ortsabwesenheit außerstande war, auf einen entsprechenden Hinweis selbst die Frist einzuhalten.

bb) Ausweislich des Klägervorbringens hat sich Rechtsanwalt G. schon nicht mit Rechtsanwalt S. dahin verständigt, wer dessen Vertretung übernehmen sollte. Vor diesem Hintergrund ist durch Rechtsanwalt G. eine Weisung hinsichtlich der Übernahme der Vertretung nicht an die Kanzleimitarbeiterinnen W. und Wa. ergangen. Folglich bestand für die Mitarbeiterinnen keine Veranlassung, die Frist in den Kalender von Rechtsanwalt G. umzutragen und diesem die Akte vorzulegen. Die Klägerin kann sich mithin nicht dahin entlasten, die Mitarbeiterinnen ihrer Prozessbevollmächtigten hätten es aufgrund eines Versehens versäumt, die Sache rechtzeitig Rechtsanwalt G. vorzulegen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 09.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 316 0 361/15
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 18.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 U 149/16
Fundstellen
DB 2017, 3070
FamRZ 2017, 1852
MDR 2017, 1070
WM 2018, 576