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BGH - Entscheidung vom 23.08.2017

1 StR 269/17

Normen:
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 64

BGH, Beschluss vom 23.08.2017 - Aktenzeichen 1 StR 269/17

DRsp Nr. 2017/15096

Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Vorliegen eines Hanges im Hinblick auf den Konsum von Marihuana; Umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel

Für einen Hang ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 2 ; StPO § 349 Abs. 4 ; StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Einziehungs- und eine Verfallsentscheidung getroffen.

Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6) begann der Angeklagte nach eigenen Angaben im Alter von 15/16 Jahren mit dem Konsum von Cannabis, steigerte diesen und ergänzte ihn später durch den Konsum von Alkohol und anderen Stimulanzien. Vor der Festnahme im vorliegenden Verfahren konsumierte er Cannabis und Amphetamin in nicht genau feststellbaren Mengen. Bei dem Angeklagten liegt weder eine Abhängigkeitserkrankung noch eine rauschmittelbedingte Persönlichkeitsveränderung vor. Der Betäubungsmittelkonsum hat - so die Feststellungen des Landgerichts - das psychische und soziale Leistungsvermögen des Angeklagten nicht eingeschränkt und nicht zu einer Gesundheitsgefährdung geführt.

Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass diese auch dazu dienen sollte, den Eigenkonsum des Angeklagten "in der Größenordnung von bis zu einem Gramm pro Tag" zu finanzieren (UA S. 10).

Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht die Kammer im Rahmen der Ausführungen zu den Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt davon aus, dass bei dem nicht betäubungsmittelabhängigen Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht festzustellen sei. Es hätten sich - wie im Rahmen der Ausführungen zum Betäubungsmittelkonsum und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten dargestellt - keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte (UA S. 22 f.).

2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB im Hinblick auf den Konsum von Marihuana ausgegangen ist. Sie enthalten zudem keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.

Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 - 1 StR 604/16, StV 2017, 672 und vom 14. Juni 2016 - 1 StR 219/16, BGHR StGB § 64 Hang 4; Urteile vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 ). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 - 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103 ). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15).

Diesem Maßstab genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht. Das Landgericht hätte sich nicht damit begnügen dürfen, allein darauf abzustellen, ob der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte. Es hätte vielmehr auch prüfen müssen, ob eine durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, vorliegt, wobei es insbesondere die lange Konsumdauer, die Vorahndungen des Angeklagten wegen Betäubungsmitteldelikten, die (auch) dem Eigenkonsum dienten, den Aufenthalt im Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim im Jahr 2013 zur Entgiftung im Hinblick auf eine dort angenommene Abhängigkeit von Cannabis (UA S. 18) und die Passivität des Angeklagten mit einem überwiegenden Verbleib in der Wohnung (UA S. 18) in den Blick hätte nehmen müssen. Hinzu kommt, dass die Feststellungen des Landgerichts zum Umfang des Betäubungsmittelkonsums nicht widerspruchsfrei sind (UA S. 6 und 10).

3. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt - gegebenenfalls ergänzend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO ; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 , 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107 ); er hat die Nichtanordnung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.

Vorinstanz: LG Mannheim, vom 21.02.2017