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BGH - Entscheidung vom 03.05.2017

X ZR 65/15

Normen:
PatG § 121 Abs. 2 S. 2
ZPO § 97 Abs. 1

BGH, Urteil vom 03.05.2017 - Aktenzeichen X ZR 65/15

DRsp Nr. 2017/11314

Beurteilung der Patentfähigkeit einer Vorrichtung zum Rauchen (Europäisches Patent 1 906 775); Einbringung einer gefüllten Kapsel in deren Filterelement; Sichere Ermöglichung der zielgerichteten Freisetzung der Kapselfüllung und einfachen Handhabung; Beruhen des Patents auf erfinderischer Tätigkeit

1. Ist dem Fachmann die Wahl einzelner Werte aus einer einheitlich beanspruchten Spanne durch den Stand der Technik nahegelegt, kann diese, wenn sie naheliegende Werte einschließt, insgesamt nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten.2. Für die Frage, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahegelegt hat, kommt es aber nicht nur auf die sich ihm unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung erschließenden Informationen an, sondern auch auf diejenigen, die er erst kraft seines Fachwissens aus ihr ableiten kann.3. Es gehört zum Fachwissen, dass beim Verglühen von Tabak neben Kohlenmonoxid Wasser freigesetzt wird und der vom Raucher angesaugte Rauchstrom einen hohen Feuchtigkeitsgehalt (bis zu 80%) aufweist. Der Fachmann weiß zugleich aber auch um die Wasserlöslichkeit als eine Eigenschaft von Gelatine. Vor diesem Hintergrund mussten sich beim Fachmann im Zusammenhang mit den nach der US-amerikanische Patentanmeldung 2004/261807 (NiK1) zu vermeidenden Wechselwirkungen zwischen Rauchstrom und Kapselmaterial Zweifel daran einstellen, dass Gelatine dafür das Mittel der Wahl war, als das es im ersten Zugriff auf die Lehre von NiK1 durchaus erscheinen konnte. In Anbetracht dieses ambivalenten Befunds hätte der Fachmann die Lehre von NiK1 nachgearbeitet und das Verhalten der danach hergestellten Kugeln in Rauchtests überprüft. Bei Durchführung solcher Tests mussten zwangsläufig dieselben Ergebnisse zutage treten, zu denen die Anmelder des Streitpatents gelangt waren, nämlich dass die Kapseln während des Rauchvorgangs aufweichen und infolgedessen vom Raucher nicht mehr oder nur schwer zerbrochen werden können.

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 27. Januar 2015 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Normenkette:

PatG § 121 Abs. 2 S. 2; ZPO § 97 Abs. 1 ;

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 21. Juni 2006 unter Inanspruchnahme der internationalen Anmeldungen vom 21. Juni 2005 (PCT/EP2005/008503) und vom 5. August 2005 (PCT/EP2005/009227) international angemeldeten europäischen Patents 1 906 775 (Streitpatents), dessen Erteilung am 19. August 2009 bekanntgemacht worden ist. Es umfasst 26 Ansprüche, von denen die Ansprüche 1, 16, 25 und 26 in der Verfahrenssprache lauten:

"1. A smoking device comprising

- a recipient, including or able to receive burning products, preferably tobacco,

- a filter element connected to the recipient,

wherein said filter comprises at least one breakable capsule, said capsule

- having an initial crush strength Ci from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp),

- keeping a crush strength Cf from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp) and presenting a deformation of less than two third of its diameter prior to rupture after having been submitted to the smoking test A.

16. A breakable capsule suitable for being incorporated in the filter of a smoking device, comprising a core and a shell, said capsule:

- having an initial crush strength Ci from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp) and keeping a crush strength Cf from 4,9 N to 24,5 N (0,5 to 2,5 kp) after having been submitted to the smoking test A,

- and presenting a deformation of less than two third of its diameter prior to rupture after having been submitted to the smoking test A.

25. A filter for smoking device comprising at least a breakable capsule as defined in anyone of claims 16 to 24.

26. Use of a breakable capsule according to anyone of claims 16 to 24 in a smoking device."

Wegen der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 15 und der auf Anspruch 16 rückbezogenen Ansprüche 17 bis 24 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

Die Klägerin hat das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, sein Gegenstand sei nicht patentfähig; er sei nicht neu, beruhe jedenfalls aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Streitpatent offenbare die Erfindung außerdem nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fach-mann sie ausführen könne. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise beschränkt verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte in erster Linie ihren Klageabweisungsantrag weiter, hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in den bereits vor dem Patentgericht zur Entscheidung gestellten beschränkten Fassungen.

Entscheidungsgründe

I. 1.Das Streitpatent bezieht sich auf Vorrichtungen zum Rauchen, in deren Filterelement (mindestens) eine gefüllte Kapsel eingebracht wird, die zerbrochen werden kann, um die Füllung freizusetzen.

Seiner Beschreibung zufolge waren im Stand der Technik Zigaretten bekannt, deren Filterelemente einen Hohlraum für eine Kapsel aus einer Gelatineschale und mit einer Aromastoffe enthaltenden flüssigen Zusammensetzung im Inneren aufwiesen, die während des Aufrauchens der Zigarette zerbrochen werden konnte.

Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das Problem, die zielgerichtete Freisetzung der Kapselfüllung sicher zu ermöglichen und einfacher in der Handhabung zu gestalten. Dazu schlägt Patentanspruch 1 in der Merkmalsgliederung des Patentgerichts vor:

a)

Eine Vorrichtung zum Rauchen, die

b)

eine Aufnahme ("recipient, including or able to receive ...") für verbrennbare Stoffe, namentlich Tabak, und

c)

ein mit der Aufnahme verbundenes Filterelement umfasst,

d)

wobei der Filter wenigstens eine zerbrechbare Kapsel enthält, die

d1)

eine Ausgangsbruchfestigkeit Ci von 4,9 N bis 24,5 N (0,5 bis 2,5 kp) aufweist, nach Durchführung des Rauchtests A

d2)

die Bruchfestigkeit Cf von 4,9 N bis 24,5 N (0,5 bis 2,5 kp) bewahrt und

d3)

sich um weniger als zwei Drittel ihres Durchmessers vor dem Zerbrechen verformen lässt.

2. a) Bei den von Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten "Vorrichtungen zum Rauchen" handelt es sich im Wesentlichen um Filterzigaretten, in deren Filterelement wenigstens eine zerbrechbare Kapsel eingebracht ist. Solche Kapseln enthalten in ihrem Kern ("core") eine Füllung mit Düften oder Aromen, die üblicherweise in einem lipophilen Lösungsmittel, vorzugsweise in einem mittleren Triglycerid-Lösungsmittel, dispergiert oder aufgelöst sind (vgl. Unteranspruch 8). Geeignete Duftstoffe sind der Beschreibung zufolge solche für Süßwaren oder blumige, süßliche und holzige Duftstoffe; geeignete Aromen sind Vanille-, Kaffee-, Schokolade-, Zimt- und Minzearomen (Beschreibung Abs. 37). Der Raucher soll die Schale der Kapsel durch Fingerdruck zerbrechen können, um die Duft- und Aromastoffe freizusetzen.

b) Dem Streitpatent zufolge sind die bekannten Gelatinekapseln zwar ein gutes Gefäß für solche Füllungen, sie sind aber feuchtigkeitsempfindlich und weichen durch die beim Rauchen entstehende Feuchtigkeit (Wasserdampf) so stark auf, dass sie sich mit den Fingern kaum noch oder gar nicht mehr zerbrechen lassen.

c) Die vom Streitpatent vorgeschlagene Lösung sieht Kapseln vor, die den in den Merkmalen d1 bis d3 festgelegten Messdaten entsprechen.

Merkmal d1 betrifft die anfängliche Bruchfestigkeit Ci (C initial), die vor dem Rauchen gemessen wird. In der Beschreibung wird dazu ein Messverfahren vorgestellt, bei dem manuell Druck auf eine Kapsel ausgeübt und unter Einsatz eines bestimmten digitalen Kraftmessers die maximale Kraft aufgezeichnet wird, die im Augenblick des Bruchs auf sie wirkt.

Gemäß Merkmal d2 weisen die Kapseln die Bruchfestigkeit Cf (C final) auf, nachdem die Zigarette einem bestimmten Test ("Rauchtest A") unterzogen worden ist. Der Beschreibung zufolge werden dabei Zigaretten an einer bestimmten Rauchmaschine des Unternehmens H. B. maschinell unter Vorgabe bestimmter Parameter wie Zugvolumen, -intervall, -dauer und -laufzeit sowie Ausstoßlaufzeit abgeraucht (vgl. Beschreibung Abs. 12). Der Wert der danach gemessenen Bruchfestigkeit Cf kann auf die gleiche Art und Weise ermittelt werden wie der von Ci.

Der Bereich für die Werte von Cf deckt sich mit dem für Ci. Dies bedeutet aus fachmännischer Sicht, dass beide Werte sich in den beanspruchten Spannen bewegen; der Wert Cf einer bestimmten Kapsel(-sorte) muss aber, worüber zwischen den Parteien Einvernehmen besteht, nicht genau so hoch sein wie der von Ci.

Merkmal d3 ist aus fachmännischer Sicht komplementär mit Merkmal d2. Eine der Lehre von Patentanspruch 1 entsprechende Kapsel muss, abgesehen vom Wert Ci, sowohl einen Bruchfestigkeitswert Cf gemäß Merkmal d2 aufweisen, als auch vor Erreichen der in Merkmal d3 festgelegten Grenze brechen. Beträgt der Außendurchmesser einer Kapsel entsprechend einem Ausführungsbeispiel (vgl. Beschreibung Abs. 18, Unteranspruch 6) beispielsweise 4,5 mm, ergibt sich für die Deformationsresistenz, dass die Kapsel bei Ausübung einer vertikalen Kraft zwischen 4,9 und 24,5 N brechen muss, bevor der horizontale Durchmesser auf 7,5 mm angestiegen ist.

Über die Merkmale d1 bis d3 hinaus enthält Patentanspruch 1 keine die körperliche oder materialmäßige Beschaffenheit der Kapseln näher definierenden Angaben.

d) Aus der Beschreibung des Streitpatents ergibt sich, dass den Kapseln die Aufnahme bestimmter Hydrokolloide in ihre äußere Schale oder in deren Beschichtung als Feuchtigkeitsbarriere zu hinreichender Formstabilität verhilft, um auch noch bestimmungsgemäß zerbrochen werden können, nachdem sie der durch das Rauchen entwickelten Feuchtigkeit ausgesetzt wurden. Die Schale kann dazu wenigstens eines der diversen im Streitpatent angeführten Hydrokolloide oder Mischungen daraus enthalten (vgl. Beschreibung Abs. 19 und Unteransprüche 9 und 10).

Gemäß einer anderen Ausführungsform ist die Schale mit wenigstens einer als Feuchtigkeitsbarriere dienenden Außenschicht überzogen (Unteranspruch 12), zu deren näherer Ausgestaltung die Unteransprüche 13 bis 15 nähere Vorschläge enthalten.

Nach einer bevorzugten Ausführungsform wird die erfindungsgemäße Kapsel nahtlos (vgl. auch Unteranspruch 2) durch einen Coextrusionsprozess hergestellt, bei dem synchron zwei Flüssigkeiten extrudiert werden, nämlich die äußere und hydrophile Phase sowie die innere und lipophile flüssige Phase. Der Coextrusionsprozess umfasst in dieser Ausführungsform die drei Hauptschritte der Tropfenbildung der Mischung, der Schalenverfestigung und des Sammelns der Kapseln (Beschreibung Abs. 42).

II. Das Patentgericht hat den Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung für nicht patentfähig erachtet. Es hat dahingestellt sein lassen, ob er neu ist und angenommen, seine Auffindung beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die US-amerikanische Patentanmeldung 2004/261807 (NiK1) offenbare eine Vorrichtung zum Rauchen mit den Merkmalen a bis d und einer im Bereich von Merkmal d1 liegenden anfänglichen Bruchfestigkeit der Kapsel von 0,75 bis 5 kp. NiK1 sehe vor, dass der Raucher die Kapsel vor, während oder nach dem Abrauchen der Zigarette zerbrechen könne und dass die Bruchfestigkeit ungefähr gleich bleiben solle. Der Beschreibung zufolge (Abs. 68) sollten sich die Kapseln bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Raucher sie zerdrücke, möglichst wenig verändern, wobei NiK1 auch einen Rauchtest zugrunde lege. Dass die Bruchfestigkeit der Kapsel bis zum Zerdrücken im Sinne von Merkmal d2 ungefähr gleich bleiben solle, ergebe sich für den Fachmann jedenfalls aus seinem Fachwissen, da eine geringe Veränderung der Kapsel auch eine weitgehend unveränderte Bruchfestigkeit im Sinne des Merkmals d2 beinhalte.

Da die Kapseln nach NiK1 unelastisch ("rigid") und spröde ("brittle") sein sollten, nehme der Fachmann aufgrund dieser Beschreibungen an, dass sie ohne nennenswerte Verformung brechen sollen, womit auch Merkmal d3 offenbart sei. All dies gelte sinngemäß auch für die Ansprüche 16, 25 und 26.

III. Die gegen diese Begründung gerichteten Angriffe der Berufung bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

1. Dem angefochtenen Urteil liegt die Annahme zugrunde, dass NiK1 als Ausgangspunkt für die fachmännischen Bemühungen um eine Weiterentwicklung des Standes der Technik auf dem hier interessierenden Gebiet der Aroma- oder Duftstoffkapseln für Filterelemente von Rauchwaren zu wählen ist. Dies wird von der Berufung nicht in Frage gestellt und dagegen sprechende Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich. NiK1 repräsentiert den zeitnächsten Stand der Technik und die dort beschriebenen Kapseln weisen, wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, nicht nur die Merkmale a bis d auf, sondern es ist auch für deren anfängliche Bruchfestigkeit Ci eine Spanne festgelegt, die sich mit dem von Merkmal d1 beanspruchten Bereich partiell überlagert. Das legt den beanspruchten Bereich insgesamt nahe. Ist dem Fachmann die Wahl einzelner Werte aus einer einheitlich beanspruchten Spanne durch den Stand der Technik nahegelegt, kann diese, wenn sie naheliegende Werte einschließt, insgesamt nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2013 - X ZR 100/10, [...] Rn. 19).

2. Vor dem Hintergrund der weiteren von NiK1 vermittelten fachlichen Informationen kann auch die Auffindung eines über die Merkmale a bis d1 hinaus mit den Merkmalen d2 und d3 ausgestatteten Gegenstands nicht als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten. Bei umfassender Analyse dieses Dokuments offenbaren sich darin technische Widersprüchlichkeiten, die den Fachmann veranlasst hätten, den Lösungsweg des Streitpatents einzuschlagen.

a) Die Kapselschale soll nach den in NiK1 formulierten Anforderungen so beschaffen sein, dass der Raucher sie vor, während oder gegebenenfalls sogar noch nach dem Abrauchen zerbrechen kann (Beschreibung Abs. 11, 47). Dazu wird in dem Dokument erläutert, dass das Material allgemein eine gewisse Starre, Steifheit bzw. Festigkeit des Materials aufweisen müsse ("... somewhat rigid solid material ..."). Sein Sprödheitsgrad sei so zu bemessen, dass der Raucher die Kapseln leicht zerbrechen kann; diese sollen aber nicht so spröde sein, dass sie schon bei der Herstellung, Verpackung oder während des Transports oder beim Konsum der Zigarette unbeabsichtigt durch leichten Fingerdruck zerbrechen können.

Wenn NiK1 vorsieht, die Kapsel in der bevorzugten Ausführungsform im Wesentlichen oder zumindest etwa zu 80 Gewichtsprozent aus Gelatine herzustellen (Beschreibung Abs. 71), mag dies auf den ersten Blick die Tauglichkeit dieses Materials für den vorgesehenen Einsatzzweck verbürgen. Für die Frage, ob der Stand der Technik ausgehend von einer Entgegenhaltung dem Fachmann die erfindungsgemäße Lösung nahegelegt hat, kommt es aber nicht nur auf die sich ihm unmittelbar und eindeutig aus dieser Entgegenhaltung erschließenden Informationen an, sondern auch auf diejenigen, die er erst kraft seines Fachwissens aus ihr ableiten kann (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 - X ZR 134/11, GRUR 2013, 313 , Rn. 27 - Polymerzusammensetzung).

Zu den insoweit ebenfalls zu berücksichtigenden Inhalten des Dokuments gehört der allgemeine Rat, die äußere Oberfläche der Kapsel vorzugsweise aus einem Material aufzubauen, das mit den Komponenten der Füllung, dem Zigarettentabak, den Komponenten des Filterelements oder dem von der Zigarette gebildeten Rauchstrom nicht in nachteiliger Weise reagiert (Beschreibung Abs. 68). Dieser Hinweis gibt dem Fachmann Anlass, sich darüber Rechenschaft abzulegen, welche chemischen Reaktionen zu erwarten sein könnten, wenn der Tabakrauchstrom auf die Kapseln trifft. Insoweit gehört, worüber zwischen den fachkundigen Parteien Einvernehmen besteht, zu seinem Fachwissen, dass beim Verglühen von Tabak neben Kohlenmonoxid Wasser freigesetzt wird und der vom Raucher angesaugte Rauchstrom einen hohen Feuchtigkeitsgehalt (bis zu 80%) aufweist. Der Fachmann, jedenfalls aber der ihn nach den unangegriffenen Feststellungen des Patentgerichts unterstützende Diplomchemiker oder Lebensmitteltechnologe, weiß zugleich aber auch um die Wasserlöslichkeit als eine Eigenschaft von Gelatine, wobei hinzukommt, dass NiK1 selbst davor warnt, dass sich Gelatine über einen längeren Zeitraum in Wasser auflösen kann und deshalb zu nahezu wasserfreien Füllungen rät (Beschreibung Abs. 12, 71).

b) Vor diesem Hintergrund mussten sich beim Fachmann im Zusammenhang mit den nach NiK1 zu vermeidenden Wechselwirkungen zwischen Rauchstrom und Kapselmaterial Zweifel daran einstellen, dass Gelatine dafür das Mittel der Wahl war, als das es im ersten Zugriff auf die Lehre von NiK1 durchaus erscheinen konnte. In Anbetracht dieses ambivalenten Befunds hätte der Fachmann die Lehre von NiK1 nachgearbeitet und das Verhalten der danach hergestellten Kugeln in Rauchtests überprüft. Bei Durchführung solcher Tests mussten zwangsläufig dieselben Ergebnisse zutage treten, zu denen die Anmelder des Streitpatents gelangt waren, nämlich dass die Kapseln während des Rauchvorgangs aufweichen und infolgedessen vom Raucher nicht mehr oder nur schwer zerbrochen werden können.

c) Danach hatte der Fachmann Anlass, nach alternativen Materialien oder auch Mischungen zu suchen. Bereits NiK1 selbst enthielt insoweit einen indirekten Hinweis darauf, Gelatine mit anderen Stoffen zu mischen. Wenn nämlich der Gelatineanteil der Kapselschalen bei einer bevorzugten Ausführungsform (zumindest) etwa 80% beträgt (Beschreibung Abs. 71), impliziert dies eine Mischung mit anderen geeigneten Materialien. Konkrete Vorschläge dafür enthält NiK1 selbst unmittelbar zwar nicht. Das Dokument verweist aber für andere Kapseln und Kapselkomponenten unter anderem auf die US-Patentschrift 4 889 144 (NiK2) und die Veröffentlichung der US-Patentanmeldung 2003/98033 (NiK3).

NiK2 beschreibt insoweit aromaversiegelte, mit Calciumalginatgel überzogene Teilchen (Beispiel 1, Sp. 4 Z. 45 f.) und außerdem die Herstellung von aromaversiegelten Kapseln, die mit einem Carrageenan-Film überzogen sind (Beispiel 5, Sp. 5 Z. 57 f.). NiK3 erwähnt für die Herstellung von Kapseln, die ebenfalls in Filterelemente von Zigaretten eingefügt werden können, Wachse oder Harze und nennt als Beispiele für geeignete Wachse Bienen-, Candelilla-, Carnauba- und Schellackwachs sowie als bevorzugte Kautschuke solche, die für eine Barriere sorgen, die das Austreten der Kapselfüllung verhindern sollen, wie arabisches Gummi, Alginate, Carrageenan und Pektin. NiK2 und NiK3 schlagen somit mehrere Stoffe für die Kapselherstellung vor, die auch das Streitpatent beansprucht (vgl. Patentansprüche 9, 13, 14, 18, 23).

Die US-Patentschrift 5 614 217 (NiK6), auf die das Patentgericht in anderem Zusammenhang hingewiesen hat und die ebenfalls das Problem des Aufweichens von Gelatine unter Feuchtigkeitseinfluss zum Gegenstand hat, schlägt zur Verbesserung der Eigenschaften der dortigen Kapseln ebenfalls unter anderem Alginate, Carrageenane, arabisches Gummi, Ghatti-Gummi und Pektine vor (Sp. 2 Z. 64-68). Auch wenn NiK6 anders gestaltete, in einem abweichenden Verfahren hergestellte und für andere Zwecke vorgesehene Kapseln beschreibt, erkennt der Fachmann, dass Stoffe, die dort zur Vermeidung des Aufweichens der Kapseln hinzugefügt werden sollen, auch für seine Zwecke geeignet sind.

d) Patentanspruch 1 ist allerdings nicht unmittelbar darauf gerichtet, solche Hydrokolloide oder verschiedene Mischungen daraus oder in Verbindung mit Gelatine zu beanspruchen, sondern definiert die Beschaffenheit der Kapseln, wie ausgeführt, über die in den Merkmalen d1 bis d3 genannten Eigenschaften (oben Rn. 10 ff.). Dies ist jedoch nur Ausdruck des allgemeinen Bestrebens von Schutzrechtsanmeldern, möglichst breiten Schutz zu erlangen und ihre Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen, statt sie auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 22 - Kommunikationskanal).

Mit den Merkmalen d2 und d3 wird deshalb nur in verallgemeinerter Form das umschrieben, was der Einsatz anderer Hydrokolloide anstelle oder zusammen mit Gelatine in Punkto Bruchfestigkeit Cf und die Verformungsstabilität konkret leistet, nämlich die Bereitstellung von Kapseln, die noch gegen Ende des Rauchvorgangs und danach hinreichend spröde sind, um vom Raucher mit den Fingern zerbrochen werden zu können.

e) Die Auffindung eines Gegenstands, der über die Merkmale a bis d1 hinaus auch die Merkmale d2 und d3 aufweist, war ohne Einsatz erfinderischer Tätigkeit zu leisten.

aa) Soll die Kapsel noch gegen Ende des Rauchvorgangs und danach zerbrechbar sein, liegt die technische Anweisung nahe, die Kapsel so zu gestalten, dass die Bruchfestigkeit, die sie vor dem Anzünden der Zigarette hat, erhalten bleibt. Ist aus dem Stand der Technik bekannt, diese Ausgangsbruchfestigkeit nicht punktuell festzulegen, sondern dafür Werte in einer gewissen Bandbreite vorzusehen (NiK1, Beschreibung Abs. 75), bietet es sich an, dies aufzugreifen und die Ausgangsfestigkeit Ci ebenfalls in einer Spannbreite festzulegen. Dies auf den Wert Cf zu übertragen, ist eine folgerichtige, im durchschnittlichen fachmännischen Vermögen liegende Maßnahme.

bb) Zum Bestand verhilft dem Streitpatent auch das Merkmal d3 nicht.

Dass der Raucher die Kapsel an sich in jedem Stadium bis nach Beendigung des Rauchvorgangs leicht und reibungslos soll zerbrechen können, ist als Zielvorgabe bereits in NiK1 formuliert (Beschreibung Abs. 68). Erwies sich in der Folge der Durchführung von Rauchtests mit nach den Vorgaben von NiK1 nachgearbeiteten Kapseln, dass diese nach dem Abrauchen zu nachgiebig waren und dies auf die Aufnahme von Feuchtigkeit aus dem Rauchstrom zurückzuführen war, konnte der Fachmann ohne Weiteres erkennen, dass eine funktionsgerechte und den Verbrauchererwartungen genügende Kapsel so gestaltet werden musste, dass ihre Elastizität gegen oder nach dem Ende des Rauchvorgangs nicht so hoch ist, dass sie nicht mehr leicht zerdrückt werden kann, und dass ihr Durchmesser dabei tunlichst den des Filterelements nicht erreichen oder gar überschreiten sollte. Der Fachmann hätte aus diesem Grunde für die Elastizität eine Einstellgröße definiert, bei der solche Beeinträchtigungen vermieden werden. Merkmal d3 formuliert dafür lediglich einen Wert, der diesen Zusammenhang in allgemeiner Form im Sinne einer Begrenzung des noch tolerierbaren Durchmesserzuwachses zum Ausdruck bringt. Dazu bedurfte es nicht des Einsatzes einer erfinderischen Tätigkeit.

3. Das vorstehend Ausgeführte gilt sinngemäß für die Nebenansprüche 16, 25 und 26. Für die jeweiligen Unteransprüche, die das Patentgericht ebenfalls für nichtig erklärt hat, macht die Berufung einen eigenständigen erfinderischen Gehalt entweder nicht ausdrücklich geltend oder er ist - soweit der Gegenstand von Unteransprüchen in beschränkten Fassungen des Streitpatents zur Begründung der Patentfähigkeit herangezogen wird - nicht ersichtlich.

IV. Das Streitpatent hat auch in keiner der hilfsweise zur Entscheidung gestellten beschränkten Fassungen Bestand.

1. In der Fassung von Hilfsantrag I sind die Patentansprüche 1 und 16 jeweils um das Merkmal ergänzt, dass die Schale der Kapsel zu weniger als 70 Gewichtsprozent Gelatine enthält (bezogen auf ihr gesamtes Trockengewicht).

Unter der gegebenen Voraussetzung, dass der Fachmann die Beschaffenheit von nach der Lehre von NiK1 hergestellten Kapseln nach Durchlaufen von Tests an Rauchmaschinen untersucht hätte (oben Rn. 27), ist die Herabsetzung des Gelatineanteils auf einen Wert unterhalb der in NiK1 selbst genannten 80 Prozent naheliegend. Es ist nicht dargetan oder zu erkennen, dass die Festlegung auf weniger als 70 Gewichtsprozent besonderen Umständen Rechnung trägt, deren Auffindung den Einsatz erfinderischer Tätigkeit erfordert hätte.

2. In der Fassung von Hilfsantrag II schließen die Füllungen der nach den Patentansprüchen 1 und 16 geschützten Kapseln ein oder mehrere lipophile Lösungsmittel ein.

Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit der um dieses Merkmal ergänzten Ansprüche 1 und 16 mit dem Hinweis verneint, bereits NiK1 schlage Triglyceride, die in der Streitpatentschrift selbst als lipophile Lösungsmittel eingeordnet seien (Beschreibung Abs. 32), als Trägerstoff für Aromasubstanzen vor (dort in Abs. 12 und 72 der Beschreibung).

Dagegen erhebt die Berufung keine durchgreifenden Einwendungen. Die aus NiK1 bekannte Benutzung lipophiler Lösungsmittel will der Gefahr des Aufweichens der Kapseln gleichsam von innen vorbeugen, die bei Verwendung wässriger Füllungen besteht. Da die Patentansprüche 1 und 16 in der Fassung von Hilfsantrag II den Einsatz von Gelatine bei der Kapselherstellung nicht schlechthin ausschließen, bestand fachlich weiterhin Anlass, eine Füllung vorzusehen, mit der dagegen vorgesorgt wird.

3. Gemäß Hilfsantrag III sind die nach den Ansprüchen 1 und 16 geschützten Kapseln um das Unteranspruch 7 entlehnte Merkmal ergänzt, dass das Verhältnis von Durchmesser der Kapsel und Stärke der Schale zwischen 10 und 100 liegt.

Dazu hat das Patentgericht aufgezeigt, dass sich für die in NiK1 beschriebene bevorzugte Ausführungsform ein entsprechendes Verhältnis von 58 errechnet. Damit ist das beanspruchte Verhältnis von 10 bis 100 jedenfalls nahegelegt (oben Rn. 22); dass es sich möglicherweise nicht unmittelbar und eindeutig aus NiK1 erschließt, ist unerheblich (oben Rn. 25). Im Übrigen ist zu bedenken, dass für die Herstellung der Kapseln notwendigerweise ein bestimmtes Verhältnis zwischen ihrem Durchmesser und der Stärke der Kapsel festgelegt werden muss. Dafür ist mit einem zwischen 10 und 100 liegenden Wert eine ganz beträchtliche Bandbreite vorgesehen, ohne dass die Berufung aufzeigen könnte, dass dies über übliches Vorgehen hinausginge.

4. In der Fassung von Hilfsantrag IV ist die Kapsel als sphärischer, nahtloser Körper ausgestaltet (vgl. Unteranspruch 2) und gemäß Hilfsantrag V darüber hinaus durch die Herstellung in einem Coextrusionsprozess definiert.

Zutreffend hat das Patentgericht in der Beschreibung der Kapsel in NiK1 als "generally spherical in shape" (Beschreibung Abs. 67) einen Beleg für eine sphärische Gestaltung und in der Ausgestaltung als ein (preferably) "continuous sealed one-piece member" einen Hinweis auf eine nahtlose Fertigung gesehen. Ist eine solche Kapsel einstückig gefertigt, weist sie keine Nahtstellen auf, die zwangsläufig entstehen, wenn mehrere Schalenteile zu einer solchen Kapsel zusammengefügt werden.

Im Übrigen sind in einem Coextrusionsprozess hergestellte Kapseln, die nach den unangegriffenen Feststellungen des Patentgerichts aus der europäischen Patentschrift 513 603 bekannt sind, typischerweise nahtlos und dementsprechend i. S. von Patentanspruch 1 und 15 sowohl in der Fassung von Hilfsantrag IV, als auch in der von Hilfsantrag V bekannt.

5. In der Fassung von Hilfsantrag VI erzeugt die Kapsel beim Zerbrechen ein hörbares Knackgeräusch.

Zutreffend hat das Patentgericht die Schutzfähigkeit von Patentanspruch 1 und 15 in der entsprechenden Fassung mit der Begründung verneint, schon NiK1 schlage eine solche Ausgestaltung vor (dort Abs. 49 der Beschreibung). Dafür ist entgegen der Ansicht der Berufung unerheblich, dass gemäß der Lehre von NiK1 im Wesentlichen aus Gelatine hergestellte Kapseln jedenfalls am Ende des Rauchvorgangs im Allgemeinen nicht mehr spröde genug sein dürften, um mit einem Knackgeräusch zu zerbrechen. Der Sinn dieses zusätzlichen Merkmals besteht darin, dem Raucher zu signalisieren, dass die Kapsel zerbrochen ist. Der Übernahme dieses Effekts steht nicht entgegen, dass er sich bei NiK1 gegebenenfalls nur bei einer der Ausgangsbruchfestigkeit Ci entsprechenden Beschaffenheit der Zigarette und Kapsel einstellt.

6. In der Fassung von Hilfsantrag VII sind Patentanspruch 1 und Patentanspruch 15 (Anspruch 16 in der Reihenfolge der erteilten Fassung) um die Merkmale des erteilten Anspruchs 9 ergänzt; die Schale der Kapsel enthält danach wenigstens ein Hydrokolloid, das aus Gellangummi, Agar, Alginaten, Carrageenanen, Pektinen, arabischem Gummi, Ghatti-, Pullulan- bzw. Mannan-Gummi oder modifizierter Stärke allein oder aus einem Gemisch hiervon oder aus einer Kombination mit Gelatine ausgewählt ist.

Wie bereits ausgeführt hatte der Fachmann nach Testversuchen an den gemäß NiK1 hergestellten Kapseln Anlass, das Schalenmaterial zu modifizieren und wäre auf naheliegende Weise zu in den Entgegenhaltungen NiK2, NiK3 und NiK6 vorgeschlagenen Hydrokolloiden gelangt, von denen einige in den erteilten Anspruch 9 Eingang gefunden haben (oben Rn. 16). Damit kann der die aufgezählten Hydrokolloide insgesamt umfassende Anspruchssatz nicht gewährt werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2015 - X ZR 60/13 - Verdickerpolymer I). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Begründung im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

7. In der Fassung der Hilfsanträge VIII bis XV werden Ergänzungen aus einzelnen der Hilfsanträge I bis VII kombiniert. Dies lässt die Patentfähigkeit nicht in einem anderen Licht erscheinen.

Die Berufung greift insoweit allein Hilfsantrag XV auf, in dessen Fassung der erteilte Patentanspruch 1 um die gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3, 5 und 7 hinzugefügten Merkmale ergänzt ist und verweist darauf, NiK6 beziehe sich auf ein anderes Herstellungsverfahren ("rotary die encapsulation"), für das ein Viskositätsbereich vorgesehen sei, in dem ein Extrusionsverfahren nicht möglich sei.

Das Patentgericht hat dazu zutreffend darauf hingewiesen, ein viskoseres Material weise lediglich einen geringeren Wasseranteil auf, wenn ansonsten gleiche Ausgangsstoffe für die Schale verwendet würden. Beim Endprodukt, d. h. bei den trockenen Kapseln, seien Unterschiede hingegen nicht mehr erkennbar. Dementsprechend ist mit dem Patentgericht davon auszugehen, dass der fachkundige Leser der NiK6 aufgrund seines Fachwissens erkennt, dass das technisch angestrebte Ziel, das Erweichen der Kapseln durch Feuchtigkeitseinfluss zu vermeiden, prinzipiell unabhängig von dem eingesetzten Herstellungsverfahren ist. Gegebenenfalls ermittelt der Fachmann die für das Coextrusionsverfahren einzustellende Viskosität der Ausgangsmaterialien im Versuchswege.

8. Für die Beurteilung der Neben- und der in den hilfsweise zur Entscheidung gestellten Anspruchssätzen jeweils verbleibenden Unteransprüche gilt das zur erteilten Fassung des Streitpatents Ausgeführte (oben Rn. 23 ff.) sinngemäß.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m.§ 97 Abs. 1 ZPO .

Von Rechts wegen

Verkündet am: 3. Mai 2017

Vorinstanz: BPatG, vom 27.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 1 Ni 19/14 (EP)