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BGH - Entscheidung vom 13.06.2017

2 StR 174/17

Normen:
StGB § 20
StGB § 63 S. 1

Fundstellen:
StV 2019, 253

BGH, Beschluss vom 13.06.2017 - Aktenzeichen 2 StR 174/17

DRsp Nr. 2017/9912

Begründen der Prognose der Unterbringungsanordnung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Schuldunfähigkeit aufgrund einer Psychose

Die für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzte Prognose ist nicht ausreichend begründet, wenn lediglich festgestellt wird, dass der Angeklagte "häufig polizeilich auffällig geworden" sei. Wenn ein Täter aber trotz fortbestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, so ist dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Taten.

Tenor

1.

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten der Angeklagten und zur Schuldunfähigkeit aufrecht erhalten.

2.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3.

Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 63 S. 1;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO .

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Angeklagte unter einer organisch bedingten schizophrenieformen Psychose. In der Zeit von Dezember 2012 bis Mai 2015 wurde sie dadurch auffällig, dass sie Bettler beschimpfte und körperlich angriff. Dabei war sie nicht in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen.

Am 9. Mai 2013 beschimpfte die Angeklagte den aus Rumänien stammenden Zeugen A. , dessen rechtes Bein amputiert ist und der auf der Straße saß und bettelte. Sie forderte ihn auf wegzugehen und erklärte, er habe als Ausländer hier nichts zu suchen. Sie warf das Körbchen des Geschädigten mit dem erbettelten Geld um und zog an seiner Jacke. Schließlich trat sie ihn mindestens zweimal gegen den nackten Stumpf des amputierten Beines (Fall II. 1. der Urteilsgründe).

Am 14. Mai 2013 griff sie den Zeugen A. erneut in gleicher Weise an (Fall II. 2. der Urteilsgründe).

Am 3. Juni 2013 beschimpfte sie den Zeugen M. , der ebenfalls als Bettler auf der Straße saß. Sie erklärte, dass er hier weg müsse. Dann schubste sie den Geschädigten und trat gegen die vor ihm stehende Spendendose. Schließlich trat sie auch gegen seinen verkrüppelten Fuß (Fall II. 3. der Urteilsgründe).

Am 13. Juni 2013 trat die Angeklagte den Zeugen G. gegen die Beine und nahm das von ihm erbettelte Geld weg. Dann betrat sie laut schreiend die Verkaufsräume des Teeladens der Firma E. , wo sie Ge bäck aus den Regalen auf den Fußboden warf. Die Angestellte Z. begleitete sie vor das Ladenlokal. Davor trat die Angeklagte gegen einen Warenträger und würgte die Zeugin Z. am Hals (Fall II. 4. der Urteilsgründe).

Am 26. Oktober 2013 traf die Angeklagte wieder auf den Zeugen A. . Sie beschimpfte ihn und trat ihn gegen die rechte Hand. Danach lag der Geschädigte auf dem Rücken, das erbettelte Geld lag um ihn herum verstreut. Die Angeklagte beschimpfte den Geschädigten als "Pack" und erklärte, sie sei eine Verfechterin "deutscher Rechte" (Fall II. 5. der Urteilsgründe).

2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, die Angeklagte sei zur Tatzeit infolge ihrer krankhaften seelischen Störung nicht in der Lage gewesen, das Unrecht ihrer Handlungen einzusehen. Sie habe geglaubt, sie erfülle einen göttlichen Auftrag, die von ihr als "Heuchler" angesehenen rumänischen Bettler, die der "Mafia" angehört hätten, anzugehen und dafür zu sorgen, dass sie ihrer Bettelei nicht länger nachgingen und Deutschland verließen. Sie sei von Dezember 2012 bis Mai 2015 auffällig geworden, indem sie Bettler beschimpft oder körperlich attackiert habe. Nach dem 12. Mai 2015 seien keine weiteren Übergriffe mehr "polizeibekannt" geworden.

Das Landgericht hat die Angeklagte deshalb wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen und gemäß § 63 Satz 1 StGB ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, aber die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Dazu hat es ausgeführt, die rechtswidrigen Taten seien der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Sie beruhten auf der psychischen Erkrankung der Angeklagten. Es sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass von der Angeklagten infolge ihrer Erkrankung weitere gleichartige Taten zu erwarten seien. Allein die Tatsache, "dass sie nach Mai 2015 bis heute keine weiteren Körperverletzungen begangen hat", beseitige diese Einschätzung nicht. Die Angeklagte habe dazu angegeben, dass sie ihrem "Beruf derzeit nur deswegen nicht nachgehe, da der Richter am Amtsgericht ihr gesagt habe, dass sie das nicht dürfe und, wenn sie einen Bettler sehe, diesem aus dem Weg gehen solle. Da man sich an das Gesetz halten müsse, halte sie sich auch hieran." Weil die Angeklagte aber gleichwohl keinen Abstand von ihren falschen Vorstellungen genommen habe, bestehe die Gefahr erneuter Straftaten fort. Die Äußerung, dass sie wegen der richterlichen Ermahnung Bettlern aus dem Weg gehe, rechtfertige jedoch die Aussetzung der Vollziehung der Maßregel zur Bewährung.

II.

1. Der Maßregelausspruch gemäß § 63 Satz 1 StGB ist rechtlich zu beanstanden. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Angeklagte bei der Begehung der rechtswidrigen Taten unfähig war, das Unrecht ihrer Handlungen einzusehen. Jedoch hat es die für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzte Prognose nicht ausreichend begründet.

a) Die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 mwN). Einzustellen sind die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76 , 77). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird die Prognose des Landgerichts nicht gerecht.

Die Anlasstaten wurden im Mai, Juni und Oktober 2013 von der Angeklagten begangen. Dass danach noch bis Mai 2015 vergleichbare Körperverletzungen begangen wurden, ist nicht festgestellt. Der durch eine Polizeibeamtin als Zeuge mitgeteilte Umstand, dass die Angeklagte bis Mai 2015 "häufig polizeilich auffällig geworden" sei, genügt nicht. Wenn ein Täter aber trotz fortbestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, so ist dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Taten (vgl. Senat, Urteil vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72 , 73; Beschluss vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16).

Es erscheint zudem widersprüchlich, wenn das Landgericht die bisherige Beachtung der richterlichen Ermahnung durch die Angeklagte nicht als ausreichenden Grund gegen eine Maßregelanordnung gewertet hat, während es die Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung auf die Erwartung gestützt hat, die Angeklagte werde sich weiter an die richterliche Aufforderung halten, Bettlern aus dem Weg zu gehen.

2. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten und zu der zur Tatzeit sicher vorliegenden Schuldunfähigkeit der Angeklagten sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können aufrechterhalten bleiben. Insoweit ist die Revision unbegründet.

3. Eine Aufhebung des Freispruchs mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2017 - 4 StR 619/16 mwN) ist hier nicht angezeigt, weil auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter zu einem Schuld- und Strafausspruch gelangen kann.

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 24.01.2017
Fundstellen
StV 2019, 253