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BGH - Entscheidung vom 22.05.2017

4 StR 78/17

Normen:
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 64

BGH, Beschluss vom 22.05.2017 - Aktenzeichen 4 StR 78/17

DRsp Nr. 2017/7856

Anordnung der Unterbringung in einer Erziehungsanstalt; Voraussetzungen für die Annahme eines Hangs; Eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung zum immer wiederkehrenden Konsum von Rauschmitteln

Für einen Hang ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Dass diese Neigung bereits den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht hat, ist nicht erforderlich.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 21. Oktober 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 2 ; StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Von der Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB hat es abgesehen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit das sachverständig beratene Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) abgesehen hat.

a) Nach den Feststellungen begann der Angeklagte im Jahr 2009 mit dem gelegentlichen Konsum von Cannabis. In der Folgezeit konsumierte er regelmäßig bis zu zwei Gramm am Tag. Einhergehend damit zeigte er Verhaltensauffälligkeiten. Der Konsum von THC führte bei ihm zu lang anhaltenden psychischen Störungen. Ab 2016 nahm er gelegentlich auch Kokain und trank in geringen Mengen Alkohol. Wenn er, was regelmäßig vorkam, wegen fehlender finanzieller Mittel oder aus anderen Gründen einige Zeit weder Alkohol noch Drogen zu sich nahm, hatte er keine Entzugserscheinungen. Bis zu seiner Festnahme hielt sich der Angeklagte "im Umfeld anderer Drogenkonsumenten auf" und finanzierte seinen Lebensunterhalt unter anderem durch Diebstähle.

Das Landgericht hat die Anordnung einer Unterbringung gemäß § 64 StGB abgelehnt, weil bei dem Angeklagten kein Hang im Sinne dieser Vorschrift vorliege. Trotz des festgestellten langjährigen Konsumverhaltens sei eine psychische Abhängigkeit zu verneinen. Dies werde daran deutlich, dass der Angeklagte während der Zeiträume, in denen er abstinent gewesen sei, weder ein erhöhtes Konsumverlangen gehabt, noch Entzugssymptome gezeigt habe. Drogen konsumiere er nur, wenn diese verfügbar seien. Der Drogenkonsum sei lediglich eine Begleiterscheinung seines Lebensstils, nicht aber ein wesentlicher, ihn antreibender Lebensbestandteil.

b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer ihrer Maßregelentscheidung einen zu engen Begriff des Hangs und damit einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat.

Für einen Hang gemäß § 64 StGB ausreichend ist eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Dass diese Neigung bereits den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht hat, ist dabei nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2016 - 4 StR 408/16, Rn. 6; Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 ; Beschluss vom 21. August 2012 - 4 StR 311/12, RuP 2013, 34 f. mwN). Auch stehen das Fehlen von ausgeprägten Entzugserscheinungen und Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht notwendig entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2012 - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271 mwN).

Von diesem Maßstab ist das Landgericht zwar ausgegangen, seine Ausführungen zu dessen Ausfüllung lassen aber besorgen, dass es dem Umstand, dass der Sachverständige eine "psychische Abhängigkeit" verneint hat und Abstinenzintervalle ohne Entzugserscheinungen möglich waren, eine diesen Vorgaben nicht entsprechende Bedeutung beigemessen hat.

2. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte die am 10. Februar 2016 begangene Raubtat unter dem Einfluss von Cannabis beging (Fall III. 1 der Urteilsgründe) und er den Erlös aus dem Verkauf der Diebesbeute im Fall III. 2 der Urteilsgründe sowohl zum Erwerb von Kokain als auch von Cannabis verwandte, liegt die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs sowie einer hangbedingten Gefährlichkeit nicht fern. Schließlich erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass dem Angeklagten - trotz der festgestellten psychischen Auffälligkeiten - eine positive Behandlungsprognose im Sinne des § 64 Satz 2 StGB gestellt werden kann. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO ; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 , 9).

Vorinstanz: LG Bochum, vom 21.10.2016