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BFH - Entscheidung vom 09.05.2017

X B 23/17

Normen:
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 Buchst. b

Fundstellen:
BFH/NV 2017, 1170

BFH, Beschluss vom 09.05.2017 - Aktenzeichen X B 23/17

DRsp Nr. 2017/9802

Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde betreffend die Abzugsfähigkeit der Kosten eines Versicherungsmaklers für die Anmietung von Büroräumen in einem Privathaus

Die Qualifikation eines in die häusliche Sphäre eingebundenen Raums als Betriebsstätte setzt eine nach außen erkennbare Widmung für einen intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr voraus.

Ein in die häusliche Sphäre eingebundener Büroraum, der dem äußerlichen Typus des häuslichen Arbeitszimmers entspricht, ist nur dann als Betriebsstätte berücksichtigungsfähig, wenn eine Widmung für einen intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr nach außen erkennbar ist. Hieran fehlt es in der Regel, wenn der Büroraum nur durch der privaten Sphäre zuzurechnende Räume erreicht werden kann.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 2. Juni 2016 6 K 937/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Normenkette:

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a ; EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 Buchst. b;

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte in den Streitjahren 2009 bis 2011 Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Versicherungsmakler und ermittelte seinen Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung. Sein Büro unterhielt er in A. Er wohnte im Haus seiner Töchter in dem acht Kilometer entfernten B und hatte dort im ersten Obergeschoss für seine Tätigkeit einen Büroraum mit dem davor liegenden Flurbereich, eine Gästetoilette sowie eine Garage mit der angrenzenden Stellfläche und eine Werbetafel angemietet. Die Mietkosten von 3.000 € jährlich berücksichtigte er als Betriebsausgaben.

In einer Prüfung im Rahmen der betriebsnahen Veranlagung kam die Prüferin u.a. zu der Auffassung, dass ein häusliches Arbeitszimmer des Klägers vorliege. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) versagte den Betriebsausgabenabzug. Im Klageverfahren legte der Kläger Dokumente mit Vertragsunterlagen sowie Aufzeichnungen zu Kundenbesuchen vor und bot die Vernehmung von Personen an, die ihn im Büro regelmäßig besucht hätten. In der mündlichen Verhandlung vor der nach § 79a Abs. 3 , 4 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) tätigen Berichterstatterin erläuterte er die Unterlagen. Einen förmlichen Beweisantrag stellte er in der Verhandlung nicht, begehrte jedoch Schriftsatznachlass.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage, die sich neben der Einkommensteuer 2009 bis 2011 auf die Umsatzsteuer 2009 und 2010 bezog, abgewiesen. Bei dem angemieteten Büro habe es sich um ein häusliches Arbeitszimmer i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b des Einkommensteuergesetzes ( EStG ) gehandelt. Es sei in den Wohnbereich eingegliedert, nicht nach außen erkennbar für den Publikumsverkehr geöffnet und auch nicht leicht zugänglich gewesen, da der Weg zum Büro gleichzeitig den Zugang zu den Wohnräumen des Klägers eröffnet habe. Zudem ließen die vorgelegten Unterlagen keinen dauerhaften und intensiven Publikumsverkehr erkennen. Bei einem Teil der Aufzeichnungen sei zwar ein Personenkontakt, nicht aber ein tatsächlicher Besuch zu Geschäftszwecken dokumentiert. Ein Antrag auf Einholung eines Zeugenbeweises wäre unsubstantiiert, zumal der Kläger so zu verstehen sei, dass er hieran in der mündlichen Verhandlung nicht mehr festgehalten habe. Es verbleibe eine Anzahl von durchschnittlich 2,5 Kundenbesuchen pro Monat, die den Anforderungen an einen intensiven und dauerhaften Kundenverkehr nicht genügten.

Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben, die zunächst beim XI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) unter XI B 68/16 aufgenommen wurde. Der XI. Senat hat die Beschwerde mit Beschluss vom 30. November 2016 hinsichtlich der Einkommensteuer abgetrennt und an den X. Senat abgegeben, hinsichtlich der Umsatzsteuer als unzulässig verworfen.

Soweit die Beschwerde (auch) die Einkommensteuer betrifft, macht der Kläger die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO sowie des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend.

Während der BFH in seinen Urteilen vom 5. Dezember 2002 IV R 7/01 (BFHE 201, 166 , BStBl II 2003, 463 [versehentlich als IV R 707/01 zitiert]) sowie vom 23. Januar 2003 IV R 71/00 (BFHE 201, 269 , BStBl II 2004, 43 ) für die Qualifikation einer Betriebsstätte in Abgrenzung zu einem häuslichen Arbeitszimmer nur verlangt habe, dass die betreffenden Räumlichkeiten für einen intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr geöffnet und eingerichtet seien, habe das FG gefordert, dass die Räumlichkeiten tatsächlich so genutzt werden. Es habe dabei übersehen, dass der Kläger die Räumlichkeiten tatsächlich geöffnet und eingerichtet halte.

In mehrfacher Hinsicht habe das FG ferner durch Verstoß gegen seine Sachaufklärungspflicht entgegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verfahrensfehlerhaft gehandelt.  
Die Vorsitzende habe selbst das Protokoll am PC geführt. Die Verhandlung sei durch beständige Eingaben mittels Tastatur und Maus, durch Korrekturlesen und Vorlesen so zerrissen gewesen, dass einerseits die Beteiligten nicht zusammenfassend hätten vortragen und andererseits die Vorsitzende dem Vortrag nicht umfassend habe folgen können. Auf diese Weise hätte die erforderliche Sachaufklärung einschließlich Beweiserhebung nicht stattfinden können. 
Dazu hätte die Frage gehört, wie viel Kundenverkehr erforderlich sei, um das Büro als Betriebsstätte zu qualifizieren, und wie dieses Kriterium im Verhältnis zu den anderen Kriterien zu gewichten sei. Im ländlichen Raum könnten 2,5 Kunden pro Monat u.U. ausreichen.  
Der Kläger habe eine Werbebroschüre aus dem Jahre 2009 vorgelegt, die eine Anzeige für das streitige Büro enthalte und mit der er einen weiteren Beweis dafür anbieten könne, dass es sich um ein Büro für Öffentlichkeit und Publikum handele. Darauf sei das FG augenscheinlich wegen der Protokolltätigkeit der Vorsitzenden nicht eingegangen.  
Die Annahme des FG, der Kläger habe an der Einholung von Zeugenaussagen nicht mehr festgehalten, sei Spekulation. Er habe nicht verzichtet. Gerade die Zeugen könnten zu der Widmung des Raums für intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr etwas sagen.  
Nachdem das FG Zweifel an den Aufzeichnungen des Klägers wegen vermeintlicher Widersprüche geäußert habe, habe er Schriftsatzfrist beantragt, da er für eine qualifizierte Stellungnahme die Unterlagen noch einmal durchprüfen müsse. Obwohl nach dem Protokoll der Vorgang unklar geblieben sei, habe das FG dem Antrag nicht entsprochen.  

Das FA hält die Beschwerde hinsichtlich der Einkommensteuer für unbegründet. Eine Divergenz insbesondere zu dem BFH-Urteil in BFHE 201, 269 , BStBl II 2004, 43 liege nicht vor, da dieses Urteil die Qualifikation eines Arbeitsraums als häusliches Arbeitszimmer wesentlich an die Einbindung in die häusliche Sphäre geknüpft habe. Aus dem Urteil ergebe sich auch nicht, dass die Arbeitsräume nur für einen intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr geöffnet sein müssten, da schon die Formulierungen "intensiv" und "Publikumsverkehr" begrifflich auch eine tatsächliche Nutzung voraussetzten.

Ebenso wenig fielen dem FG Verfahrensverstöße zur Last. Das FG habe die vorgelegten Beweismittel geprüft und gewürdigt. Einen Beweisantrag habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht mehr gestellt. Die erbetene Schriftsatzfrist habe das FG nicht gewähren müssen, da es dem Vorhalt des FA im Ergebnis keine entscheidende Bedeutung beigemessen habe. Die Protokollierung schließlich sei nicht zu beanstanden, da die Beteiligten ausreichend darauf hätten hinwirken können, dass ihre Einlassungen zutreffend aufgenommen würden.

II. Die Beschwerde ist, soweit sie den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, unbegründet. Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegt nicht vor.

1. Die Zulassung wegen Divergenz ist nicht möglich, die Beschwerde insoweit unbegründet, weil die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage weder für das FG entscheidungserheblich war noch im Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre.

a) Eine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist. Dies bedingt zum einen, dass in dem angefochtenen FG-Urteil dieselbe Rechtsfrage wie in der angeblichen Divergenzentscheidung entschieden wurde und die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind. Zum anderen muss die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren klärbar und auch für beide Entscheidungen rechtserheblich gewesen sein. Außerdem muss eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich sein (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 13. September 2016 X B 146/15, BFH/NV 2016, 1747 , unter II.2.).

b) Dem Kläger ist allerdings insoweit recht zu geben, als der BFH in seinen Urteilen in BFHE 201, 166 , BStBl II 2003, 463 sowie in BFHE 201, 269 , BStBl II 2004, 43 für die Qualifikation einer Betriebsstätte in Abgrenzung zu einem häuslichen Arbeitszimmer mit den dort gewählten Formulierungen "Widmung für den Publikumsverkehr" und "für einen intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr geöffnet" nur eine entsprechende Zweckbestimmung dieser Räumlichkeiten verlangt hat, nicht aber, dass ein solcher intensiver Publikumsverkehr auch stattfinden muss. Der Einwand des FA, dies setze begrifflich eine tatsächliche entsprechende Nutzung voraus, überzeugt nicht. Es ist gerade Charakter einer Zweckbestimmung, auf ein Ziel gerichtet zu sein, dieses aber noch nicht unbedingt erreichen oder verwirklichen zu müssen. Die jeweils kurz darauf folgenden Formulierungen "in der/denen naturgemäß Publikumsverkehr stattfindet" sind nach dem Kontext eindeutig mit einem Rückschluss der Art zu erklären, dass Räumlichkeiten, in denen solch Publikumsverkehr tatsächlich stattfindet, auch eine entsprechende Zweckbestimmung aufweisen (dürften). Das zeigt sich insbesondere daran, dass das Urteil in BFHE 201, 269 , BStBl II 2004, 43 darauf abstellt, ob die Räumlichkeit der damaligen Klägerin für Patientenbesuche "vorgesehen" war. Eine Einschränkung des zuvor Gesagten ist dem nicht zu entnehmen. Die Rechtsprechung hat auch in der Folgezeit an diesen Grundsätzen festgehalten (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 2014 VIII R 8/11, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2015, 914 , unter II.1.e aa, m.w.N.).

Von diesen Aussagen ist die Frage zu trennen, ob dann, wenn ein intensiver und dauerhafter Publikumsverkehr fehlt, regelmäßig auch ein Rückschluss auf eine entsprechende fehlende Zweckbestimmung zulässig ist und welche Anforderungen zu stellen sind, um eine derartige Mutmaßung zu widerlegen.

c) Die Frage könnte aber im Revisionsverfahren nicht geklärt werden, weil das FG seine Entscheidung auf die zusätzliche, selbständige Überlegung gestützt hat, dass wegen der Eingliederung des Raums in den Wohnbereich jedenfalls die nach außen erkennbare Widmung für den Publikumsverkehr fehle.

Das FG ist, insoweit im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, davon ausgegangen, dass es außerdem einer nach außen erkennbaren Widmung der Räumlichkeiten für den Publikumsverkehr bedürfe. Selbst im Falle einer Notfallpraxis hat es der BFH für schädlich gehalten, wenn ein Besucher erst einen dem Privatbereich zuzuordnenden Flur oder eine Diele durchqueren muss (Urteil vom 20. November 2003 IV R 3/02, BFHE 205, 46 , BStBl II 2005, 203 ). Dies gilt erst recht für ein Büro, das dem äußerlichen Typus des häuslichen Arbeitszimmers entspricht (zu einer derartigen Konstellation BFH-Urteil vom 8. September 2016 III R 62/11, BFHE 255, 198 , BStBl II 2017, 163 , unter II.3.). Das FG hat eine derartig enge Verbindung zum Wohnbereich bejaht. Diese für sich genommen tragende Begründung hat der Kläger nicht mit Zulassungsrügen angegriffen. Auf die Frage des Publikumsverkehrs kam es trotz des breiten Raums, den das FG ihr gewidmet hat, für die Entscheidung im Ergebnis nicht mehr an.

2. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist die Revision auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen eines Verfahrensmangels (Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ) zuzulassen.

a) Soweit der Kläger die Protokollführung beanstandet, rügt er in erster Linie den Verhandlungsstil. Die Beschwerde ist in diesem Punkte unzulässig, da ihr nicht zu entnehmen ist, welche konkreten Teile des Vortrags die Vorsitzende nicht wahrgenommen habe oder warum bestimmter Vortrag schon gar nicht möglich gewesen sei. Die Annahme, Sachaufklärung und Beweiserhebung seien deshalb unterblieben, ist spekulativ.

b) Aus den unter II.1. dargestellten Gründen kam und kommt es auf die Frage, wie viel Kundenverkehr für einen "intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr" erforderlich ist (was im Übrigen keine Frage der Sachaufklärung, sondern eine Rechtsfrage ist), auf den Beweiswert der Werbebroschüre aus dem Jahre 2009, auf die in der mündlichen Verhandlung verbliebenen Unklarheiten bezüglich bestimmter Kunden und damit auf die begehrte Schriftsatzfrist (wobei das FG nach eigenem Bekunden die Unklarheiten zu Gunsten des Klägers ausgewertet hat) und schließlich auch auf den Inhalt etwaiger Zeugenaussagen zur Intensität des Publikumsverkehrs nicht mehr an. All diese Punkte beziehen sich auf die Frage der Widmung des Raums für den Publikumsverkehr. Die Beschwerde ist insoweit ebenfalls unzulässig, da der Kläger die Entscheidungserheblichkeit der nach seiner Auffassung noch aufzuklärenden Punkte nicht dargelegt hat. Sie liegt auch nicht vor.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO .

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Vorinstanz: Sächsisches Finanzgericht, vom 02.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 6 K 937/14
Fundstellen
BFH/NV 2017, 1170