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BFH - Entscheidung vom 23.06.2017

X B 11/17

Normen:
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Fundstellen:
BFH/NV 2017, 1440

BFH, Beschluss vom 23.06.2017 - Aktenzeichen X B 11/17

DRsp Nr. 2017/12790

Anforderungen an die Begründung der finanzgerichtlichen Klage gegen Schätzungsbescheide

1. Der Gegenstand des Klagebegehrens ist bei einer Klage gegen einen Schätzungsbescheid hinreichend bezeichnet, wenn ein Kläger innerhalb einer gesetzten Ausschlussfrist zwar keine Steuererklärung, wohl aber betragsmäßig eindeutige Einkünfteermittlungen einreicht, und aus seinem Vorbringen hervorgeht, dass er keine weiteren Änderungen des Schätzungsbescheids begehrt. 2. Eine Ausschlussfristsetzung, die dem Kläger nur fünf --zudem noch in die Schulferien fallende-- Arbeitstage für die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens einräumt, dürfte unzumutbar kurz und damit unwirksam sein.

Auch bei einer Klage gegen Schätzungsbescheide genügt es zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens, wenn die anderweitig anzusetzende Besteuerungsgrundlage dem Betrag nach bezeichnet, insbesondere der Betrag des begehrten Gewinns angegeben wird. Auch wenn ein Kläger noch keine Steuererklärung abgibt, genügt es, wenn er substantiiert darlegt, weshalb die geschätzten Besteuerungsgrundlagen zu hoch sein sollen und ggfls. eine substantiierte eigene Schätzung vornimmt.

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Oktober 2016 3 K 1013/16 aufgehoben, soweit es die Einkommensteuer 2012 betrifft.

Insoweit wird die Sache an das Finanzgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Normenkette:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2012 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger bezieht aus zwei verschiedenen Arbeitsverhältnissen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, ferner Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Photovoltaikanlage) sowie aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin bezieht Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, die gesondert festgestellt werden, ferner Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Für das Vorjahr 2011 reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärung erst nach Ergehen eines Schätzungsbescheids ein. Für das Streitjahr 2012 schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ebenfalls die Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklärung. Dabei legte es hinsichtlich der beiden Arbeitsverhältnisse die von den Arbeitgebern elektronisch übermittelten Daten und hinsichtlich der freiberuflichen Einkünfte den ergangenen Feststellungsbescheid zugrunde. Im Übrigen orientierte es sich an den Vorjahreswerten.

Mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheid vom 18. September 2015 hob das FA den der Festsetzung zunächst beigefügten Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Einspruch, der nicht begründet wurde, blieb ohne Erfolg.

In ihrer —auch wegen der Einkommensteuer 2011 eingereichten— Klageschrift beantragten die Kläger, die Einkommensteuer 2011 und 2012 "anderweitig festzusetzen". Eine weitere Klagebegründung reichten sie zunächst nicht ein. Das Finanzgericht (FG) setzte den Klägern gemäß § 65 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) eine Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens bis zum 29. März 2016; die entsprechende Aufforderung wurde den Klägern am 19. März 2016 zugestellt.

Am 29. März 2016 ging beim FG ein per Telefax übermittelter Schriftsatz der Kläger mit umfangreichen Anlagen ein. Sie begehrten, die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb sowie die Vermietungseinkünfte aus den beiden Objekten "wie beantragt zu berücksichtigen". Sie fügten zu den gewerblichen Einkünften die Anlage G sowie eine in der Anlage EÜR vorgenommene Gewinnermittlung bei. Zu den Vermietungsobjekten legten sie jeweils eine Anlage V, mehrere Anlagen mit einer Aufgliederung der Einnahmen und Werbungskosten sowie Belege zu einem Teil der Werbungskosten bei. Ferner war eine Zuwendungsbestätigung beigefügt.

Das FA äußerte sich dahingehend, dass es die Klage für unzulässig halte, weil weiterhin keine vollständige Steuererklärung eingereicht worden sei und die nunmehr erklärten Angaben in zahlreichen Punkten aufklärungsbedürftig seien. So sei die Absetzung für Abnutzung (AfA) bei den gewerblichen Einkünften zu hoch angesetzt worden, dafür sei aber der Abzug der gezahlten Umsatzsteuer als Betriebsausgabe unterblieben. Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sei die AfA hinsichtlich eines Objekts zu gering angegeben. Unklar sei, ob die Brutto- oder Nettomiete erklärt worden sei. Die geltend gemachten Werbungskosten entsprächen der Höhe nach teilweise den für die Vorjahre erklärten Beträgen; sie seien daher im Einzelnen nachzuweisen.

Das FG verwarf die Klage als unzulässig. Der Gegenstand des Klagebegehrens sei nicht bis zum Ablauf der Ausschlussfrist bezeichnet worden. Das FG hätte zur Ermittlung dessen, was konkret beantragt werden soll, die dem Telefax-Schreiben vom 29. März 2016 beigefügten, teilweise unleserlichen Anlagen "sondieren" und unter Beiziehung der Akten und der angefochtenen Bescheide selbst ermitteln müssen, was letztendlich begehrt werde. Selbst wenn man dies als Aufgabe des FG ansehen sollte, wäre es nicht innerhalb der Ausschlussfrist möglich gewesen.

Mit ihrer —auf die Einkommensteuer 2012 beschränkten— Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen Divergenz und Verfahrensmängeln.

Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Es liegt ein von den Klägern geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ).

a) Ein Verfahrensmangel ist u.a. dann gegeben, wenn das FG eine tatsächlich zulässige Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig verwirft. Dies gilt insbesondere, wenn das FG ein Prozessurteil mit der Begründung erlässt, der Gegenstand des Klagebegehrens sei innerhalb einer gesetzten Ausschlussfrist nicht hinreichend bezeichnet worden, obwohl dies tatsächlich der Fall war (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 23. Januar 1997 IV R 84/95, BFHE 182, 273 , BStBl II 1997, 462 , unter 1. vor a).

b) Auch bei einer Klage gegen Schätzungsbescheide genügt es zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens, wenn die anderweitig anzusetzende Besteuerungsgrundlage dem Betrag nach bezeichnet, insbesondere der Betrag des begehrten Gewinns angegeben wird (BFH-Urteile vom 17. April 1996 I R 91/95, BFH/NV 1996, 900 , und in BFHE 182, 273 , BStBl II 1997, 462 , unter 1.a). Nur diese Auslegung des § 65 Abs. 1 FGO trägt dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes ) Rechnung (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232 , unter 1., m.w.N.).

Auch wenn ein Kläger noch keine Steuererklärung abgibt, genügt es, wenn er substantiiert darlegt, weshalb die geschätzten Besteuerungsgrundlagen zu hoch sein sollen, und ggf. eine substantiierte eigene Schätzung vornimmt (BFH-Beschlüsse vom 31. Juli 2007 VIII B 41/05, BFH/NV 2007, 2304 , und vom 14. August 2013 III B 13/13, BFH/NV 2013, 1795 , Rz 11).

c) Diese Anforderungen haben die Kläger mit Einreichung ihres Schreibens vom 29. März 2016 erfüllt. Sie haben darin beantragt, die Schätzung hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Vermietung und Verpachtung zu ändern. In Bezug auf die Höhe der Einkünfte aus den genannten Einkunftsquellen haben sie jeweils die amtlichen Erklärungsvordrucke vorgelegt, in denen die Einkünfte betragsmäßig genau ermittelt waren. Ferner waren Aufgliederungen der erklärten Beträge sowie Belege beigefügt. Die Wertung des FG, die per Telefax übermittelten Anlagen seien "zum Teil unleserlich" gewesen, kann der Senat nicht nachvollziehen. Tatsächlich ist jedes Blatt der Anlagen ausreichend gut und eindeutig lesbar.

Weshalb das FG —wie es meint— zur Ermittlung des genauen Antrags die Akten noch innerhalb der Ausschlussfrist hätte beiziehen müssen, was ihm nicht möglich gewesen sei, ist für den Senat ebenfalls nicht ersichtlich. Der Klageantrag war mit Einreichung des Schriftsatzes vom 29. März 2016 und der diesem Schriftsatz beigefügten Einkünfteermittlungen betragsmäßig eindeutig gestellt. Umgekehrt stand ebenfalls eindeutig fest, dass die Kläger hinsichtlich der übrigen Besteuerungsgrundlagen —den auf Datenübermittlungen beruhenden Ansätzen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie der gesondert festgestellten Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit— keine Änderung begehrten. Welche Einkunftsarten bei den Klägern einschlägig waren, war dem FG aus der rechtzeitig übersandten und ihm daher bei Ablauf der Ausschlussfrist vorliegenden Einspruchsentscheidung bekannt.

Der vom FA angeführte Umstand, dass die Angaben der Kläger zur Höhe ihrer Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie Vermietung und Verpachtung noch aufklärungsbedürftig seien, steht der Annahme, der Gegenstand des Klagebegehrens sei hinreichend bezeichnet, nicht entgegen. Es ist schon zwischen der Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens (§ 65 FGO ) und der Einreichung einer Klagebegründung (ggf. Fristsetzung nach § 79b FGO ) zu differenzieren (vgl. BFH-Urteil in BFHE 182, 273 , BStBl II 1997, 462 , unter 1.c). Erst recht muss die Frage, ob der Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet ist, von der anders gelagerten Frage unterschieden werden, ob eine eingereichte (Teil–)Steuererklärung bzw. Klagebegründung ohne weitere Ermittlungen oder Änderungen der Besteuerung bzw. Urteilsfindung zugrunde gelegt werden kann. Letzteres gehört zur Entscheidung über die Begründetheit der Klage, die nicht bereits in die Zulässigkeitsprüfung vorverlagert werden darf.

d) Ergänzend weist der Senat —ohne dass dies die Kläger gerügt hätten oder es für die Entscheidung über den Streitfall darauf ankäme— darauf hin, dass er die vom FG gesetzte Ausschlussfrist für zu kurz hält, so dass schon Zweifel an der Wirksamkeit der Fristsetzung bestehen.

Die Fristsetzung wurde den —durch eine Prozessbevollmächtigte vertretenen— Klägern am 19. März 2016 (Samstag) zugestellt. Die Frist endete am 29. März 2016 (Dienstag nach Ostern). Aufgrund der in den Fristenlauf fallenden Feiertage (Karfreitag, Ostern) standen für die Erfüllung der finanzgerichtlichen Anforderung daher nur fünf Arbeitstage zur Verfügung, die zudem noch vollständig in die Osterferien fielen. Eine derart kurze Frist dürfte nicht nur ungewöhnlich, sondern für einen Prozessbevollmächtigten auch unzumutbar sein.

2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es die Einkommensteuer 2012 betrifft, und den Rechtsstreit insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz, vom 25.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 1013/16
Fundstellen
BFH/NV 2017, 1440