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BAG - Entscheidung vom 27.07.2017

6 AZR 705/16

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 9 Abs. 3
Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Thüringen v. 17.04.2014 (TV-N-Thüringen) § 6 Abs. 2
Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Thüringen v. 17.04.2017 (TV-N-Thüringen) Protokollnotiz zu § 6 Abs. 2

BAG, Urteil vom 27.07.2017 - Aktenzeichen 6 AZR 705/16

DRsp Nr. 2017/14466

Auslegungsgrundsätze zum normativen Teil von Tarifverträgen Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung Pauschale Tarifüberleitung im Ramen der tariflichen Gestaltungsbefugnis der Tarifvertragsparteien

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit er in den tariflichen Regelungen und ihrem systematischen Zusammenhang Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen (BAG 2. November 2016 - 10 AZR 615/15 - Rn. 14; kritisch bezüglich der Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte BAG 19. Oktober 2016 - 4 AZR 457/15 - Rn. 28). Bei der Auslegung eines ablösenden Tarifvertrags kann neben dem ablösenden Tarifvertrag selbst auch der abgelöste Tarifvertrag mit herangezogen werden. Dies folgt schon aus dem insoweit unmittelbar ersichtlichen tariflichen Regelungszusammenhang (BAG 14. Juli 2015 - 3 AZR 903/13 - Rn. 17). 2. Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzen (BAG 22. März 2017 - 4 ABR 54/14 - Rn. 25; 15. Dezember 2015 - 9 AZR 611/14 - Rn. 27). Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Den Tarifvertragsparteien steht hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BAG 22. September 2016 - 6 AZR 432/15 - Rn. 22 mwN). Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (BAG 26. April 2017 - 10 AZR 856/15 - Rn. 28). 3. Die Tarifvertragsparteien haben mit der Protokollerklärung zu § 6 Abs. 2 TV-N-Thüringen nF die Überleitung der Beschäftigten aus der bisherigen Stufe 1, die von der Verkürzung der Stufenlaufzeit betroffen ist, pauschal geregelt und die geschilderten Ungleichbehandlungen dabei bewusst angestrebt bzw. in Kauf genommen. Dies ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die mit der Nichtanrechnung der bisherigen Stufenlaufzeit in der früheren Stufe 1 verbundene Ungleichbehandlung der zum 1. März 2014 bereits Beschäftigten untereinander ist im Zuge einer pauschalen Überleitung zulässig. Die generelle Zuordnung zur neuen Stufe 1 hatte im Vergleich zum früheren System für alle betroffenen Beschäftigten den Vorteil, dass die in der alten Stufe 1 für einen Aufstieg in die frühere Stufe 2 erforderliche dreijährige Stufenlaufzeit nicht mehr vollständig zurückgelegt werden musste. Die vierjährige Laufzeit der nächsthöheren Stufe begann damit früher. Der Umstand, dass dieser Vorteil je nach absolvierter Stufenlaufzeit unterschiedlich ins Gewicht fällt, macht die Regelung nicht verfassungswidrig. Die Tarifvertragsparteien durften diese Konsequenz der Pauschalisierung als zumutbar einstufen, denn keinesfalls wurde für die "Altbeschäftigten" die Stufenlaufzeit verlängert und damit eine Verschlechterung herbeigeführt.

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 13. September 2016 - 1 Sa 244/16 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ; GG Art. 9 Abs. 3 ; Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Thüringen v. 17.04.2014 (TV-N-Thüringen) § 6 Abs. 2; Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Thüringen v. 17.04.2017 (TV-N-Thüringen) Protokollnotiz zu § 6 Abs. 2;

Entscheidungsgründe:

Die Parteien haben auf Tatbestand und Entscheidungsgründe verzichtet (§ 313a ZPO ).

Hinweise des Senats:

Parallelentscheidung zu führender Sache - 6 AZR 701/16 -; ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe

Vorinstanz: LAG Thüringen, vom 13.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 Sa 244/16
Vorinstanz: ArbG Gera, vom 02.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 7 Ca 305/14