Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 20.07.2016

8 B 1.15

Normen:
VermG § 3 Abs. 1 S. 4 und 6
VermG § 3 Abs. 1 S. 4 und S. 6
VermG § 3 Abs. 1 S. 4

Fundstellen:
AUR 2016, 349

BVerwG, Beschluss vom 20.07.2016 - Aktenzeichen 8 B 1.15

DRsp Nr. 2016/14362

Bestimmung des Anspruchs des Berechtigten auf Einräumung von Bruchteilseigentum durch die ihm verfolgungsbedingt entzogene Beteiligung an einem Unternehmen

Der Anspruch des Berechtigten auf Einräumung von Bruchteilseigentum nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG wird allein durch die ihm verfolgungsbedingt entzogene Beteiligung an einem Unternehmen bestimmt. Daher kann weder eine nach dem Entzug erfolgte Aufstockung des Anteils dieses Unternehmens an einem anderen Unternehmen (BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2006 - 7 B 77.05 - [...] Rn. 8) noch der nachträgliche erstmalige Erwerb eines Anteils an einem anderen Unternehmen einen solchen Anspruch erhöhen oder begründen.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Normenkette:

VermG § 3 Abs. 1 S. 4;

Gründe

Die Klägerinnen veräußerten ihre Beteiligungen in Höhe von 34,484 % und 4,26 % an der B. AG im Februar 1938 verfolgungsbedingt im Sinne des § 1 Abs. 6 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen ( Vermögensgesetz - VermG ) i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 (BGBl. I S. 205), zuletzt geändert durch Art. 587 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474). Im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 1938 und dem 30. Juni 1939 erwarb die B. AG eine Beteiligung in Höhe von 27,482 % an der E. AG. Im Eigentum der E. AG standen zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Grundstücke. Mit Bescheiden vom 4. Juni 2012 lehnte die Beklagte die Anträge der Klägerinnen auf Einräumung von Bruchteilseigentum an den Grundstücken der E. AG ab. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG sei auf den vorliegenden Fall weder direkt noch analog anwendbar. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

Die Beschwerde der Klägerinnen bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) liegen nicht vor.

1. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) zuzulassen, wenn die Rechtssache eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die von allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 und 3 i.V.m. Satz 6 VermG unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts, dass dem Geschädigten eine "wirtschaftliche" Eigentümerstellung wieder eingeräumt werden soll, auf Fälle, in denen das Unternehmen, an dem eine Beteiligung entzogen wurde, nach dem Beteiligungsentzug eine Beteiligung an einem weiteren Unternehmen neu erworben hat, dergestalt analog anwendbar ist, dass ein Anspruch auf Einräumung von Bruchteilsrestitution an den Grundstücken des Unternehmens, an dem die Beteiligung nachträglich erworben wurde, besteht?

Die Frage ist anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und der Rechtsprechung des Bundesverwal tungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Februar 2006 - 7 B 77.05 - [...] Rn. 8 und vom 30. Juli 2010 - 8 B 125.09 - ZOV 2010, 231) ohne Weiteres zu verneinen. Der Umfang der Bruchteilsrestitution bestimmt sich bei Anteilsschädigungen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG nach dem im Schädigungszeitpunkt bestehenden Umfang der geschädigten Beteiligung. Das gilt nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift auch für mittelbare Beteiligungen. Wurde dem Berechtigten ein Anteil an einer Beteiligungsgesellschaft gemäß § 1 Abs. 6 VermG entzogen und erwarb diese nach der Anteilsschädigung (weitere) Anteile an einer Tochtergesellschaft hinzu, führt das nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu einer Erhöhung der Ansprüche ihres geschädigten Gesellschafters auf Bruchteilsrestitution gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG an Vermögensgegenständen der Tochtergesellschaft. Kann die Vergrößerung einer Unterbeteiligung durch einen Unternehmensträger nach der Anteilsschädigung die Ansprüche seines geschädigten Gesellschafters nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG an Vermögensgegenständen der Tochtergesellschaft nicht vergrößern, kann der erstmalige Erwerb einer Unterbeteiligung nach der Anteilsschädigung des Gesellschafters erst recht keine Ansprüche nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG an solchen Vermögensgegenständen vermitteln.

Selbst wenn unterstellt würde, dass die nach der Anteilsschädigung erworbene Unterbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG als mit Mitteln des Unternehmens (nämlich der Beteiligungsgesellschaft) erworbener Vermögensgegenstand einzuordnen wäre, ließe sich daraus allenfalls ein Anspruch auf Bruchteilsrestitution der diese Unterbeteiligung konstituierenden Aktien herleiten, nicht jedoch ein Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum an den Grundstücken der Aktiengesellschaft.

Die Beschwerde zeigt auch, soweit sie eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Bruchteilsrestitution zur Erstreckung des Anspruchs auf solche Grundstücke fordert, keinen weitergehenden Klärungsbedarf auf. Wie das angegriffene Urteil zutreffend darlegt, ist eine planwidrige Regelungslücke nicht zu erkennen. Sie wird auch mit der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gebietet es nicht, dem geschädigten Anteilseigner den Durchgriff auf Vermögenswerte von Beteiligungen zu ermöglichen, die von dem Unternehmensträger, an dem er bis zur Schädigung beteiligt war, nach der Schädigung erworben wurden. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass die in der Zeit von 1932 bis 1945 Verfolgten nicht schlechter stehen, als sie bei Anwendung der alliierten Rückerstattungsgesetze, insbesondere der Berliner Rückerstattungsanordnung, gestellt wären (vgl. BT-Drs. 12/2944 S. 50). Die von den Klägerinnen darüber hinaus zitierten Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drs. 12/2480 S. 40) gebieten kein weitergehendes Verständnis des Gesetzeszwecks im Sinne einer über die Durchgriffsregelung noch hinausgehenden "umfassenden Wiedergutmachung". Denn dort heißt es lediglich, es sollten diejenigen Fälle einer befriedigenden Lösung zugeführt werden, in denen dem Berechtigten zunächst aus den in § 1 Abs. 6 VermG genannten Gründen das Unternehmen und dann diesem Unternehmen nach 1945 der Grundbesitz oder andere Vermögensgegenstände weggenommen wurden. Zu Vermögensgegenständen, die von nach § 1 Abs. 6 VermG entzogenen Unternehmen nach der Schädigung erworben wurden, verhält sich die Gesetzesbegründung nicht. Denn sie bezieht sich auf einen Entwurfstext, der einen Durchgriff auf solche Vermögensgegenstände noch gar nicht vorsah (BT-Drs. 12/2480 S. 5).

Gemessen an dem Ziel der Gleichbehandlung von Anspruchsberechtigten nach den Rückerstattungsgesetzen und dem Vermögensgesetz ist ein vermögensrechtliches Regelungsdefizit nicht gegeben. Die alliierten Rückerstattungsvorschriften sahen für den Fall der Entziehung eines geschäftlichen Unternehmens vor, dass sich der Rückerstattungsanspruch auch auf die nach der Entziehung aus Mitteln des Unternehmens beschafften Vermögensgegenstände erstreckte, dehnten diesen Anspruch aber nicht auf einen Durchgriff auf Vermögensgegenstände einer Tochtergesellschaft aus, deren Anteile das entzogene Unternehmen (oder das Unternehmen, dessen Anteile seinem Gesellschafter entzogen worden waren), erst nach der Schädigung erworben hatte (vgl. Art. 29 Abs. 3 USREG, Art. 25 Abs. 3 BrREG, Art. 26 Abs. 4 REAO). Auch ein Wertersatz bei Wertminderung der nach der Entziehung beschafften Vermögensgegenstände war nicht vorgesehen (vgl. Godin, Rückerstattungsgesetze, 2. Aufl., 1950, Art. 29 USREG Anm. 13). Verlor eine nach der Schädigung von dem entzogenen Unternehmen hinzuerworbene Beteiligung dadurch an Wert, dass die Beteiligung ihrerseits Vermögensgegenstände ohne adäquaten Ersatzanspruch verlor, musste der Rückerstattungsberechtigte dies hinnehmen.

b) Die Beschwerde hält weiter für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob die zwischen Sachen im Sinne von § 90 BGB und Beteiligungsrechten an Kapitalgesellschaften durch die Ablehnung einer analogen Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 und 3 i.V.m. Satz 6 VermG in Fällen der nach Beteiligungsentzug erworbenen "vermittelten" Beteiligung (wobei Zuordnungsobjekte des Bruchteilsrestitutionsanspruchs die Grundstücke des "neu hinzuerworbenen" Unternehmens sind) vorgenommene Differenzierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

Soweit die Rüge darauf zielen sollte, dass mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG auch Beteiligungen an Kapitalgesellschaften als "Vermögensgegenstand" im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG zu werten seien, würde sich die Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn die Klägerinnen begehren nicht die Einräumung von Bruchteilseigentum an den die Unterbeteiligung konstituierenden Aktien. Auch ist weder hinreichend dargelegt noch sonst ersichtlich, dass aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Anspruch des Berechtigten auf Einräumung von Bruchteilseigentum am Grundeigentum der Tochtergesellschaft hergeleitet werden könnte, wenn die Unterbeteiligung erst nach der Schädigung erworben wurde. Die Beschwerde lässt insoweit bereits außer Acht, dass dieses Grundeigentum nicht selbst Gegenstand der nach der Schädigung erfolgten "späteren Anschaffung" des Unternehmens war, es also eines weiteren Durchgriffs bedürfte. Im Übrigen ist der Ausschluss eines weiteren Durchgriffs auf Grundeigentum einer Tochtergesellschaft, deren Anteile das Unternehmen erst nach Schädigung erworben hatte, auch mit Blick auf das Ziel der Gleichbehandlung von Anspruchsberechtigten nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen und dem Vermögensgesetz gerechtfertigt. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

2. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rn. 222 m.w.N.).

a) Die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht habe den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 55 VwGO i.V.m. § 169 GVG ) dadurch verletzt, dass es die mündliche Verhandlung verfrüht begonnen und zu einem überwiegenden Teil vor Beginn der ursprünglich angesetzten Terminsstunde durchgeführt habe. Der Grundsatz der Öffentlichkeit gebiete es, jedem im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten den Zutritt zu einer mündlichen Verhandlung zu eröffnen. Dazu gehöre auch, dass jeder eine rechtzeitige und allgemein zugängliche Information über Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung erlangen könne. Damit ist ein Verfahrensmangel schon nicht bezeichnet. Eine Verhandlung ist in dem von § 55 VwGO i.V.m. § 169 Satz 1 GVG geforderten Sinne schon dann "öffentlich", wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. März 2012 - 4 B 11.12 - BauR 2012, 1097 ). Nicht erforderlich ist dagegen eine an jedermann gerichtete Bekanntgabe, wann und wo eine Gerichtsverhandlung stattfindet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 1986 - 5 CB 140.83 -Buchholz 424.01 § 64 FlurbG Nr. 5 S. 7 f.). Das gilt sowohl für die erstmalige Anberaumung eines Termins als auch für die (ggf. kurzfristige) Verlegung des Termins für eine mündliche Verhandlung. Eine Verpflichtung zur (rechtzeitigen) Ladung der Öffentlichkeit enthält das von den Verwaltungsgerichten zu beachtende Prozessrecht nämlich nicht.

b) Die Beschwerde meint weiter, das Verwaltungsgericht habe den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 55 VwGO i.V.m. § 169 GVG ) dadurch verletzt, dass sich am Tag der mündlichen Verhandlung kein Terminaushang für das Verfahren am Gerichtssaal befunden hätte. Dort sei lediglich auf den Terminaushang im Wartebereich hingewiesen worden, den man auf dem Weg zum Gerichtssaal nicht passieren müsse. Auch damit ist ein Verfahrensmangel nicht bezeichnet. Denn aus den Vorschriften über die Wahrung der Öffentlichkeit bei mündlichen Verhandlungen folgt überhaupt keine Verpflichtung, mündliche Verhandlungen durch Aushang bekannt zu machen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juli 1972 - 4 CB 60.70 - JR 1972, 521).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 4 Nr. 3 GKG .

Vorinstanz: VG Berlin, vom 23.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen VG 29 K 159.12
Fundstellen
AUR 2016, 349