Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 11.02.2016

2 B 51.14

Normen:
VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1-2
GG Art. 103 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 11.02.2016 - Aktenzeichen 2 B 51.14

DRsp Nr. 2016/5889

Aberkennung des Ruhegehalts eines Ruhestandsbeamten wegen Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften; Beweiswürdigung bzgl. Übernahme eines Sachverständigengutachtens

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. März 2014 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 86 Abs. 1 ; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 -2; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Der 1948 geborene und ledige Beklagte stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im August 2009 als Oberstudienrat an einer allgemeinbildenden Schule im Dienst des klagenden Landes.

Durch im Juni 2011 rechtskräftig gewordenes amtsgerichtliches Urteil wurde der Beklagte wegen Besitzverschaffung von kinderpornographischen Schriften zu einer Geldstrafe verurteilt. Im parallel geführten Disziplinarverfahren erhob der Kläger im Mai 2012 Disziplinarklage. Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Nach den bindenden strafgerichtlichen Feststellungen stehe fest, dass der Beklagte - neben einer Vielzahl sogenannter "Posing-Bilder" - am 11. und 13. Mai 2006 durch das Anwählen einschlägiger Internetseiten bewusst und gewollt vier kinderpornographische Schriften (Bilddateien) erlangt und diese willentlich auf seinem privaten PC und Laptop gespeichert habe. Durch die außerdienstliche Besitzverschaffung kinderpornographischer Bilddateien noch zu seinen aktiven Dienstzeiten habe der Beklagte seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gravierend verletzt. Ein Lehrer, der sich kinderpornographische Schriften beschaffe, könne die ihm dienstlich obliegenden Erziehungsaufgaben nicht mehr erfüllen. Deshalb reiche der Orientierungsrahmen für die auszusprechende Disziplinarmaßnahme hier bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, der bei einem Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts entspreche. Das Dienstvergehen sei trotz der geringen Anzahl von Bilddateien aufgrund der dargestellten schweren Missbrauchsformen - Vollzug des Oralverkehrs eines vollständig entkleideten weiblichen Kindes bei einem erwachsenen Mann und Penetration weiblicher Kinder durch erwachsene Männer - als besonders verwerflich zu beurteilen. Eine Lösung von den bindenden amtsgerichtlichen Feststellungen komme auch im Hinblick auf das erst nach Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils im Strafverfahren vorgelegte Gutachten über die forensische Auswertung der beim Beklagten sichergestellten Speichermedien nicht in Betracht, da dieses Gutachten die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht erschüttere, sondern im Gegenteil stütze und erhärte. Entlastende Umstände von erheblichem Gewicht lägen nicht vor.

2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.

Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - von der Beschwerde zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung im Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 2. Februar 2011 - 6 B 37.10 - NVwZ 2011, 507 Rn. 2). Dies ist in der Begründung der Beschwerde darzulegen (§ 133 Abs. 3 VwGO ). Eine Klärung durch eine revisionsgerichtliche Entscheidung ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts nicht erforderlich, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt (BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13 und vom 29. Dezember 2014 - 2 B 110.13 - ZBR 2015, 170 Rn. 6). So verhält es sich hier.

Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestellte Frage,

"ob ein Sachverständigengutachten, das in einem anderen gerichtlichen Berufungsverfahren, hier einem Strafverfahren, in Auftrag gegeben wurde,

dort aber erst nach dessen rechtskräftiger Verfahrenseinstellung einging und in diesem Verfahren keine Verwertung mehr erfahren hat, sowie der damit eingetretenen Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils, in dem das Gutachten keinen Eingang mehr finden konnte und durfte, trotz einer Bindungswirkung des nunmehr rechtskräftigen erstinstanzlichen Urteils in dem vorliegenden gerichtlichen Verfahren, hier eines Disziplinarverfahrens,

in dem zu entscheidenden Verfahren bei der gegebenen Sachlage ohne eine eigene Beweisaufnahme in seinem Urteil als Sachverständigengutachten verwertet werden darf",

ist bereits nicht entscheidungserheblich. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das angefochtene Berufungsurteil stützt sich nicht tragend auf das bezeichnete Sachverständigengutachten. Es legt seiner Entscheidung vielmehr allein die Tatsachenfeststellungen des rechtskräftig gewordenen strafgerichtlichen Urteils zugrunde. Soweit das Berufungsurteil auf das betreffende Gutachten Bezug nimmt (Bl. 17 f., 21 Urteilsumdruck) geschieht dies lediglich bei der Prüfung, ob eine Lösung von den Feststellungen des amtsgerichtlichen Strafurteils zugunsten des Beklagten in Betracht kommt. Es ist deshalb ausgeschlossen, dass sich die Heranziehung des Gutachtens zu Lasten des Beklagten ausgewirkt hat.

3. Die Revision ist auch nicht wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts zuzulassen.

Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen inhaltlich bestimmten, das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem ebensolchen Rechtssatz widersprochen hat, der in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder in einer anderen divergenzfähigen Entscheidung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt worden ist, und diesen nicht anwendet, weil es ihn für unrichtig hält (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom 3. Juli 2007 - 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 4, vom 28. Oktober 2008 - 2 B 53.08 - [...] Rn. 3 und vom 6. Mai 2014 - 2 B 90.13 - ZBR 2014, 375 Rn. 10). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Die Beschwerde genügt bereits nicht den an eine Divergenzrüge zu stellenden Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ).

Sie zitiert mit dem Satz, es sei Gerichten verboten, Sachverständigengutachten ungeprüft zu übernehmen, nur sinngemäß Ausführungen aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 1998 - 6 B 44.98 - (Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 390 S. 218 f.), ohne diesen einen abstrakten Rechtssatz des Berufungsgerichts gegenüber zu stellen, mit dem dieses von einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen wäre. Darüber hinaus liegt die behauptete Divergenz auch der Sache nach nicht vor. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung weder auf ein Sachverständigengutachten gestützt noch ein solches ungeprüft übernommen.

Soweit die Beschwerde eine Abweichung des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts behauptet, zitiert es dazu nur die Fundstellen von drei Beschlüssen. Die Beschwerde benennt aber keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz, mit dem das Berufungsgericht einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Damit genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen nach § 133 Abs. 3 VwGO .

4. Die Beschwerde hat auch keinen Verfahrensmangel dargelegt, auf dem das Urteil des Berufungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ). Sie hat namentlich keinen Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen gemäß § 86 Abs. 1 VwGO (a) oder gegen die Grundsätze der rechtlichen Würdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dargelegt (b) noch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO aufgezeigt (c).

a) Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO liegt nicht vor. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1). Die Aufklärungspflicht verlangt hingegen nicht, dass ein Tatsachengericht Ermittlungen anstellt, die aus seiner Sicht unnötig sind, weil deren Ergebnis nach seinem Rechtsstandpunkt für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> und Beschluss vom 14. Juni 2005 - 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 S. 1 f.).

Die Beschwerde beanstandet als Aufklärungsmangel, dass das Berufungsgericht das Sachverständigengutachten herangezogen und in seiner Entscheidung verwertet hat, ohne zuvor - von der Beschwerde angenommene - offensichtliche Mängel und offen gelassene Fragen des Gutachtens mit dem Sachverständigen in mündlicher Verhandlung erörtert zu haben. Damit ist ein Aufklärungsmangel nicht dargetan. Denn das Berufungsgericht hat - wie ausgeführt -nicht tragend auf das Sachverständigengutachten abgestellt.

b) Auch ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt nicht vor. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (BVerwG, Beschlüsse vom 13. Februar 2012 - 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7 und vom 11. Juni 2014 - 2 B 3.13 - [...] Rn. 17 m.w.N.). Das Ergebnis der gerichtlichen Beweiswürdigung selbst ist vom Revisionsgericht nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält (stRspr, vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 30.05 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16 sowie Beschluss vom 23. April 2015 - 2 B 63.14 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 67 Rn. 7 m.w.N.).

Einen derartigen Verfahrensmangel zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie begnügt sich vielmehr damit, ihre Sichtweise an die Stelle derjenigen des Gerichts zu setzen. Insbesondere hat das Berufungsgericht bei der Tatsachenwürdigung den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht verletzt. Denn es hat seine Entscheidung - entgegen der Auffassung des Beklagten - tragend nicht auf gutachtliche Aussagen gestützt, sondern auf die Tatsachenfeststellungen im rechtskräftig gewordenen erstinstanzlichen Strafurteil.

c) Schließlich ist auch das Gehörsrecht des Beklagten nicht verletzt. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen zu befassen. Dagegen gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen gerichtliche Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.> m.w.N.).

Der Beklagte hat im disziplinargerichtlichen Berufungsverfahren zwar schriftlich auf Mängel im von ihm beanstandeten Gutachten hingewiesen und geltend gemacht, dass es sich bei diesem Gutachten um ein untaugliches Beweismittel handele. Weil es nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auf dieses Gutachten aufgrund der schlüssigen und folgerichtigen Tatsachenfeststellungen im rechtskräftig gewordenen Strafurteil von vornherein nicht entscheidungserheblich hat ankommen können, hat es diesen Sachvortrag des Beklagten aus Gründen des materiellen Rechts unberücksichtigt lassen können.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO , § 81 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Disziplinargesetz (HDG). Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (§ 82 Abs. 1 Satz 1 HDG i.V.m. Nr. 11 und 62 der Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 HDG).

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 17.03.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 28 A 1585/13