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BSG - Entscheidung vom 05.07.2016

B 6 KA 46/16 B

Normen:
SGG § 67 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 05.07.2016 - Aktenzeichen B 6 KA 46/16 B

DRsp Nr. 2017/9563

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Verschulden des Prozessbevollmächtigten Verschulden von Hilfskräften Organisation der Fristenkontrolle

1. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. 2. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten selbst - sowie der von ihm beschäftigten, zur Rechtsvertretung im Prozess befugten Personen - ist der Prozesspartei stets zuzurechnen. 3. Ein Verschulden der weiteren - von dem Prozessbevollmächtigten herangezogenen - Bediensteten ist der Prozesspartei indessen dann nicht zuzurechnen, wenn deren Fehlverhalten Aufgaben betrifft, die auf sie delegiert werden durften und wenn sie sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht wurden.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 13 151 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 67 Abs. 1 ;

Gründe:

I

Der Kläger hat gegen das ihm am 14.4.2016 zugestellte Urteil des LSG am 12.5.2016 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Am 16.6.2016 hat er beantragt, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um einen Monat zu verlängern. Gleichzeitig hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die ansonsten stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte, die die Fristenkontrolle sicherstelle, habe zwar das richtige Datum für den Fristablauf in die Handakte eingetragen, was auch anwaltlich kontrolliert worden sei, sie habe jedoch versehentlich den 16.6.2016 statt des 14.6.2016 in den Fristenkalender eingetragen. Der Kläger hat zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin vorgelegt.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie ist weder innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung der Vorinstanz begründet worden noch ist innerhalb dieser Frist ein Antrag auf Verlängerung gestellt worden (§ 160a Abs 2 SGG ).

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Nach § 67 Abs 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die Säumnis des Prozessbevollmächtigten, dessen Verschulden der Kläger sich zurechnen lassen muss (vgl § 73 Abs 4 und 6 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO ), war nicht iS von § 67 Abs 1 SGG unverschuldet. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten selbst - sowie der von ihm beschäftigten, zur Rechtsvertretung im Prozess befugten Personen - ist der Prozesspartei stets zuzurechnen. Ein Verschulden der weiteren - von dem Prozessbevollmächtigten herangezogenen - Bediensteten ist der Prozesspartei indessen dann nicht zuzurechnen, wenn deren Fehlverhalten Aufgaben betrifft, die auf sie delegiert werden durften und wenn sie sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht wurden ( BSG Beschluss vom 14.8.2012 - B 6 KA 10/12 B - Juris RdNr 7 mwN).

Hier könnte bereits fraglich sein, ob die von einem Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die Wahrung von Rechtsmittelfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen zu verlangende äußerste Sorgfalt beachtet worden ist, indem die Führung des Fristenkalenders im Anwaltsbüro so geregelt ist, dass sich immer nur eine bestimmte Person für verpflichtet und befugt halten darf, Rechtsmittelfristen und Rechtsmittelbegründungsfristen einzutragen (vgl BSG Beschluss vom 10.12.2014 - B 1 KR 11/14 B - Juris RdNr 10 mwN). Von einem für die Fristversäumung ursächlichen anwaltlichen Organisationsverschulden wäre auszugehen, wenn nicht nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft für die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung verantwortlich wäre, sondern mehrere Personen hierfür zuständig wären (vgl BGH Beschluss vom 6.2.2006 - II ZB 1/05 - NJW 2006, 1520 RdNr 5; BGH Beschluss vom 17.1.2007 - XII ZB 166/05 - NJW 2007, 1453 RdNr 12f; BGH Beschluss vom 3.11.2010 - XII ZB 177/10 - NJW 2011, 385 RdNr 9; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 9 S 25). Der Vortrag des Bevollmächtigten und die eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiterin könnten Raum für das Verständnis geben, dass sie nicht unbedingt selbst die Fristen einträgt, sondern die Eintragungen durch andere Mitarbeiter lediglich überwacht, was Fehlerquellen birgt.

Fraglich ist ebenfalls, ob ein Verschulden nicht bereits deshalb vorliegt, weil der Bevollmächtigte nicht geprüft hat, ob die Eintragung der Frist im Fristenkalender durch einen Erledigungs- vermerk auf den Handakten kenntlich gemacht worden ist. Der Rechtsanwalt braucht nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist, wenn er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung einer Frist, ihrer Notierung auf den Handakten, zur Eintragung im Fristenkalender sowie zur Bestätigung der Kalendereintragung durch einen Erledigungsvermerk auf den Handakten bei Vorlage der Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung geprüft hat ( BSG Beschluss vom 29.4.2014 - B 10 ÜG 5/13 R - Juris RdNr 7). Zwar erstreckt sich die Pflicht zur Prüfung auch darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Doch kann sich der Prozessbevollmächtigte im Fall der Delegation der Eintragung auf sorgfältig ausgewählte, angeleitete und überwachte Bürokräfte grundsätzlich auf die Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken ( BSG aaO; BGH NJW 2008, 1670 mwN). Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt wurde und sich die Prüfung hierauf erstreckte. Das ist hier deshalb zweifelhaft, weil der Vortrag des Bevollmächtigten und die Erklärung seiner Mitarbeiterin nach der Chronologie des dargestellten Ablaufs nahe legen, dass die Eintragung in den Fristenkalender zeitlich nach der Eintragung in die Handakte erfolgte. Dementsprechend wird ein Erledigungsvermerk nicht erwähnt.

Selbst wenn man insofern aber nicht von einem Verschulden ausgeht, kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht, weil der Prozessbevollmächtigte die Vorlage der Akte nach Ablauf der Vorfrist nicht zum Anlass genommen hat, eine Fristenkontrolle durchzuführen (vgl dazu BSG Beschluss vom 10.3.2008 - B 1 KR 29/07 R - Juris RdNr 3; BAG Urteil vom 18.6.2015 - 8 AZR 556/14 - Juris RdNr 13 mwN). Wird - wie hier - dem Prozessbevollmächtigten die Sache zur Vorfrist einer beabsichtigten Rechtsmittelbegründung vorgelegt, hat er in eigener Verantwortung festzustellen, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten wurde (vgl zB BGH NJW 2008, 3439 ). Zwar muss die - anhand der Akte vorzunehmende - Prüfung nicht sofort erfolgen. Sie kann auch am nächsten Tag vorgenommen werden. Sie darf jedoch nicht zurückgestellt werden, bis der Anwalt die eigene Bearbeitung der Sache - ggf am letzten Tag der Frist - vornimmt ( BSG aaO; BGH VersR 2002, 1391 ).

Hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers hier entsprechend diesen Anforderungen am 7. oder 8.6.2016 das Fristende selbst und eigenverantwortlich überprüft, hätte er den Fehler noch rechtzeitig entdecken und entweder die Beschwerdebegründung oder einen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist (§ 160a Abs 2 Satz 2 SGG ) rechtzeitig beim BSG einreichen können. Indem der Prozessbevollmächtigte des Klägers diese Prüfung unterließ, hat er die bei Vorlage der Akten auf Vorfrist bestehende Verpflichtung verletzt, verantwortlich zu prüfen, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten ist. Dabei kommt hinzu, dass im Hinblick auf die bevorstehende Abwesenheit des Bevollmächtigten am Fristende eine erhöhte Sorgfaltspflicht bestand (vgl zu den erhöhten Anforderungen kurz vor Fristende BSG Beschluss vom 11.12.2008 - B 6 KA 34/08 B - Juris RdNr 14 mwN).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO .

Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 16.03.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KA 3799/13
Vorinstanz: SG Stuttgart, - Vorinstanzaktenzeichen S 20 KA 6420/11