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BSG - Entscheidung vom 29.09.2016

B 12 KR 26/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 29.09.2016 - Aktenzeichen B 12 KR 26/16 B

DRsp Nr. 2017/9686

Sozialversicherungsbeitragspflicht Grundsatzrüge Fehlende Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. 2. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll. 3. Ist dem Revisionsgericht eine Sachentscheidung von vornherein verwehrt, so fehlt es an der erforderlichen Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage mit dem Ergebnis, dass der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung nicht zukommen kann.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Januar 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen einen an die Firma R. ergangenen (bestandskräftigen) Bescheid nach Betriebsprüfung und beantragt die Feststellung, als LKW-Fahrer nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen zu sein.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen LSG vom 26.1.2016 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung seines Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Allein die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Der Kläger stützt seine Beschwerdebegründung vom 22.4.2016 ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) muss die Beschwerdebegründung ausführen welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Der Kläger hält in seiner Beschwerdebegründung auf S 2 f die Fragen für klärungsbedürftig:

"ob die Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses zu einem Auftraggeber ausschließlich im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach §§ 7a ff SGB IV festgestellt oder ob diese Feststellung durch ein Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV ersetzt werden kann oder nicht und ob durch die Einleitung eines Betriebsprüfungsverfahrens ein Statusfeststellungsverfahren, sei es bereits begonnen oder nicht, abgebrochen werden kann oder sogar muss",

"ob der Beschäftigte durch die Nachzahlung angeblich zu Unrecht nicht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge durch den Auftraggeber als nicht in seinen Rechten betroffen oder verletzt anzusehen ist, weil eine solche Rechtsbetroffenheit nur angenommen werden könne, wenn in diesem Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV die Versicherungsfreiheit des Beschäftigungsverhältnisses festgestellt werde, denn eine solche die Annahme einer Betroffenheit rechtfertigenden Belastung ergebe sich der Zahlung von Beiträgen durch den Auftraggeber",

"ob der Begriff der selbständigen Tätigkeit im Arbeitsrecht anders und damit abweichend festzustellen und auszulegen ist als im Sozialversicherungsrecht."

Der Kläger führt dazu ergänzend aus, nach der Rechtsauffassung des LSG sei er durch den an die Firma R. ergangenen Bescheid über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nach Betriebsprüfung nicht in seinen Rechten verletzt. Das LSG setze sich damit in Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung, wonach in einem Prüfbescheid nach § 28p SGB IV sowohl über die vom Arbeitgeber abzuführenden Beiträge als auch über den Status von Arbeitnehmern entschieden werden könne (S 3 der Beschwerdebegründung). Leite der Betroffene bei Beginn eines Vertragsverhältnisses zur Klärung von dessen Rechtsnatur ein Statusfeststellungsverfahren ein, werde er "nie durchsetzen können, dass sein Status [...] geklärt wird", weil sofort der Betriebsprüfdienst "in Marsch gesetzt" und das Verfahren nach § 7a SGB IV abgebrochen werde. Der Kläger werde in seinem Grundrecht aus Art 2 GG verletzt. Daraus folge auch das Recht, seine Beschäftigungsverhältnisse "nach eigenem Gutdünken bzw. Gusto zu gestalten" (S 4 der Beschwerdebegründung). Der betroffene Arbeitnehmer sei "auf jeden Fall" an einer Entscheidung der Beklagten nach Betriebsprüfung zu beteiligen (S 5 der Beschwerdebegründung).

Mit seinem Vortrag genügt der Kläger den an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) zu stellenden Anforderungen nicht.

Dabei kann unerörtert bleiben, ob der Kläger mit allen von ihm aufgeworfenen Fragen abstrakt-generelle Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht hinreichend formuliert hat (vgl allgemein BSG Beschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - BeckRS 2010, 72088 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Bezeichnung von solchen abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfragen ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261 , 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 181).

a) Der Kläger trägt jedenfalls nicht ausreichend zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 160a Abs 2 S 3 SGG vor, weil er zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften und die dazu schon ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung in den Blick nimmt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um darzulegen, dass die vermeintlichen Rechtsfragen nicht bereits nach dem aktuellen Stand von Rechtsprechung und Lehre oder unmittelbar aus dem Gesetz heraus beantwortet werden können, bzw um darzutun, dass - obwohl konkret bezeichnete Fragen noch nicht höchstrichterlich entschieden wurden - sich auch aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG keine hinreichenden Anhaltspunkte zur Beurteilung der von dem Kläger als grundsätzlich bedeutsam herausgestellten Fragen ergeben.

Darlegungsdefizite des Klägers folgen auch daraus, dass im Sozialgesetzbuch das Verhältnis von Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV und den Verfahren nach Betriebsprüfung gemäß § 28p SGB IV ausdrücklich geregelt ist. Danach ist ein Statusfeststellungsverfahren ausgeschlossen, wenn "im Zeitpunkt der Antragstellung" bereits ein anderes Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet ist, sodass ein nachträgliches "Abbrechen" des Verfahrens - wie vom Kläger vorgetragen - schon nicht erfolgen kann (§ 7a Abs 1 S 1 SGB IV ). Zum Gesetzestext äußert sich der Kläger ebenso wenig wie zu der bereits existierenden umfangreichen Rechtsprechung des Senats zum Verständnis von Statusfeststellungsverfahren iS von § 7a SGB IV (vgl zB BSGE 115, 171 = SozR 4-1300 § 13 Nr 2) und von Verfahren nach Betriebsprüfung gemäß § 28p SGB IV (vgl zB BSG SozR 4-2400 § 28p Nr 6; zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Auch hat der Senat bereits entschieden, dass § 28p Abs 1 S 5 SGB IV eine Rechtsgrundlage für eine Feststellung der Versicherungspflicht gegenüber einem vermeintlich nach § 7 SGB IV Beschäftigten sein kann (vgl BSG SozR 4-2400 § 28p Nr 4 RdNr 20 ff mwN).

Soweit der Kläger die Frage nach der "Rechtsbetroffenheit" eines Beschäftigten durch einen Betriebsprüfungsbescheid aufwirft, wären weitere Ausführungen insbesondere im Hinblick darauf angezeigt gewesen, dass der Kläger hier nicht Adressat des angefochtenen Bescheides vom 4.2.2004 an die Firma R. war (anders als der Kläger im Verfahren von BSG SozR 4-2400 § 28p Nr 4 RdNr 20 ff mwN). Der Kläger hätte sich deshalb eingehend mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen von Anfechtungsklagen und dabei vor allem mit dem - vom LSG verneinten - Rechtsschutzbedürfnis seiner Klage befassen müssen. Dies gilt umso mehr, als das Statusfeststellungsverfahren des Klägers bereits rechtskräftig entschieden (Urteil des LSG vom 24.2.2009 - L 1 KR 249/08 - und Beschluss des Senats vom 1.9.2009 - B 12 KR 26/09 B) und ein Rechtsstreit über eine erneute Entscheidung der Clearingstelle am SG Gießen noch anhängig ist (S 6 R 474/15).

Schließlich fehlt es auch an einer ausreichenden Begründung zur Klärungsbedürftigkeit der vom Kläger formulierten Frage nach der Auslegung des Begriffs der selbstständigen Tätigkeit im Sozialversicherungsrecht. Dazu hätte der Kläger eingehen müssen auf die langjährige Rechtsprechung des Senats zur Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einer Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs 1 SGB IV (vgl im Einzelnen zuletzt BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 24 RdNr 17 und BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 25 RdNr 16 ff mwN [beide zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen]). Auch dies ist nicht geschehen.

b) Soweit der Kläger als Frage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert, "ob der Begriff der selbstständigen Tätigkeit im Arbeitsrecht anders und damit abweichend festzustellen und auszulegen ist als im Sozialversicherungsrecht" genügt die Beschwerdebegründung auch deshalb nicht den oben genannten Anforderungen, weil der Kläger keinerlei Ausführungen zur Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) dieser Frage gemacht hat. Die Klärungsfähigkeit erfordert, dass das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage sein muss, über eine gestellte Rechtsfrage entscheiden zu können. Ist hingegen dem Revisionsgericht eine Sachentscheidung von vornherein verwehrt, so fehlt es an der erforderlichen Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage mit dem Ergebnis, dass der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung nicht zukommen kann. Im Falle der Zulassung der Revision wäre der Senat an einer sachlichen Entscheidung über die vom Kläger formulierte Frage - deren Qualität als Rechtsfrage und Klärungsbedürftigkeit unterstellt - indes gehindert. Das LSG hat die Klage - wie schon das SG in der ersten Instanz - als unzulässig angesehen, sie darüber hinaus aber auch für unbegründet gehalten. Unbeschadet der Frage, ob sich das LSG damit überhaupt entscheidungserheblich auch inhaltlich zu dem Begehren des Klägers geäußert hat, galt es dazu indessen Weiteres in den Blick zu nehmen: Wird eine Entscheidung auf mehrere Begründungen gestützt, die jede für sich den Entscheidungsausspruch tragen, muss für jede der Begründungen ein Zulassungsgrund formgerecht gerügt werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 5, Nr 38; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 5a und § 160a RdNr 13f mwN). Das geschieht nicht.

c) Soweit der Kläger über die von ihm formulierten Fragen hinaus eine Verletzung von Verfassungsrecht geltend macht, wird er den Anforderungen an eine hinreichende Beschwerdebegründung zur Klärungsbedürftigkeit schon deshalb nicht gerecht, als die Begründung unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzeigen muss, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG Beschluss vom 8.12.2008 - B 12 R 38/07 B - Juris RdNr 7 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Verfassungsrechtliche Ausführungen des Klägers fehlen ebenso wie eine Wiedergabe der einfachrechtlichen Maßstäbe höchstrichterlicher Rechtsprechung bei Auslegung und Anwendung des § 7 SGB IV (s dazu bereits die Ausfüh- rungen unter a).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Hessen, vom 26.01.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KR 100/14
Vorinstanz: SG Gießen, - Vorinstanzaktenzeichen S 15 KR 768/12