Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 14.09.2016

B 1 KR 46/16 B

Normen:
SGG § 73 Abs. 4
EuRAG § 1
EuRAG § 28 Abs. 1
EuRAG § 29 Abs. 1
EuRAG § 29 Abs. 3

BSG, Beschluss vom 14.09.2016 - Aktenzeichen B 1 KR 46/16 B

DRsp Nr. 2017/9864

Nichtzulassungsbeschwerde Vertretung durch einen ausländischen Rechtsanwalt Handeln mit einem Einvernehmensanwalt Nachweis des Einvernehmens

1. In gerichtlichen Verfahren mit Anwaltszwang - u.a. gemäß § 73 Abs. 4 S. 1 SGG in Verfahren vor dem BSG - muss ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt i.S. des § 1 EuRAG , wozu auch der Avocat nach rumänischem Recht zählt, im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt nach deutschem Recht (Einvernehmensanwalt) handeln. 2. Das Einvernehmen ist bereits bei Einlegung der Beschwerde schriftlich nachzuweisen; ohne einen solchen Nachweis zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde ist diese unwirksam.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Mai 2016 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R., Rumänien, zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Mai 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 73 Abs. 4 ; EuRAG § 1 ; EuRAG § 28 Abs. 1 ; EuRAG § 29 Abs. 1 ; EuRAG § 29 Abs. 3 ;

Gründe:

I

Der 1943 geborene Kläger war bis 1994 als Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Er bezieht seit 1.4.2008 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und lebt in Rumänien. Er hat ohne vorausgegangenes Verwaltungsverfahren Klage gegen die beklagte Krankenkasse erhoben, mit der er für die Vergangenheit "Schadensersatz" und für die Zukunft Krankenversicherungsschutz begehrt. Der Kläger ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil es an einem dafür erforderlichen vorausgegangenen Verwaltungsverfahren fehle (Urteil vom 13.5.2016).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und begehrt, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Avocat R., Rumänien, zu bewilligen.

II

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen (dazu 1.), seine Beschwerde ist zu verwerfen (dazu 2.).

1. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114 , 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.

Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) oder dass der Kläger einen Verfahrensfehler des LSG dartun könnte, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist eine Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Hierfür liegt nichts vor. Soweit das LSG das Begehren des Klägers für in der Vergangenheit liegende Zeiträume (ab 2008) auch als auf die Gewährung von Krankenversicherungsleistungen (iS von Kostenerstattungsansprüchen), hilfsweise auf Beitragserstattung ausgelegt hat, ist für einen Verstoß gegen § 123 SGG nichts ersichtlich.

Mangels Anspruchs auf PKH entfällt auch die Beiordnung von Avocat R..

2. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen.

a) Nach § 160a Abs 1 S 2 iVm § 73 Abs 4 S 1 SGG müssen sich die Beteiligten bei der Einlegung einer Beschwerde zum BSG gegen die Nichtzulassung der Revision durch vor diesem Gericht vertretungsberechtigte Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Vertretungsberechtigt sind - neben den in § 73 Abs 2 S 2 Nr 5 bis 9 SGG genannten Personen - Rechtsanwälte, die als solche in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind, sowie in Mitgliedstaaten der Europäischen Union, anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz zugelassene Rechtsanwälte nach Maßgabe des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland ( EuRAG ) vom 9.3.2000 (BGBl I 182, berichtigt 1349, zuletzt geändert durch Art 2 Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015, 2517, BGBl I 2517).

b) Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist nach § 29 Abs 3 EuRAG unwirksam.

aa) Eine die Vertretungsberechtigung vermittelnde Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt scheidet hier von vornherein aus. Der in Rumänien in das Rechtsanwaltsverzeichnis der Rechtsanwaltskammer C. eingetragene Prozessbevollmächtigte ist nicht iS von § 2 Abs 1 EuRAG in eine deutsche Rechtsanwaltskammer aufgenommen worden.

bb) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kann auch nicht als bloß vorübergehend vertretungsberechtigter Rechtsanwalt im vorliegenden Beschwerdeverfahren tätig werden.

Auch ohne eine Zulassung als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt kann ein Rechtsanwalt vorübergehend als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt seine Tätigkeit in Deutschland ausüben. Die dafür nach § 25 Abs 1 iVm §§ 26 ff EuRAG erforderlichen Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. In gerichtlichen Verfahren mit Anwaltszwang - ua gemäß § 73 Abs 4 S 1 SGG in Verfahren vor dem BSG - muss ein dienstleistender europäischer Rechtsanwalt iS des § 1 EuRAG , wozu auch der Avocat nach rumänischem Recht zählt, im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt nach deutschem Recht (Einvernehmensanwalt) handeln (§ 28 Abs 1 EuRAG ). Das Einvernehmen ist bereits bei Einlegung der Beschwerde schriftlich nachzuweisen (§ 29 Abs 1 EuRAG ); ohne einen solchen Nachweis zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde ist diese unwirksam (§ 29 Abs 3 EuRAG ). Einen entsprechenden Nachweis hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erbracht (vgl hierzu BFH Beschluss vom 30.12.2004 - II R 2.04 - BFH/NV 2005, 718 = Juris RdNr 9; BVerwG Beschluss vom 11.1.2006 - 7 B 64/05 - Juris RdNr 2; BSG Beschluss vom 8.4.2009 - B 5 R 46/09 B - Juris RdNr 2; BSG SozR 4-1500 § 73 Nr 7 RdNr 6).

c) Auch die vom Kläger persönlich eingelegte Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Vor dem BSG müssen sich die Beteiligten, außer im PKH-Verfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 73 Abs 4 S 1 SGG ). Der Kläger gehört nicht zu dem Kreis der zugelassenen Prozessbevollmächtigten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 SGG .

4. Im Übrigen weist der Senat - wie bereits mit Berichterstatterschreiben vom 22.7.2016 geschehen - ergänzend darauf hin, dass es dem Kläger offensteht, innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG erneut eine formgerechte Beschwerde gegen das Urteil des LSG einzulegen, da dieses im Hinblick auf die Zustellung des Urteils im Ausland (vgl § 87 Abs 1 S 2 SGG ) eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung enthält (vgl BSGE 40, 40 f = SozR 1500 § 160a Nr 4).

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 13.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 246/16
Vorinstanz: SG Stuttgart, - Vorinstanzaktenzeichen S 9 KR 3529/15