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BSG - Entscheidung vom 01.08.2016

B 12 KR 7/16 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 62

BSG, Beschluss vom 01.08.2016 - Aktenzeichen B 12 KR 7/16 B

DRsp Nr. 2017/10497

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen Gehörsrüge Kenntnisnahme von Vorbringen Eingeschränkte Nachprüfbarkeit einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht

1. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) liegt insbesondere dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können. 2. Allein der Umstand, dass das LSG den von einem Kläger für entscheidungserheblich gehaltenen Umständen im Berufungsverfahren nicht gefolgt ist, kann dagegen keinen Gehörsverstoß begründen. 3. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird . 4. Zugleich darf die Berufung auf eine Gehörsverletzung nicht zur Umgehung der nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG eingeschränkten Nachprüfbarkeit einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht führen. 5. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. November 2015 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 21 735,71 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 62 ;

Gründe:

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 21 735,71 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 4261,50 Euro.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 26.11.2015 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

1. Der Kläger macht in seiner Beschwerdebegründung vom 12.2.2016 eine Verletzung von § 103 SGG geltend und rügt damit das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ).

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSGE 2, 81 , 82; 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG ). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann.

Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

a) Der Kläger trägt zunächst vor, das LSG habe im Wege der vorweggenommenen unzulässigen Beweiswürdigung entschieden und seine Beweisanträge dazu, dass Kaufverträge mit der P. GmbH abgeschlossen worden seien und der Kläger nicht Arbeitgeber der Beigeladenen zu 6. bis 17. gewesen sei, ohne zureichende Begründung unberücksichtigt gelassen, obwohl diese entscheidungserheblich gewesen seien (S 7 ff Beschwerdebegründung). Das LSG habe seine Beweisanträge übergangen und die als Zeugen benannten M. und F. nicht vernommen (S 14 ff Beschwerdebegründung).

Dieses Vorbringen genügt nicht den Anforderungen an eine hinreichende Bezeichnung eines Verfahrensmangels nach § 160a Abs 2 S 3 SGG . Denn der im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Kläger zeigt - anders als mit Blick auf Nr 3 Halbs 2 der Vorschrift erforderlich - nicht auf, dass er vor dem LSG entsprechende prozessordnungsgemäße Beweisanträge gestellt und bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 26.11.2015 zu Protokoll ausdrücklich aufrechterhalten habe. Beweisantritte lediglich in der Berufungsschrift oder in sonstigen Schriftsätzen genügen nicht (vgl stRspr, BSG SozR 1500 § 160 Nr 67 und BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN).

Darüber hinaus fehlt es in der Beschwerdebegründung vom 12.2.2016 an hinreichenden Ausführungen dazu, dass dieser (vermeintliche) Verfahrensfehler auch am Prüfungsmaßstab der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich gewesen sein könnte. Allein das Vorbringen des Klägers, das LSG sei "bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise ... vermutlich zu einem anderen Ergebnis gekommen" (S 16 Beschwerdebegründung) und es sei "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Landessozialgericht eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn es die Beweisangebote des Klägers ausgeschöpft und sich ... von den Aussagen der 14 rumänischen Staatsangehörigen ... hätte überzeugen lassen" (S 22 Beschwerdebegründung), genügt dafür nicht. Das LSG hat sich bei seiner Annahme, der Kaufvertrag über den Kauf von Gewächshäusern vom 6.8.2003 sei nur zum Schein geschlossen worden, auf zahlreiche weitere Umstände des Abbaus der Gewächshäuser in W. gestützt, insbesondere auf einen vom Kläger unterzeichneten Vertrag über die Wasserentnahme für den Abbruch der Gärtnerei und die durch den Kläger erteilte Beauftragung einer Transportfirma zum Abtransport (S 15 LSG-Urteil). Ausführungen des Klägers dahingehend, dass das LSG - auch unter Berücksichtigung dieser weiteren Umstände - zu einer im Ergebnis anderen Entscheidung hätte kommen können, fehlen.

b) Daneben rügt der Kläger, das LSG habe sich unzulässig auf die - im Wege des Urkundenbeweises verwerteten - Vernehmungsprotokolle anderer Gerichte und Behörden gestützt. Zum einen habe ein Verwertungsverbot bestanden (S 11 ff Beschwerdebegründung). Zum anderen sei die auf die darin enthaltenen Aussagen gestützte Annahme des LSG einer Arbeitgebereigenschaft des Klägers unrichtig (S 9 ff Beschwerdebegründung) und das Vorliegen einer Weisungsgebundenheit der Beigeladenen zu 6. bis 17. "schlichtweg falsch" (S 14 Beschwerdebegründung).

Auch mit diesem Vorbringen wird der Kläger den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht gerecht. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf seine Berufungsbegründungsschrift vom 14.6.2013 erneut vorträgt, die protokollierten früheren Aussagen der Beigeladenen hätten nicht verwertet werden dürfen, fehlt es bereits an jeglichen Darlegungen dazu, dass der Kläger ein solches Rügerecht nicht bereits nach Maßgabe des § 295 ZPO verloren hat. Nach dieser gemäß § 202 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 61 = Juris RdNr 5) kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn der in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretene Beteiligte auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung (...) den Mangel nicht gerügt hat, obgleich er erschienen und ihm der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. § 295 ZPO verlangt dem Anwalt ab, eine bereits schriftsätzlich angebrachte Verfahrensrüge in der nächsten mündlichen Verhandlung des Gerichts zu wiederholen (vgl BSG SozR 4-1500 § 118 Nr 3 = SozR 4-1300 § 21 Nr 2 = SozR 4-1750 § 407a Nr 4 RdNr 9). Aus der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des LSG am 26.11.2015 geht hervor, dass zahlreiche Unterlagen in das Verfahren eingeführt und Protokolle unterschiedlicher Amtsgerichte verlesen wurden. Dass der Kläger ein Verwertungsverbot geltend gemacht hat, ist darin nicht vermerkt.

Darüber hinaus fehlt es auch insoweit an hinreichenden Ausführungen dazu, dass dieser (vermeintliche) Verfahrensfehler entscheidungserheblich gewesen sein könnte. Ein Vortrag des Klägers wäre insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen des LSG auf S 15 ff in seinem Urteil vom 26.11.2015 erforderlich gewesen, in denen sich das LSG auf weitere Umstände beim Abbau der Gewächshäuser zur Beurteilung der Arbeitgebereigenschaft des Klägers stützte.

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang auch inhaltlich gegen die aus den protokollierten Aussagen gefolgerte Annahme seiner Arbeitgebereigenschaft wendet (S 9 ff und S 14 Beschwerdebegründung), handelt es sich um eine Rüge fehlerhafter Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 S 1 SGG , die im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde von Gesetzes wegen ausdrücklich ausgeschlossen ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ).

c) Auch mit seinem Vorbringen, die Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG anwesenden Beigeladenen (S 12 und 16 Beschwerdebegründung), die in das Verfahren eingeführten Unterlagen aus der Buchhaltung der P. GmbH (S 17 f Beschwerdebegründung) sowie sein eigener Vortrag dazu, er sei weder als Einzelunternehmer noch als Geschäftsführer der P. GmbH tätig gewesen (S 21 Beschwerdebegründung), seien nicht ausreichend gewürdigt worden, kann er - wie bereits ausgeführt - eine Verletzung von § 128 Abs 1 S 1 SGG nicht im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ).

d) Soweit der Kläger mit seinem Vortrag, das LSG habe Beweisanträge und weitere Umstände nicht berücksichtigt, sinngemäß auch eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör als Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend macht, fehlt es ebenfalls an einer dafür ausreichenden Darlegung.

Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ) liegt insbesondere dann vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BVerfGE 25, 137 , 140) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Allein der Umstand, dass das LSG den von dem Kläger für entscheidungserheblich gehaltenen Umständen im Berufungsverfahren nicht gefolgt ist, kann dagegen keinen Gehörsverstoß begründen. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird ( BSG Beschluss vom 18.12.2012 - B 13 R 305/11 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - Juris RdNr 9). Zugleich darf die Berufung auf eine Gehörsverletzung nicht zur Umgehung der nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG eingeschränkten Nachprüfbarkeit einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht führen (vgl etwa für § 109 SGG BSG SozR 1500 § 160 Nr 34).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO .

4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung im sozialgerichtlichen Verfahren.

Vorinstanz: LSG Sachsen-Anhalt, vom 26.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 5/13
Vorinstanz: SG Magdeburg, - Vorinstanzaktenzeichen 5 R 27/07