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BSG - Entscheidung vom 25.04.2016

B 11 AL 94/15 B

Normen:
SGB III § 165 Abs. 1 S. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 25.04.2016 - Aktenzeichen B 11 AL 94/15 B

DRsp Nr. 2016/9325

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache Berücksichtigung von Urlaubsentgelt bei der Bemessung von Insolvenzgeld

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (hier zur Frage, ob und wie zusätzliches Urlaubsentgelt bei der Bemessung des Insolvenzgeldes berücksichtigt wird, wenn der Tarifvertrag eine Auszahlung vor Eintritt des Haupturlaubs vorsieht, für den Auszahlungszeitpunkt aber eine abweichende Regelung getroffen werden kann).

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. August 2015 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGB III § 165 Abs. 1 S. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ; SGG § 160a Abs. 2 S. 3;

Gründe:

I

Der Kläger begehrt höheres Insolvenzgeld (Insg) für den Zeitraum vom 1.11.2009 bis 31.1.2010 (Insg-Zeitraum) unter Berücksichtigung eines Anspruchs auf Urlaubsgeld.

In dem streitbefangenen Zeitraum war er bei der Firma B (Fa B), ..., beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sah die Geltung von Tarifverträgen bei Tarifbindung des Arbeitgebers vor. Ein sich auf die Fa B erstreckendes tarifvertragliches Urlaubsgeldabkommen sah bei einem "vollen tariflichen Urlaubsanspruch" des Arbeitnehmers einen Anspruch auf Urlaubsgeld - für das Jahr 2009 in Höhe von 638 Euro - vor. Das Urlaubsgeld sollte nach einer Protokollnotiz zu diesem Urlaubsgeldabkommen "vor Antritt des Haupturlaubs" voll ausgezahlt werden. Die Auszahlung des (gesamten) Urlaubsgeldes erfolgte in der betrieblichen Praxis vor dem Jahr 2009 für alle Arbeitnehmer des Betriebes mit der Juli-Abrechnung. Im Jahr 2009 kam es zu keiner Urlaubsgeldzahlung, weil ein Sanierungstarifvertrag (Verbandsfirmentarifvertrag für die Fa B vom 13.5.2009), der am 1.5.2009 in Kraft getreten war, eine Verschiebung der Auszahlung bis zum November 2009 ermöglichte. Dieser Sanierungstarifvertrag wurde im November 2009 seitens der vertragsschließenden Gewerkschaft fristlos und mit sofortiger Wirkung gekündigt, weil die Fa B einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.2.2010 führte.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger Insg für die Zeit vom 1.11.2009 bis 31.1.2010 ohne Berücksichtigung des Anspruchs auf Urlaubsgeld (Bescheide vom 1.3.2010 und 18.3.2010; Widerspruchsbescheid vom 8.6.2010). Die auf die volle, hilfsweise teilweise Berücksichtigung des Urlaubsgeldes bei der Berechnung des Insg gerichtete Klage blieb in beiden Rechtszügen erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 5.3.2013; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.8.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, zwar handele es sich bei dem Anspruch des Klägers auf Urlaubsgeld um einen Anspruch auf Arbeitsentgelt, der grundsätzlich bei der Berechnung der Höhe des Insg berücksichtigungsfähig sei. Gleichwohl sei der Anspruch zu Recht nicht berücksichtigt worden, weil er weder ganz noch anteilig dem Insg-Zeitraum zugeordnet werden könne. Der urlaubsunabhängige Anspruch auf Urlaubsgeld sei nämlich bereits im Juli 2009 in voller Höhe entstanden, woran auch der Sanierungstarifvertrag nichts geändert habe, weil durch diesen nicht der Entstehungszeitpunkt, sondern lediglich der Fälligkeitszeitpunkt verschoben worden sei.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und formuliert folgende Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukomme:

"Kann alleine durch arbeitgeberseitige Praxis eine für den gesamten Betrieb geltende Stichtagsregelung zur Entstehung und Auszahlung eines Urlaubsgeldanspruchs geschaffen werden, wenn der den Urlaubsgeldanspruch normierende Tarifvertrag in einer Protokollnotiz vorsieht, dass dieses zusätzliche Entgelt vor Eintritt des Haupturlaubs voll auszuzahlen ist, zwischen den Tarifvertragsparteien aber Einigkeit darin besteht, dass eine den gesamten Betrieb erfassende Auszahlungsregelung auch per Betriebsvereinbarung möglich ist, sodass dieser einseitig vom Arbeitgeber, nicht kollektivvertraglich geschaffene Stichtag, wenn er nicht im Insolvenzgeldzeitraum liegt, dazu führt, dass das Urlaubsgeld nicht im Insolvenzgeld berücksichtigt wird?"

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Die Beschwerde konnte daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter verworfen werden (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG ).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Dabei kann offenbleiben, ob zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen (arbeitsrechtlichen) Rechtsfrage nicht noch eine weitergehende Auseinandersetzung mit der nur ansatzweise in den Blick genommenen arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur, etwa zu den Voraussetzungen bzw zum Charakter einer betrieblichen Übung und dessen Verhältnis zu tarifvertraglichen Regelungen, erforderlich gewesen wäre. Jedenfalls ist die Klärungsfähigkeit bzw Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage nicht ausreichend dargetan. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nämlich nur dann, wenn es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf ihre Beantwortung ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen. Dieser hat daher den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darzustellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Daran fehlt es, denn die Beschwerdebegründung führt zur Klärungsfähigkeit lediglich aus, bei einer Verneinung der vom LSG entwickelten Auslegungsregelung könne das Ergebnis im vorliegenden Rechtsstreit im Hinblick auf den "Erarbeitungsgrundsatz" ein anderes sein. Es wird nicht deutlich, was im konkreten Zusammenhang unter dem "Erarbeitungsgrundsatz" gemeint ist, und warum dieser Grundsatz im vorliegenden Fall zur Folge hätte, dass das Urlaubgeld vollständig oder jedenfalls teilweise dem konkreten Insg-Zeitraum vom 1.11.2009 bis 31.1.2010 zugerechnet werden müsste. Nach den Darlegungen des Klägers kann daher nicht nachvollzogen werden, wie das Revisionsgericht in einem Revisionsverfahren zu einer dem Kläger günstigen Entscheidung gelangen sollte.

Erforderlich wäre in diesem Zusammenhang insbesondere eine Auseinandersetzung mit der Frage gewesen, ob bei einer Verneinung der vom LSG angenommenen rechtswirksamen Festlegung eines Stichtages durch die betriebliche Praxis ein anderer Stichtag maßgeblich wäre oder entgegen der Auffassung des LSG nicht doch von einer bestehenden - etwa an den "Haupturlaub" anknüpfende - Akzessorietät zwischen dem tariflichen Urlaub und dem Urlaubsgeld auszugehen sein müsste (vgl dazu zusammenfassend nur Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III , K § 165 RdNr 151, Stand 02/16). Letzteres wiederum könnte zur Folge haben, dass erst weitere - hier fehlende - Feststellungen zum Antritt des Haupturlaubs durch den Kläger die abschließende Klärung erlauben würden, welchem - von einem bestimmten Stichtag möglicherweise unabhängigen - Zeitraum der Anspruch auf Urlaubsgeld zuzurechnen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 27.08.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 16 AL 100/13
Vorinstanz: SG Detmold, - Vorinstanzaktenzeichen S 4 AL 496/10