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BSG - Entscheidung vom 18.05.2016

B 5 RS 10/16 B

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1
SGG § 160a Abs. 2 S. 3
SGG § 62

BSG, Beschluss vom 18.05.2016 - Aktenzeichen B 5 RS 10/16 B

DRsp Nr. 2016/11504

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren Bezeichnung des Verfahrensmangels einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im erstinstanzlichen Verfahren

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Verletzungen des rechtlichen Gehörs im erstinstanzlichen Verfahren können die Zulassung der Revision nur rechtfertigen, wenn sie im Berufungsverfahren fortwirken und deshalb auch als Verfahrensfehler des LSG anzusehen sind.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. September 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1; SGG § 160a Abs. 2 S. 3; SGG § 62 ;

Gründe:

Mit Urteil vom 15.9.2015 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung der Zeit vom 17.2.1976 bis 30.6.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) einschließlich der dabei erzielten Arbeitsentgelte verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wurde Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung werden die "Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör sowohl hinsichtlich anspruchsbegründender Tatsachen als auch wegen konkreter Beweisanträge sowie" die "Verletzung der Grundrechte aus Art 20 Absatz III GG und aus Art 14 I, III GG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG" geltend gemacht.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.

Die Beschwerdebegründung rügt eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ), weil sich das LSG mit bestimmtem Sach- und Rechtsvortrag der Klägerin nicht beschäftigt bzw auseinandergesetzt habe. Soweit damit ein Gehörverstoß in Form der sog Erwägensrüge (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) geltend gemacht werden soll, gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, zumal es nach Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet ist, auf jeden Gesichtspunkt einzugehen, der im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden ist (vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 16; BVerfGE 96, 205 , 216 f). Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann (vgl BVerfGE 28, 378 , 384 f; 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Beteiligtenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, obwohl das Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts erheblich und nicht offensichtlich unsubstantiiert war (vgl BVerfGE 47, 182 , 187; 86, 133, 145 f; BVerfG Kammerbeschluss vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 , 498, RdNr 12 und BVerfG NJW 1994, 2683 mwN; Senatsbeschluss vom 30.4.2014 - B 5 RS 44/13 B - BeckRS 2014, 72563 RdNr 7). Die Klägerin gibt jedoch weder den verbindlich festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG ) noch die hierauf beruhenden Entscheidungsgründe des LSG wieder, sodass der erkennende Senat nicht prüfen kann, ob und inwiefern die angeblich ignorierten tatsächlichen Ausführungen und rechtlichen Argumente - auf der Basis der Rechtsauffassung des LSG - für das Verfahren entscheidungserheblich und für die Falllösung zentral bedeutsam waren. Im Übrigen gewährleistet der Anspruch auf rechtliches Gehör nur, dass die Klägerin "gehört", nicht jedoch "erhört" wird ( BSG Beschluss vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B - BeckRS 2011, 73125 RdNr 9; vgl auch BVerfG Kammerbeschlüsse vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 , 499, RdNr 17 und vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539, 540, RdNr 13 mwN); Art 103 Abs 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG Kammerbeschlüsse vom 4.9.2008 - 2 BvR 2162/07 ua - BVerfGK 14, 238 und vom 29.10.2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 RdNr 17; BSG Beschluss vom 24.8.2011 - B 6 KA 3/11 C - Juris RdNr 9). Soweit die Beschwerdebegründung darüber hinaus auch Verletzungen des rechtlichen Gehörs im erstinstanzlichen Verfahren geltend macht, übersieht sie, dass Verfahrensfehler, die dem SG unterlaufen, die Zulassung der Revision nur rechtfertigen (können), wenn sie im Berufungsverfahren fortwirken und deshalb auch als Verfahrensfehler des LSG anzusehen sind ( BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 10 S 31). Für das Vorliegen einer derartigen Konstellation fehlt nach dem Beschwerdevortrag jeglicher Anhaltspunkt.

Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs auch darin sieht, dass das Berufungsgericht Beweisangebote ("Vernehmung der Zeugen H. M. und C. L. ") übergangen und die Inaugenscheinnahme einer "3minütigen Filmsequenz" abgelehnt habe, liegt darin keine Gehörs-, sondern eine Sachaufklärungsrüge. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann der Verfahrensmangel indessen "auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist". Die Beschwerdebegründung gibt jedoch weder Fundstelle noch Wortlaut eines prozessordnungskonformen Beweisantrags - im hier maßgeblichen Sinne der ZPO160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 371 , 373 ZPO ) - wieder und legt auch nicht dar, die im Berufungsverfahren rechtskundig vertretene Klägerin habe einen derartigen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG durch einen entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 2 und 4 S 1 ZPO ) und damit alles getan, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl Senatsbeschluss vom 30.4.2014 - B 5 RS 44/13 B - BeckRS 2014, 72563 RdNr 8). Keinesfalls dürfen die besonderen Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge durch ein Ausweichen auf die Gehörsrüge umgangen werden (Senatsbeschluss vom 22.10.2008 - B 5 KN 1/06 B - Juris RdNr 15; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr 6), weil andernfalls die Beschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG im Ergebnis leerliefen ( BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7).

Wenn die Klägerin schließlich die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art 20 Abs 3 GG und aus Art 14 Abs 1 und 3 GG rügt, macht sie damit keinen Revisionszulassungsgrund geltend, sondern beanstandet die sachliche Richtigkeit des Berufungsurteils, die das BSG aber erst im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüfen darf. Auf die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 15.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 822/12
Vorinstanz: SG Cottbus, - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 797/11