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BSG - Entscheidung vom 13.04.2016

B 6 KA 67/15 B

BSG, Beschluss vom 13.04.2016 - Aktenzeichen B 6 KA 67/15 B

DRsp Nr. 2016/8957

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. September 2015 wird verworfen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7129 Euro festgesetzt.

Gründe:

I

Die Klägerin, die seit 2004 als Anästhesistin an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, begehrt höheres Honorar für das Quartal I/2011. Ihrem Widerspruch gegen den Honorarbescheid gab die Beklagte insoweit statt, als sie in entsprechender Anwendung der für Neugründer geltenden Regelungen für die Berechnung des qualifikationsgebundenen Zusatzvolumens "Narkosen bei zahnärztlicher Behandlung" die durchschnittliche Punktzahl der Arztgruppe berücksichtigte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Die Klage hiergegen hat das SG mit Urteil vom 6.8.2014 abgewiesen. Das LSG hat mit Urteil vom 17.9.2015 die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin habe trotz des unterdurchschnittlichen Umsatzes ihrer Praxis keinen Anspruch darauf, von Wachstumsbegrenzungen freigestellt zu werden. Die RLV -Vereinbarung ermögliche ihr, indem sie jeweils mit ihren Werten aus dem Vorjahresquartal verglichen werde, ein zeitlich versetztes Wachstum auf die durchschnittlichen Werte der Fachgruppe und darüber hinaus. Eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Fallzahlen sei nur unter den in Ziffer 2.14 der Anlage 1 zur RLV -Vereinbarung 2011 genannten Voraussetzungen berücksichtigungsfähig, die sämtlich nicht vorlägen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richtet sich die Beschwerde der Klägerin, zu deren Begründung sie eine Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG , sowie Verfahrensmängel, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG , geltend macht.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG .

1. Für die Zulassung einer Revision wegen einer Rechtsprechungsabweichung ist Voraussetzung, dass Rechtssätze aus einem LSG-Urteil und aus einer höchstrichterlichen Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG miteinander unvereinbar sind und das Berufungsurteil auf dieser Abweichung beruht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4; Nr 13 RdNr 17; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44). Für eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG reicht nicht aus, aus dem LSG-Urteil inhaltliche Schlussfolgerungen abzuleiten, die einem höchstrichterlich aufgestellten Rechtssatz widersprechen. Das LSG-Urteil einerseits und die höchstrichterliche Entscheidung andererseits müssen vielmehr jeweils abstrakte Rechtssätze enthalten, die einander widersprechen. Das muss in der Beschwerdebegründung aufgezeigt werden.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin hat hier vorgetragen, die Entscheidung des LSG beruhe auf folgenden Rechtssätzen:

1. Nach Beendigung der Aufbauphase ist es völlig ausreichend, wenn die Honorarverteilungsregelungen - die RLV -Vereinbarung - bezogen auf das streitgegenständliche Quartal dem Vertragsarzt ermöglichen, den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe innerhalb eines absehbaren Zeitraums erreichen zu können.

2. Es ist völlig ausreichend, wenn die Honorarverteilungsregelungen dem Vertragsarzt ermöglichen, innerhalb eines absehbaren Zeitraums durch ein zeitlich versetztes Wachstum den Durchschnittsumsatz der Arztgruppe grundsätzlich erreichen zu können.

3. Die Entwicklung des Umsatz- und des Fallzahlniveaus einer Praxis ist unerheblich; vielmehr muss sich der Arzt an der jeweiligen Form seiner Leistungserbringung und den damit verbundenen Risiken festhalten lassen.

Dies stehe im Gegensatz zu den Aussagen des BSG in seinen Urteilen vom 28.1.2009 ( B 6 KA 4/08 R und B 6 KA 5/08 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 45):

1. Bei der rechtlichen Prüfung, ob der durchschnittliche Umsatz der Arztgruppe erreicht werden kann, sind auch die HVM-Regelungen mit in den Blick zu nehmen, die für nachfolgende, prozessual nicht streitbefangene, jedoch innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums liegende Folgequartale Geltung beanspruchen.

2. Regelungen der Honorarverteilung sind so auszugestalten, dass es dem Vertragsarzt nicht nur überhaupt, sondern in effektiver Weise und mit Blick auf das Ergebnis zu ermöglichen ist, den durchschnittlichen Umsatz der Fachgruppe zu erreichen, wobei alle für die betroffene Praxis maßgeblichen HVM-Regelungen, insbesondere Honorarbegrenzungsregelungen, so viel Spielraum zulassen müssen, dass der Durchschnittsumsatz innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren erreicht werden kann.

3. Es ist im Einzelnen zu prüfen, ob das über lange Jahre hinweg erzielte Umsatzniveau Ausdruck einer bewussten Entscheidung des Praxisinhabers für das von ihm erwünschte oder erreichbare Ausmaß seiner Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ist.

Hinsichtlich des ersten, von der Klägerin dem LSG zugeschriebenen Rechtssatzes ist bereits weder vorgetragen noch erkennbar, wo er sich im angefochtenen Urteil findet. Das LSG hat zunächst ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BSG verwiesen und sodann ausgeführt, dass die RLV -Vereinbarung ermögliche, innerhalb eines absehbaren Zeitraums den Durchschnittsumsatz der Arztgruppe zu erreichen. Eine Begrenzung des Blickwinkels allein auf das streitbefangene Quartal ist dem nicht zu entnehmen und stünde auch im Gegensatz zum Abstellen auf einen "absehbaren Zeitraum", der nach der in Bezug genommenen Rechtsprechung des BSG fünf Jahre beträgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 29 mwN).

Inwiefern ein Widerspruch zwischen den jeweils unter 2. genannten Rechtssätzen des LSG und des BSG bestehen soll, ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin nicht dargelegt. Insbesondere ist nicht dargelegt, inwiefern das "zeitlich versetzte Wachstum" der Forderung nach einer "effektiven" Möglichkeit der Erreichung des Durchschnittsumsatzes widerspricht.

Wo sich der dritte von der Klägerin benannte Rechtssatz des LSG im angefochtenen Urteil findet, zeigt die Klägerin wiederum nicht auf. Die Aussage, die Entwicklung des Umsatz- und des Fallzahlniveaus einer Praxis sei unerheblich, ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen. Das Argument, die Klägerin müsse die Risiken der von ihr gewählten Form der Leistungserbringung tragen, verwendet das LSG nicht gegen Wachstumsmöglichkeiten der Praxis, sondern gegen den Ausschluss von jeglicher Leistungssteuerung. Einen Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG bezeichnet die Klägerin insofern nicht.

Die Klägerin hat damit keine Rechtssätze des Berufungsgerichts aufgezeigt, die zu Rechtssätzen des BSG im Widerspruch stehen. Die Beschwerdebegründung legt keine Divergenz dar, sondern die Auffassung der Klägerin, dass das LSG die in den Entscheidungen des Senats vom 28.1.2009 aufgestellten Grundsätze nicht zutreffend angewandt hat. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, könnte die Zulassung der Revision damit nicht begründet werden.

2. Soweit die Beschwerdebegründung zu den jeweils unter 3. aufgeführten Rechtssätzen dahin verstanden wird, dass die Klägerin damit auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend macht und für klärungsbedürftig hält, ob die zentralen Aussagen der Rechtsprechung des Senats zu Wachstumschancen kleiner Praxen auch für anästhesistische Praxen vom Zuschnitt derjenigen der Klägerin - ausschließliche Tätigkeit im Rahmen der Mitwirkung bei ambulanten Operationen anderer Vertragsärzte ohne eigenes Operationszentrum - gelten, wäre die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend dargelegt. Da die zentralen Rechtsaussagen des Senats zu den Wachstumsmöglichkeiten grundsätzlich für alle Arztgruppen gelten - auch für solche, die überwiegend auf Überweisung durch andere Vertragsärzte tätig werden -, hätte dargelegt werden müssen, was vor diesem Hintergrund dafür spricht, dass Anästhesisten davon nicht erfasst werden dürfen. Dazu wären Ausführungen erforderlich gewesen, inwiefern sich die Praxisstruktur der Klägerin und ihre Abhängigkeit von der Kooperation mit operierenden Vertragsärzten so prinzipiell von der Lage anderer, vorwiegend von Überweisungen abhängiger Arztgruppen unterscheidet, dass insoweit eine Klärung durch den Senat geboten wäre. Die Situation der Praxis der Klägerin ist nach deren Vortrag dadurch gekennzeichnet, dass sie trotz einer Zulassung im Jahr 2004 erst zwischen 2009 und 2011 in großer Zahl kooperationsbereite Operateure gewinnen konnte. Die Beklagte hat dem dadurch Rechnung getragen, dass sie das für die Klägerin wichtige Zusatzvolumen "Narkosen bei zahnärztlicher Behandlung" so berechnet hat, als hätte die Klägerin die Praxis neu gegründet. Inwieweit schließlich die Anwendung von Zuwachsbegrenzungsregelungen, die der Senat in ständiger Rechtsprechung für zulässig hält, auf Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung führt, hätte die Klägerin näher darlegen müssen.

3. Ein Verfahrensmangel ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG . Konkret bedeutet dies (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5), dass die Beschwerdebegründung (1) einen ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, (2) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) die von dem Beweisantrag betroffenen Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5) schildern muss, weshalb die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin trägt zwar vor, sie habe in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG einen Beweisantrag gestellt. Ein solcher ist jedoch weder protokolliert noch im Urteil erwähnt (zu Form und Inhalt eines Beweisantrags vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11). In den Entscheidungsgründen erwähnt das LSG lediglich eine Anregung in der mündlichen Verhandlung, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es fehlt daher bereits an der erforderlichen Bezeichnung eines konkreten Beweisantrages. Darüber hinaus hat die Klägerin nicht dargelegt, warum das LSG sich ausgehend von seiner Rechtsauffassung, wonach die konkrete Wettbewerbssituation der Klägerin nicht entscheidungserheblich ist, zu einer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen. Schließlich ist die Frage, ob die Honorarverteilungsregelungen ausreichenden Raum für das Wachstum von Praxen mit unterdurchschnittlichem Umsatz geben, anhand der geltenden normativen Vorgaben zu entscheiden und keinem Sachverständigenbeweis zugänglich. Dass das LSG aus Sicht der Klägerin die Rechtslage verkannt hat, vermag einen Grund für die Zulassung der Revision nicht zu begründen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO . Als erfolglose Rechtsmittelführerin hat die Klägerin auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

5. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der Festsetzung des LSG.

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 17.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KA 42/14
Vorinstanz: SG Mainz, - Vorinstanzaktenzeichen S 6 KA 93/12