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BSG - Entscheidung vom 23.02.2016

B 5 R 438/15 B

BSG, Beschluss vom 23.02.2016 - Aktenzeichen B 5 R 438/15 B

DRsp Nr. 2016/6054

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. November 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Mit Beschluss vom 10.11.2015 hat das LSG Sachsen-Anhalt einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1.4.2010 bis zum 30.4.2015 verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wurde Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung werden Verfahrensmängel geltend gemacht.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG ), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - von Ausnahmen (zB bei absoluten Revisionsgründen iS des § 202 S 1 SGG iVm § 547 ZPO ) abgesehen - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.

Der Kläger macht "eine Verletzung des § 153 Abs. 4 SGG mit der Folge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr. 1 ZPO )" geltend und erhebt gleichzeitig eine Gehörsrüge (Art 103 Abs 1 GG , §§ 62 , 128 Abs 2 SGG ), weil in der Anhörungsmitteilung des LSG nach § 153 Abs 4 S 2 SGG "konkret Ausführungen dazu fehlen, dass keine weitere Sachaufklärung durch das Gericht beabsichtigt sei".

Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für entbehrlich hält und das SG nicht durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 S 1 SGG ) entschieden hat. Die Beteiligten sind gemäß § 153 Abs 4 S 2 SGG vorher zu hören. Diese Anhörungspflicht ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , § 62 SGG ), das im Beschlussverfahren nicht verkürzt werden darf (Senatsbeschluss vom 9.4.2003 - B 5 RJ 140/02 B - Juris RdNr 8; BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 97/96 - SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 11 f mwN sowie Beschluss vom 29.8.2006 - B 13 R 37/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 5). Anders als die Verletzung von § 153 Abs 4 S 1 SGG stellt diejenige von Satz 2 allerdings keinen absoluten Revisionsgrund (iS von § 202 S 1 SGG iVm § 547 ZPO ) dar, bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß beruht (Senatsbeschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 1 sowie BSG Beschlüsse vom 23.2.2011 - B 13 R 19/10 BH - BeckRS 2011, 69538 RdNr 10 und vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - Juris RdNr 9; an seiner abweichenden Aussage im Beschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 15, 17 hält der 13. Senat nicht mehr fest, vgl dazu Beschlüsse vom 17.4.2012 - B 13 R 371/11 B - BeckRS 2013, 65453 RdNr 6 und vom 8.1.2013 - B 13 R 300/11 B - BeckRS 2013, 67152 RdNr 17; vgl auch Bienert, NZS 2012, 885, 891 f).

1. Ein Verstoß gegen § 153 Abs 4 S 1 SGG ist nicht hinreichend bezeichnet. Der Kläger behauptet weder, es habe die erforderliche Einstimmigkeit der Berufsrichter noch die notwendige Überzeugung gefehlt, dass eine mündliche Verhandlung entbehrlich sei, und trägt im Übrigen selbst vor, das SG habe den geltend gemachten "Anspruch durch Urteil vom 18.11.2014 verneint" (vgl dazu Senatsbeschluss vom 26.3.2012 - B 5 R 454/11 B - BeckRS 2012, 68751 RdNr 7). Die danach im pflichtgemäßen Ermessen des LSG stehende Entscheidung, im vereinfachten Beschlussverfahren vorzugehen, kann das BSG nur darauf hin überprüfen, ob von dem eingeräumten Ermessen erkennbar fehlerhaft Gebrauch gemacht worden ist, etwa weil der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde lagen (stRspr; Senatsbeschlüsse vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 27 und vom 27.3.2012 -B5R 468/11 B - BeckRS 2012, 69182 RdNr 1; BSG Beschlüsse vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4, vom 2.5.2001 - B 2 U 29/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 38, vom 11.12.2002 - B 6 KA 13/02 B - Juris RdNr 8, vom 30.7.2009 - B 13 R 187/09 B - Juris RdNr 6, vom 27.12.2011 - B 13 R 253/11 B - Juris RdNr 12, vom 24.5.2012 - B 9 SB 14/11 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 14 RdNr 9, vom 6.12.2012 - B 11 AL 12/12 B - Juris RdNr 7 und vom 8.4.2014 - B 8 SO 59/13 B - Juris RdNr 5). Die Beschwerdebegründung behauptet jedoch weder, dass das LSG sachfremde Erwägungen angestellt habe, noch, dass ihm eine grobe Fehleinschätzung unterlaufen sei.

2. Der Kläger hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass die Anhörungsmitteilung vom 21.9.2015 seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG , §§ 62 , 128 Abs 2 SGG ) nicht in hinreichendem Maße Rechnung getragen habe. Wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, hat das LSG den Beteiligten darin angekündigt, "dass beabsichtigt ist, durch Beschluss zu entscheiden, da die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielten. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass die Entscheidung nicht vor dem 01.11.2015 ergehen würde". Damit hat das Berufungsgericht unmissverständlich verlautbart, es erwäge, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu Ungunsten des Berufungsklägers zu entscheiden. Gleichzeitig ist dem rechtskundig vertretenen Kläger bis zum 1.11.2015 die Möglichkeit eingeräumt worden, hierzu Stellung zu nehmen. Weitergehende Anforderungen an den Inhalt einer Anhörungsmitteilung verlangt § 153 Abs 4 S 2 SGG nicht (vgl BSG Urteile vom 22.4.1998 - B 9 SB 19/97 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 7 S 19 und vom 25.11.1999 - B 13 RJ 25/99 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 9 S 27 und Beschluss vom 16.3.1994 - 9 BV 151/93 - Juris RdNr 3; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 11. Aufl 2014, § 153 RdNr 19; Littmann in Lüdtke, SGG , 4. Aufl 2012, § 153 RdNr 42; Fock in Breitkreuz/Fichte, SGG , 2. Aufl 2014, § 153 RdNr 25; vgl ähnlich zur gleichlautenden Regelung des § 130a iVm § 125 Abs 2 S 3 VwGO : zB BVerwG Urteil vom 21.3.2000 - 9 C 39/99 - BVerwGE 111, 69, 73 f sowie Beschlüsse vom 21.12.1993 - 6 B 76/92 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr 10 und vom 17.7.2003 - 1 B 140/03 - Juris RdNr 2, wonach eine ordnungsgemäße Anhörung im Beschlussverfahren nach § 130a VwGO voraussetzt, dass die gerichtliche Anhörungsmitteilung unmissverständlich erkennen lässt, wie das Berufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt). Denn die Anhörung soll dem Berufungskläger Gelegenheit geben, sich in der Sache selbst zu äußern und etwaige Bedenken bzw (sachdienliche) Einwände gegen eine Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren (ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter) vorzutragen (vgl Senatsbeschluss vom 9.4.2003 - B 5 RJ 140/02 B - Juris RdNr 8 sowie BSG Urteil vom 21.6.2001 - B 7 AL 94/00 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 14 S 45 und Beschluss vom 31.7.2012 - B 13 R 179/12 B - BeckRS 2012, 72336 RdNr 7).

Damit korrespondiert indessen keine richterliche Pflicht, "in der Anhörungsmitteilung konkret Ausführungen dazu" zu machen, "dass keine weitere Sachaufklärung durch das Gericht beabsichtigt sei". Erhält der rechtskundig vertretene Beteiligte eine Anhörungsmitteilung iS von § 153 Abs 4 S 1 SGG , so muss er daraus schließen, dass das Gericht die Sachaufklärung für abgeschlossen hält und schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 103 SGG ansieht ( BSG Beschluss vom 24.7.2015 - B 1 KR 50/15 B - Juris RdNr 5). Folglich obliegt es den Beteiligten, nach Zugang der Anhörungsmitteilung von sich aus zu reagieren, ihren Standpunkt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unaufgefordert zu verdeutlichen und ggf förmliche Beweisanträge - im hier maßgeblichen Sinn der ZPO160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG , §§ 358 ff ZPO ) - aus eigenem Antrieb zu wiederholen oder erstmals zu stellen. Existiert damit schon keine Aufklärungspflicht des Gerichts, so lässt die Beschwerdebegründung gleichwohl offen, warum das LSG eine solche vermeintliche Pflicht verletzt haben könnte, obwohl es mit Schreiben vom 17.8.2015 darauf hingewiesen hatte, "dass für die Berufung keine Erfolgsaussichten bestünden", "die Entscheidung der Vorinstanz ... zutreffend" und "der Rechtsstreit auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten zu entscheiden" sei.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG .

Vorinstanz: LSG Sachsen-Anhalt, vom 10.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 16/15
Vorinstanz: SG Halle, - Vorinstanzaktenzeichen 26 R 348/11