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BSG - Entscheidung vom 10.02.2016

B 5 RE 27/15 B

BSG, Beschluss vom 10.02.2016 - Aktenzeichen B 5 RE 27/15 B

DRsp Nr. 2016/4238

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Juli 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Mit Urteil vom 16.7.2015 hat es das LSG Niedersachsen-Bremen ua abgelehnt, die Feststellungen der Beklagten zur Beitragspflicht des Klägers ab dem 1.1.2008 als selbstständig tätiger Dozent aufzuheben.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und das Vorliegen einer Rechtsprechungsabweichung (Divergenz).

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam,

(1) "ob darin, dass den nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtigen selbständigen Lehrern nicht wie den langjährig pflichtversicherten selbständigen Handwerkern gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI das Recht zur Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 2 Satz 1 Nr. 8 SGB VI ) eingeräumt wird, wenn für mindestens 18 Jahre Pflichtbeiträge gezahlt wurden, wegen der Unterschiedlichkeit der Berufsgruppen kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt und eine Gleichstellung von langjährig pflichtversicherten selbständigen Handwerkern mit Personen, die langjährig Beiträge in ein berufsständisches Versorgungswerk eingezahlt haben, nicht zu erfolgen hat",

(2) "ob der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Rentenversicherung nur das Einkommen zugrunde gelegt werden darf, das dem Kläger auch tatsächlich zur Verfügung steht, d.h. insbesondere Sozialversicherungsbeiträge, wie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Beiträge zur Berufsgenossenschaft einkommensmindernd zu berücksichtigen sind",

(3) "ob der Rückgriff auf die Definition des § 4 Abs. 1 EStG insoweit verfassungsgemäß ist, als die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Gefährdung des Existenzminimums von Selbständigen führt".

Bei den Fragen (2) und (3) handelt es sich nicht um Rechtsfragen im vorstehend umschriebenen Sinn. Es bleibt jeweils offen, welche Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG ) hinsichtlich welchen Tatbestandsmerkmals in Rede stehen und ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden. Zudem bezieht sich die Frage (2) ausdrücklich auf die Verhältnisse des Klägers und hat damit Einzelfallcharakter. Derart auf die Gestaltung des Einzelfalls zugeschnittene Fragen können aber von vornherein keine Breitenwirkung entfalten, weil sie im angestrebten Revisionsverfahren nicht mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnten (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10 und Nr 39 S 58; BSG Beschlüsse vom 17.8.2009 - B 11 AL 192/08 B - Juris RdNr 3 und vom 29.12.2011 - B 11 AL 104/11 B - BeckRS 2012, 65384 RdNr 6).

Unabhängig davon ist insgesamt zur Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend vorgetragen. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Wer einen Verfassungsverstoß geltend macht, darf sich nicht nur auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vortragen, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegende Rechtsprechung die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 183 mwN). Zudem muss der Beschwerdeführer darlegen, woraus sich die Verfassungswidrigkeit im konkreten Fall ergeben soll (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Bereits auf bisher ergangene Entscheidungen des BVerfG und des BSG zu den aufgeworfenen Problemkreisen geht der Vortrag des Klägers jedoch nicht ansatzweise ein.

Außerdem fehlt es an Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Insofern hätte der Kläger jeweils aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG ) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochenen Problemkreise entschieden werden muss. Der Kläger gibt bereits nicht den der Berufungsentscheidung zugrunde liegenden, vom LSG festgestellten Sachverhalt wieder. Zwar schildert er einen Sachverhalt. Ob die dort angegebenen Tatsachen auf Feststellungen des Berufungsgerichts beruhen, ist den Ausführungen nicht zu entnehmen. Fehlt jedoch die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung, wird das Beschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, allein anhand der jeweiligen Beschwerdebegründung zu beurteilen, ob die als grundsätzlich erachteten Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des Beschwerdegerichts, sich die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (Senatsbeschlüsse vom 16.5.2012 - B 5 R 442/11 B - BeckRS 2012, 70568 RdNr 13 und vom 21.2.2012 - B 5 R 222/11 B - BeckRS 2012, 69065 RdNr 9).

Auch die Rüge der Rechtsprechungsabweichung (Divergenz) kann keinen Erfolg haben. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger macht geltend, das LSG habe entschieden, dass die vom Kläger herangezogene Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 1.2.1979 - 12 RK 39/77) zu § 1227 RVO (heute § 4 SGB VI ) nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar sei.

Damit hat der Kläger schon keinen tragenden abstrakten fallübergreifenden Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG widersprochen haben könnte. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht höchstrichterliche Rechtssätze und wendet es deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Unter diesen Umständen hätte der Kläger vertieft darauf eingehen müssen, warum es sich bei der behaupteten Abweichung des LSG nicht lediglich um eine falsche Rechtsanwendung im Einzelfall handelt, in der ein eigener Rechtssatz des Berufungsgerichts gerade nicht zum Ausdruck kommt (vgl im Einzelnen BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45).

Darüber hinaus zeigt der Beschwerdeführer auch nicht auf, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Divergenz beruht. Denn die Beschwerdebegründung legt nicht dar, dass das BSG in der herangezogenen Entscheidung auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation, die mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist, tragend anders entschieden hat als das LSG im angefochtenen Urteil. Dafür genügt es keinesfalls, der Entscheidung des BSG isoliert einzelne Sätze zu entnehmen. Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem der herangezogene höchstrichterliche Rechtssatz steht (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der Entscheidung des BSG ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie verschweigt, welchen Sachverhalt das BSG zu beurteilen hatte, sodass auch nicht deutlich wird, welche rechtlichen Aussagen es wirklich getroffen hat und welche Aussagen ggf auf einer Interpretation des Klägers beruhen. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung auch der Entscheidung des BSG gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang es als klärungsbedürftig ansieht, "wie eng bzw. weit die Formulierungen in § 231 Abs. 1 Satz 1 SGB VI 'in derselben Beschäftigung' und die 'jeweilige Beschäftigung' in § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI auszulegen" seien, fehlen Darlegungen zu tragenden abstrakten Rechtssätzen des LSG als auch des BSG . Die zitierte Entscheidung des LSG im Verfahren L 12 R 71/12 B ER ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 16.07.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 12 R 112/14
Vorinstanz: SG Oldenburg, - Vorinstanzaktenzeichen 8 R 188/12