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BSG - Entscheidung vom 05.01.2016

B 4 AS 304/15 B

BSG, Beschluss vom 05.01.2016 - Aktenzeichen B 4 AS 304/15 B

DRsp Nr. 2016/1693

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. September 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Im Streit stehen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für alle Kläger.

Das SG hat durch Urteil vom 26.2.2014 erhöhte Leistungen nur dem Kläger zu 1 zugesprochen. Für die Klage der Kläger zu 2 bis 4 fehle es an den Sachurteilsvoraussetzungen, die Klagefrist sei versäumt. Diese habe am 27.12.2011 geendet und die Kläger zu 2 bis 4 hätten erst am 6.8.2012 Klage erhoben. Nach dem 30.6.2007 könne keine wohlwollende Auslegung des Klageantrags der Gestalt mehr erfolgen, dass durch ihn, auch wenn nur eine Person der Bedarfsgemeinschaft Klage erhoben habe, alle Bedarfsgemeinschaftsmitglieder ihre Ansprüche gerichtlich geltend machen wollten. Es handele sich bei dem Leistungsanspruch auf passive Leistungen nach dem SGB II nicht um einen Anspruch der Bedarfsgemeinschaft, sondern um Individualansprüche der einzelnen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder. Dem entsprechend sei auch die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides im konkreten Fall formuliert. Daher scheide eine Verlängerung der Klagefrist auf ein Jahr aus. In der Rechtsbehelfsbelehrung sei darauf hingewiesen worden, dass jeder Betroffene für sich Klage gegen die Entscheidung der Verwaltung erheben könne. Das LSG hat die Entscheidung des SG unter Hinweis auf dessen Begründung bestätigt. Ergänzend hat es ausgeführt, an dem Ergebnis ändere es nichts, dass der Widerspruchsbescheid nur an den Kläger zu 1 adressiert gewesen sei. Aus den Gesamtumständen und den Ausführungen im Widerspruchsbescheid lasse sich entnehmen, dass der Beklagte umfassend über die Ansprüche aller Bedarfsgemeinschaftsmitglieder habe entscheiden wollen und dies auch getan habe. Ebenso wenig sei die Rechtsbehelfsbelehrung standardmäßig unzureichend gewesen (Urteil vom 17.9.2015)

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem zuvor bezeichneten Urteil des LSG wenden sich die Kläger mit der Beschwerde an das BSG . Sie werfen eine Rechtsfrage auf, die ihrer Ansicht nach grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und rügen Divergenz zu Entscheidungen des BSG160 Abs 1 Nr 2 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung ( BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 12, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

Die Beschwerdeführer formulieren zwar die Rechtsfrage, ob bzw wann die Klagefrist für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, an die der Widerspruch nicht adressiert sei bzw die den Rechtsanwalt nicht mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betraut hätten, in Lauf gesetzt werde. Es gelingt ihnen jedoch nicht, die abstrakte Klärungsbedürftigkeit dessen darzulegen. Insoweit hätte es Darlegungen bedurft, warum sich die aufgeworfene Frage nicht bereits aus dem Gesetz (§ 87 SGG ) iVm der von ihnen selbst zitierten Entscheidung des BSG vom 4.6.2014 (B 14 AS 2/13 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 3) beantworten lässt.

Nach § 87 S 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Das BSG hat zur Bekanntgabe ausgeführt, diese sei wirksam, wenn die Behörde willentlich dem Adressaten vom Inhalt des Verwaltungsakts Kenntnis verschaffe und der Adressat zumindest die Möglichkeit der Kenntnisnahme gehabt habe. Richte sich ein Verwaltungsakt an mehrere Beteiligte oder seien mehrere von ihm betroffen, so werde er jedem Einzelnen gegenüber erst zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem er ihm bekannt gegeben werde, wobei die Möglichkeit der Kenntnisnahme zwingend, aber auch ausreichend sei. Hieraus folge, dass ua die zufällige Kenntnisnahme der Beteiligten vom Inhalt des Verwaltungsakts, etwa durch Mitteilung seitens eines Dritten, für eine wirksame Bekanntgabe nicht ausreiche ( BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 2/13 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 3 RdNr 22). Im Hinblick auf die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft für weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft führt der 14. Senat weiter aus, nach § 38 Abs 1 S 1 SGB II werde vermutet, dass ein Leistungsberechtigter, der einen Antrag auf Leistungen stelle (§ 37 Abs 1 SGB II ), bevollmächtigt sei, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Daraus folge, dass der auf Antrag eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erteilte Bescheid diesem für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bekannt gegeben werden könne. § 38 Abs 1 SGB II sei dahingehend auszulegen, dass die vermutete Bevollmächtigung alle Verfahrenshandlungen erfasse, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhingen und der Verfolgung des Anspruchs dienten ( BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 2/13 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 3 RdNr 25).

Des Weiteren halten die Beschwerdeführer für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die generell in Alg II-Sachen verwendeten Rechtsbehelfsbelehrungen "gegen diese Entscheidung kann jeder Betroffene für sich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe (...) Klage erheben" ausreichend klar bzw unrichtig iS des § 66 Abs 2 SGG sei und die Monatsfrist nicht in Lauf gesetzt werde, wenn im Rubrum des Widerspruchsbescheides nur der Antragsteller, nicht jedoch die übrigen - für den Kenner der Materie: offensichtlich - mitbetroffenen weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeführt seien. Abgesehen davon, dass die Kläger im Hinblick auf diese Frage keine Darlegungen zu deren abstrakter Klärungsbedürftigkeit vornehmen, ist insoweit auf die vorangegangenen Ausführungen zu verweisen.

Es ist es ihnen auch nicht gelungen, den Zulassungsgrund einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG formgerecht zu rügen. Zur Begründung erforderlich ist insoweit, dass in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so bezeichnet wird, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruht ( BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54, 67). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung hier nicht.

Die Beschwerdeführer benennen bereits keine konkreten Rechtssätze aus der Entscheidung des LSG, die von denen in Entscheidungen des BSG abweichen sollen. Ihr Vortrag läuft vielmehr darauf hinaus, dass sie meinen, wenn das Berufungsgericht die von ihm selbst zitierte Entscheidung des BSG nicht missverstanden hätte, ihr Fall anders zu beurteilen gewesen wäre. Wenn ein Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz missversteht und deshalb das Recht fehlerhaft anwendet, kann jedoch nicht ohne Weiteres angenommen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG vom 2.2.2011 - B 13 R 381/10 B - juris RdNr 10). So ist es hier, wenn die Kläger vorbringen, das LSG habe im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 27.9.2011 (B 4 AS 155/10 R - SozR 4-1935 § 7 Nr 1 RdNr 22) übersehen, dass sich die zitierte Entscheidung lediglich mit "Kostenfragen" und insbesondere der Vergütung im Zusammenhang mit einer Widerspruchseinlegung befasse, nicht jedoch mit den im vorliegenden Fall sich stellenden Fragen der wirksamen Bekanntgabe und des Beginns des Laufes der Klagefristen. Gleiches gilt, wenn sie dem LSG vorwerfen, die oben bereits benannte Entscheidung vom 4.6.2014 (B 14 AS 2/23 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 3) nicht in seine rechtliche Würdigung einbezogen zu haben.

Die nicht formgerecht begründete Beschwerde war daher nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Berlin-Brandenburg, vom 17.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 31 AS 900/14
Vorinstanz: SG Berlin, - Vorinstanzaktenzeichen 53 AS 33725/11