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BSG - Entscheidung vom 17.03.2016

B 11 AL 4/15 R

Normen:
SGB III § 143 Abs. 2 S. 1 (F: 1997-03-24)
SGB III § 143 Abs. 2 S. 2 (F: 1997-03-24)
BUrlG § 7 Abs. 4
BUrlG § 11
EGV 883/2004 Art. 5
SGG § 164 Abs. 2 S. 3
SGB III (i.d.F.v. 24.03.1997) § 143 Abs. 2 S. 1-2
BUrlG § 7 Abs. 4
BUrlG § 11
EGV 883/2004 Art. 5
SGG § 164 Abs. 2 S. 3
BUrlG § 11
BUrlG § 7 Abs. 4
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 5
SGB III § 143 Abs. 2 S. 1 und S. 2

Fundstellen:
NJW 2016, 10
NZS 2016, 670

BSG, Urteil vom 17.03.2016 - Aktenzeichen B 11 AL 4/15 R

DRsp Nr. 2016/8694

Anspruch auf Arbeitslosengeld; Ruhen bei Zahlungen aufgrund der Auflösung eines dänischen Urlaubskontos

Wird bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses in Dänemark das auf einem dänischen Urlaubskonto angesparte Entgelt an den Arbeitnehmer ausbezahlt, ruht dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen des Bezugs einer der Urlaubsabgeltung vergleichbaren Leistung für die Dauer des abgegoltenen Urlaubs.

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Juni 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Normenkette:

BUrlG § 11 ; BUrlG § 7 Abs. 4 ; Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 5; SGB III § 143 Abs. 2 S. 1 und S. 2;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) vom 15.12.2010 bis 16.2.2011 wegen Auszahlung des Betrags, der auf einem dänischen Urlaubskonto angespart war.

Der 1956 geborene Kläger meldete sich am 15.12.2010 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Er legte die Bescheinigung E 301 vor, wonach er vom 12.2.2009 bis 14.12.2010 in Dänemark in einem Beschäftigungsverhältnis als Schweißer gestanden hatte. Während der Beschäftigung hatte er seinen Hauptwohnsitz weiterhin in Deutschland. Aus der später vorgelegten Bescheinigung U 1 DK des Arbejdsdirektoratet (Kopenhagen) ergibt sich weiter, dass ihm für 22 Ferientage des Jahrs 2009 (18 244,80 Dänische Kronen [DKK]) und für 24 Ferientage des Jahrs 2010 weitere 11 422,73 DKK ausgezahlt wurden.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst vorläufig Alg (Bescheid vom 25.1.2011), während sie die endgültige Bewilligung von Alg ablehnte (Bescheid vom 14.2.2011). Der Kläger erhob dagegen Widerspruch, gab Erklärungen ab und legte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Daraufhin bewilligte die Beklagte ihm ab 17.2.2011 Alg bei einem täglichen Leistungssatz von 34,02 Euro (Teilabhilfebescheid vom 23.2.2011), gegen den der Kläger ebenfalls Widerspruch erhob. Er machte geltend, Alg stehe ihm auch vom 15.12.2010 bis 16.2.2011 zu. Zwar habe er einen finanziellen Ausgleich für nicht genommenen Urlaub erhalten, dabei handle es sich aber nicht um eine Urlaubsabgeltung nach deutschem Recht, denn er habe das Entgelt als Arbeitnehmer verdient und angespart. Die Beklagte wies die Widersprüche zurück (Widerspruchsbescheid vom 20.6.2011).

Der Kläger hat bei dem SG Lübeck Klage erhoben und ergänzend ausgeführt, in Dänemark könne der Arbeitnehmer erst im Folgejahr Zugriff auf das "feriepenge" nehmen, er habe praktisch ein "Sparkonto", mit dessen Mitteln er das Entgelt während des Urlaubs bestreite. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.11.2012). Die Beklagte habe zu Recht das Ruhen des Alg in dem streitigen Zeitraum nach § 143 Abs 2 S 1 SGB III idF bis 31.3.2012 festgestellt, weil der Kläger eine der Urlaubsabgeltung gleichzustellende Leistung erhalten habe.

Der Kläger hat dagegen Berufung zum Schleswig-Holsteinischen LSG eingelegt. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19.6.2015). Der Anspruch auf Alg ruhe nach § 143 Abs 2 S 1 SGB III aF für die Zeit, für die dem Kläger nach Beendigung der Beschäftigung in Dänemark aus der dänischen Ferienkasse das angesparte Entgelt für nicht in Anspruch genommenen Erholungsurlaub ausgezahlt worden sei. Diese Zahlung sei einer Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs 4 BUrlG vergleichbar. Wäre der abgegoltene Urlaub genommen worden, hätte das Arbeitsverhältnis bis zum 16.2.2011 angedauert.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung von § 143 Abs 2 S 1 SGB III aF. Das LSG habe die Vergleichbarkeit des dänischen "feriepenge" mit einer Urlaubsabgeltung nach deutschem Recht nicht bejahen dürfen. Beide Leistungen seien nicht vergleichbar.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Juni 2015 sowie des Sozialgerichts Lübeck vom 30. November 2012 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. Februar 2011 und 23. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 15. Dezember 2010 bis 16. Februar 2011 Arbeitslosengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die Revision wegen unzureichender Auseinandersetzung mit dem Urteil des LSG für unzulässig, hilfsweise für unbegründet. Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH und des BAG handele es sich bei dem Anspruch auf Urlaubsabgeltung um einen vererblichen Anspruch auf Geldleistung, um einen solchen handele es sich auch bei dem dänischen Urlaubsgeld.

II

1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist eine Revision fristgerecht zu begründen. Die Begründung der Revision muss nach § 164 Abs 2 S 3 SGG einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Diese Anforderungen hat das BSG dahin präzisiert, dass der Vortrag die Prüfung und Durcharbeitung des Prozessstoffs durch den Prozessbevollmächtigten erkennen lassen muss. Die Begründung darf deshalb nicht nur die eigene Meinung des Revisionsführers wiedergeben, sondern muss sich zumindest kurz mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen (vgl nur: BSG Beschluss vom 18.6.2002 - B 2 U 34/01 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22; BSG Urteil vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 16/06 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; dazu auch BVerfG Beschluss vom 7.7.1980 - 2 BvR 310/80 - SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).

Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung noch gerecht. Der Kläger hat sich kurz mit der Rechtsauffassung des LSG auseinandergesetzt. Er gibt den Maßstab wieder, von dem ausgehend das LSG den Vergleich zwischen der dänischen Leistung für nicht genommenen Urlaub und der Urlaubsabgeltung nach Bundesrecht angestellt hat. Auch wenn er anschließend im Wesentlichen seine eigene Auffassung darlegt, widerspricht er auch der Auslegung und Anwendung des "§ 43 Abs 2 S 1 SGB III aF" (gemeint: § 143 Abs 2 S 1 SGB III aF) durch das LSG.

2. Die Revision ist in der Sache aber unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG ).

Gegenstand der Revision ist das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen hat. Das LSG hat die Berufung zu Recht zurückgewiesen, denn die gegen den Bescheid der Beklagten vom 23.2.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2011 gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, Abs 4 , § 56 SGG ) ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

a) Der Kläger hat zwar am 15.12.2010 ein Stammrecht auf Alg erworben.

Maßstab für die Prüfung des geltend gemachten Anspruchs auf Alg sind §§ 117 ff SGB III (in der Fassung, die die Normen durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2848, erhalten haben; SGB III aF). Der Kläger erfüllte zum 15.12.2010 die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Alg (§ 118 Abs 1 SGB III aF), weil er arbeitslos war (§§ 118 Abs 1 Nr 1 , 119 SGB III aF), wie das LSG für den Senat bindend festgestellt hat. Insbesondere war die Verfügbarkeit als Merkmal der "Arbeitslosigkeit" zum Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs nicht durch eine zuvor bestehende und noch andauernde Arbeitsunfähigkeit eingeschränkt. Der Kläger hat sich bei der Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet (§§ 118 Abs 1 Nr 2 , 122 SGB III aF; ob die Meldung rechtzeitig erfolgt ist [§ 37b SGB III aF], ist für die Entstehung des Anspruchs unerheblich und könnte ggf nur zum Ruhen des Alg führen; § 144 Abs 1 S 2 Nr 7 SGB III aF) und er hat auch die Anwartschaftszeit erfüllt (§§ 118 Abs 1 Nr 3 , 123 SGB III aF iVm Art 61 Abs 1 S 1 und Abs 2 EGV 883/2004). Die in Dänemark zurückgelegte Beschäftigungszeit vom 12.2.2009 bis 14.12.2010, die innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist liegt, ist nach Maßgabe des Art 61 Abs 1 EGV 883/2004 als Zeit eines Versicherungspflichtverhältnisses zu berücksichtigen (vgl BSG Urteil vom 17.3.2015 - B 11 AL 12/14 R - SozR 4-4300 § 131 Nr 6).

b) Der Zahlungsanspruch auf Alg ruht in dem streitigen Zeitraum aber wegen des Bezugs einer der Urlaubsabgeltung gleichzustellenden Zahlung der dänischen Urlaubskasse.

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob der Zahlungsanspruch auf Alg ab 15.12.2010 auch deshalb ruht, weil eine einwöchige Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung eingetreten ist (§ 144 Abs 1 S 2 Nr 7 , Abs 6 SGB III aF), denn der Zahlungsanspruch des Klägers auf Alg ruht vom 15.12.2010 bis 16.2.2011 jedenfalls nach Maßgabe des § 143 Abs 2 S 1 SGB III aF. Nach § 143 Abs 2 S 1 SGB III aF ruht der Anspruch auf Alg für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs, wenn der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen hat. Der Ruhenszeitraum beginnt mit dem Ende des die Urlaubsabgeltung begründenden Arbeitsverhältnisses (§ 143 Abs 2 S 2 SGB III aF) und endet mit Ablauf der Zeit des abgegoltenen Urlaubs.

Die Berücksichtigung der Zahlung aus der dänischen Urlaubskasse als "Urlaubsabgeltung" iS des § 143 Abs 2 SGB III aF folgt nicht schon daraus, dass die Zahlung in Feld 4.3. der Bescheinigung U 1, die mit "Urlaubsabgeltung" übersetzt wird. Zwar entfaltet eine vom dänischen Träger ausgestellte Bescheinigung, die nach Maßgabe des Art 54 Abs 2 EGV 987/2009 Daten für Grenzgänger (Art 62 Abs 3 EGV 883/2004) bescheinigt, Bindungswirkung (Art 5 Abs 1 EGV 987/2009). Die vom Träger eines Mitgliedsstaats ausgestellten Dokumente, die den Status einer Person für Zwecke der Anwendung der EGV 883/2004 bescheinigen, sind verbindlich, solange sie nicht von dem Träger des ausstellenden Mitgliedsstaats widerrufen sind (vgl zur Annahme einer Bindungswirkung der Bescheinigungen nach EWGV 1408/71 und EWGV 574/72: BSG Urteil vom 6.4.2006 - B 7a/7 AL 86/04 R - SGb 2006, 473; EuGH Urteil vom 11.11.2004 C-372/02 - Adanez-Vega - SozR 4-6050 Art 71 Nr 4). Falls an der Gültigkeit des Dokuments oder Richtigkeit des bescheinigten Sachverhalts Zweifel bestünden, hätte der Träger des Mitgliedsstaats - hier also die Beklagte - mit dem das Dokument ausstellenden Träger das Verfahren nach Art 5 Abs 2 bis 4 EGV 987/2009 durchzuführen.

Solche Zweifel bestehen hier aber nicht, weil weder die Gültigkeit des Dokuments noch der bescheinigte Sachverhalt zweifelhaft ist. Die Auszahlung des angesparten "feriepenge" für nicht in Anspruch genommenen Urlaub an den Kläger steht nicht in Zweifel. Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob die geleistete Zahlung einer Urlaubsabgeltung gleichzustellen ist. Diese Frage beantwortet sich nach nationalem Recht, für dessen Anwendung und Auslegung die Bescheinigung U 1 keine Bindungswirkung entfaltet.

Gegen ein Ruhen des Alg wegen Bezugs einer Urlaubsabgeltung (§ 143 Abs 2 SGB III aF) könnte sprechen, dass der Kläger keine Urlaubsabgeltung nach deutschem Recht erhalten hat. Er war in der Beschäftigungszeit, mit der er die Anwartschaftszeit auf Alg erfüllt, nicht im Inland tätig und hat deshalb keine Ansprüche nach dem BUrlG erworben. Vielmehr hat er eine Leistung nach dänischem Arbeitsrecht erhalten, als ihm wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das angesparte Urlaubsgeld ausgezahlt wurde.

Für solche im EU-Ausland zurückgelegte Sachverhalte regelt Art 5 EGV 883/2004 in Bezug auf das nationale Recht eine "Tatbestandsgleichstellung". Danach gilt für die "Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen" ... Folgendes: "a) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar. b) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären."

Die Voraussetzungen für eine Gleichstellung sich entsprechender Leistungen oder Sachverhalte nach Art 5 EGV 883/2004 sind gegeben, wenn die ausländische Leistung in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Leistung entspricht, dh nach Motivation und Funktion gleichwertig ist ( BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 - juris RdNr 24; BSG Urteil vom 6.3.1991 - 13/5 RJ 39/90 - BSGE 68, 184 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2; Otting in Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB I , 2. Aufl 2011, Art 5 EGV 883/2004 RdNr 6; Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl 2013, Art 5 EGV 883/2004 RdNr 4 f, jeweils mwN). Da eine völlige Identität von ausländischen Regelungen, hier also der Urlaubsgewährung und -abgeltung in Dänemark im Vergleich zu derjenigen im Bundesgebiet, kaum denkbar ist, muss sich die Beurteilung notwendigerweise auf wesentliche Merkmale beider Arten von Leistungen beschränken, während andere Regelungsaspekte für den Vergleich unwesentlich sind.

Die Beurteilung der funktionalen Gleichwertigkeit von Leistungen oder Einkünften hat sich an Sinn und Zweck der anzuwendenden Rechtsvorschrift - hier also des § 143 Abs 2 S 1 SGB III aF - auszurichten. Der Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, dazu beizutragen, dass Doppelleistungen aus dem Arbeitsverhältnis einerseits und der Arbeitslosenversicherung andererseits vermieden werden (Düe in Niesel/Brand, SGB III , 5. Aufl 2010, § 143 RdNr 2; Keller in Mutschler/Bartz/Schmidt-De Caluwe, SGB III , 3. Aufl 2008, § 143 RdNr 5; zum neuen Recht Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III , K § 157 RdNr 4, Stand V/12).

Nach § 7 Abs 4 BUrlG ist der Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten. Dies setzt das wirksame Bestehen eines Urlaubsanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Erfüllbarkeit des Abgeltungsanspruchs in dem Sinne voraus, dass der Arbeitnehmer bei hypothetischer Weiterführung des Arbeitsverhältnisses den Urlaub tatsächlich hätte nehmen können. Hätte der Arbeitnehmer den Urlaub während des Arbeitsverhältnisses genommen, hätte er nach deutschem Recht Entgeltfortzahlung im Sinne eines Urlaubsentgelts (§ 11 BUrlG ) erhalten.

In Dänemark gibt es demgegenüber - wie das LSG festgestellt hat (zur Feststellung ausländischen Rechts durch das LSG vgl BSG Urteil vom 13.10.1992 - 4 RA 24/91 - BSGE 71, 163 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4; BSG Beschluss vom 18.9.2014 - B 12 KR 78/13 B -, juris RdNr 11) - keine Lohnfortzahlung während des Urlaubs. Stattdessen zahlen die Arbeitgeber zu jeder Entgeltzahlung weitere 12,5 vH an Arbeitsentgelt an eine Urlaubskasse. Die Zahlung wird entweder auf ein Konto bei der ATP (Behörde für dänisches Zusatzrentensystem), einem Konto bei einem Arbeitgeberverband angespart oder der Arbeitgeber bildet selbst Rückstellungen. Das Ansparjahr für das "feriepenge" geht von Januar bis Dezember; das Urlaubsjahr, in dem das Entgelt ausgezahlt werden kann, umfasst den Mai des Folgejahrs bis April des übernächsten Jahrs. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann das "feriepenge" aufgrund einer gesetzlichen Regelung (§ 30 dänisches Urlaubsgesetz ; "ferieloven") ausgezahlt werden, wenn der Arbeitnehmer nicht in Dänemark wohnt und nicht mehr in Dänemark arbeitet. Die Auszahlung ist innerhalb der ersten sechs Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen.

Die Auszahlung des auf dem "feriepenge" angesparten Entgelts zum Ausgleich des während der Beschäftigung in Dänemark nicht genommenen Erholungsurlaubs ist funktional einer Urlaubsabgeltung nach deutschem Recht gleichwertig und deshalb einer Urlaubsabgeltung gleichzustellen. Dem Kläger stand nach dänischem Arbeitsrecht Anspruch auf Urlaub zu, bei dessen Inanspruchnahme er für dessen Dauer das angesparte Urlaubsgeld ausgezahlt erhalten hätte. Auch wenn Urlaub nach dänischem Arbeitsrecht erst nach Ablauf von einem Jahr und fünf Monaten beansprucht werden kann, hätte der Kläger etwa ab Mitte des Jahrs 2010 bezahlten Urlaub nehmen können. Da er aber Erholungsurlaub nicht in Anspruch genommen hat, ist ihm das für die Zeit des Erholungsurlaubs angesparte Urlaubsgeld nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf seinen Antrag hin ausgezahlt worden.

Sowohl nach dänischem Recht als auch nach dem BUrlG erwerben frühere Arbeitnehmer einen Geldanspruch, mit dem die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestehenden Urlaubsansprüche in Geld abgegolten werden (so zu deutschem Recht jetzt auch BAG Urteil vom 22.9.2015 - 9 AZR 170/14 - NZA 2016, 37 , für BAGE vorgesehen, unter Aufgabe der früheren Surrogatstheorie). Es handelt es sich in beiden Fällen um von den Arbeitnehmern erarbeitete Ansprüche, die zunächst auf Freistellung von der Arbeit während der Zeit des Erholungsurlaubs gerichtet sind und die sich bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Anspruch auf eine Geldleistung verwandeln, der den Arbeitnehmern selbst zusteht. Die Interessenlage ist in beiden Rechtsordnungen übereinstimmend so gestaltet, dass die Arbeitnehmer entweder am Ende des Arbeitsverhältnisses für den entsprechenden Zeitraum Anspruch auf Zahlung von Entgelt für die Dauer des Erholungsurlaubs haben oder sich diesen Anspruch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses abgelten lassen. Der Kläger hat angespartes Arbeitsentgelt ausgezahlt erhalten. Der Bezug des dänischen Urlaubsgelds ("feriepenge") führt folglich nach § 143 Abs 2 S 1 SGB III aF zum Ruhen des Anspruchs auf Alg.

Das für Zeiten des Urlaubs angesparte Entgelt ist dem Kläger tatsächlich ausgezahlt worden, sodass die Voraussetzungen des § 143 Abs 2 S 1 Alt 1 SGB III aF vorliegen (dazu Mutschler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 157 SGB III RdNr 11). Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger einen Rechtsanspruch auf die Zahlung hatte (Alt 2; dazu Düe in Brand, SGB III , 7. Aufl 2015, § 157 RdNr 24). Der Zahlungsanspruch auf Alg hat ab 15.12.2010 für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs, also bis zum 16.2.2011 (§ 143 Abs 2 S 1 und 2 SGB III aF), geruht.

Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken (vgl zur Prüfung der vergleichbaren Regelung des § 143a SGB III aF: BSG Urteil vom 17.10.2007 - B 11a AL 51/06 R - BSGE 99, 154 = SozR 4-4300 § 144 Nr 17) gegen dieses Ergebnis hat der Senat nicht; sie sind vom Kläger auch nicht geltend gemacht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 19.06.2015 - Vorinstanzaktenzeichen L 3 AL 55/12
Vorinstanz: SG Lübeck, vom 30.11.2012 - Vorinstanzaktenzeichen S 28 AL 134/11
Fundstellen
NJW 2016, 10
NZS 2016, 670