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BGH - Entscheidung vom 18.02.2016

AK 3/16

Normen:
StGB § 30 Abs. 2 1. Alt.
StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1
StGB § 129b Abs. 1 S. 1-2

BGH, Beschluss vom 18.02.2016 - Aktenzeichen AK 3/16

DRsp Nr. 2016/4328

Sichbereiterklären zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung Junud al-Sham ("Soldaten Großsyriens"); Bereitschaft zur Vornahme gewichtiger Beteiligungshandlungen; Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate

1. § 30 Abs. 2 Alternative 1 StGB ist auf den Verbrechenstatbestand der Beteiligung an einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung als Mitglied nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB anwendbar.2. Allerdings folgt aus dem im Rahmen des § 30 StGB zu stellenden Erfordernis des Zusammenwirkens mehrerer, dass die bloße Kundgabe, ein Verbrechen begehen zu wollen, den Tatbestand des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB nicht erfüllt; vielmehr muss die Erklärung darauf gerichtet sein, sich gegenüber deren Adressaten zu binden, sei es in Form der Annahme einer durch diesen gemachten Aufforderung, sei es in Form eines aktiven Sicherbietens diesem gegenüber in der Erwartung, dass er dem Deliktsplan zustimmen werde.3. Diese beabsichtigte Selbstbindung macht es erforderlich, dass die Erklärung ernsthaft sein muss.4. Die Selbstbindung kann zudem erst und nur dann angenommen werden, wenn die Erklärung demjenigen gegenüber abgegeben wird, dessen Mitwirkung notwendig ist, im Falle der § 129a Abs. 1 , 2 und 4 , § 129b StGB mithin gegenüber einem Repräsentanten der terroristischen Vereinigung.5. Die Junud al-Sham ist als ausländische terroristische Vereinigung im Sinne der § 129a Abs. 1 Nr. 1 , § 129b Abs. 1 StGB anzusehen.

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwaige erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.

Normenkette:

StGB § 30 Abs. 2 1. Alt.; StGB § 129a Abs. 1 Nr. 1 ; StGB § 129b Abs. 1 S. 1-2;

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde am 16. Juni 2015 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Juni 2015 (Az.: 5 BGs 91/15) festgenommen und befindet sich seitdem, unterbrochen zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Zeit vom 29. Juni bis zum 17. August 2015, in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 30. Oktober 2015 Anklage zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 19. Januar 2016 die Anklage zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und mit derselben Entscheidung sowie Beschluss vom 21. Januar 2016 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeklagte ist dringend verdächtig, sich spätestens am 29. Mai 2015 zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Organisation Junud al-Sham bereit erklärt zu haben. Im Einzelnen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

a) Die Vereinigung Junud al-Sham

Bei der Vereinigung Junud al-Sham ("Soldaten Großsyriens") handelt es sich um eine Gruppierung, die - soweit ersichtlich - seit August 2013 auf Seiten der islamistischen Gegner des Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg eingreift. Ihr Anführer ist der Tschetschene Muslim Margoshvili alias Muslim Abu Walid ash-Shishani, der über Kampferfahrung aus den russischen Tschetschenienkriegen verfügt und zuletzt als lokaler Emir einer in Dagestan operierenden Gruppe fungiert hatte, die dem mutmaßlich von Dokku Umarov geführten "Kaukasischen Emirat" zuzurechnen ist. Da ihm die Rückkehr nach Tschetschenien nicht gelang, entschloss er sich im Jahr 2012, zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend Tschetschenen, aber auch Angehörige westlicher Staaten, zur "Auswanderung" nach Syrien, um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzunehmen.

Im Februar 2013 trat Muslim Abu Walid in einer Videoveröffentlichung der von Umar ash-Shishani befehligten Gruppierung Katibat al-Muhajirin in Erscheinung, die sich später in Jaish al-Muhajirin wal-Ansar (JAMWA) umbenannte. Die Veröffentlichung enthielt einen Nachruf auf Abdallah ash-Shishani, der ein jihadistisches Ausbildungslager in der Umgebung von Latakia geführt hatte. Muslim Abu Walid wird darin als militärischer Kommandeur der tschetschenischen Brigade in Latakia vorgestellt. Zudem unterhielt Muslim Abu Walid enge Beziehungen zu Saifullah Al-Shishani, der sich im Juli 2013 mit einer unbekannten Anzahl mehrheitlich nordkaukasischer Kämpfer von Umar Al-Shishani und der JAMWA getrennt hatte, nachdem diese sich der Organisation "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) zugewandt hatten. Im Oktober 2013 vereinigte sich die von Muslim Abu Walid befehligte Junud al-Sham mit Saifullah Al-Shishani und seinen Anhängern sowie mit einer Gruppierung um Abu Musa Al-Shishani zu einer einheitlichen Organisation, die zwar eng mit anderen Organisationen wie Jabhat al-Nusra (der sich Saifullah Al-Shishani bereits im Dezember 2013 anschloss) und ISIG zusammenarbeitete, aber ihre Eigenständigkeit bewahrte. So bezeichnete sich Muslim Abu Walid in einer am 30. Juni 2014 über Twitter veröffentlichten Audiobotschaft als Emir einer eigenen Gruppe, die sich schon seit zwei Jahren in Syrien aufhalte und auch Kämpfer aus Deutschland in ihren Reihen habe.

Ziel der Junud al-Sham ist es, an der Seite der "Brüder" gegen die "Ungläubigen" in Syrien zu kämpfen, diese zu vernichten und in der Region einen islamistischen Gottesstaat zu errichten. Ihre Selbständigkeit will die Vereinigung dabei jedenfalls solange bewahren, bis aus den Kämpfen ein neuer Emir hervorgeht, der für die gesamte "Umma" zu sprechen legitimiert ist. Die Stärke der Organisation, die in Syrien auch ein Ausbildungslager für Jihadwillige aus aller Welt unterhält, wird derzeit auf bis zu 1.500 Kämpfer geschätzt. Im August 2013 beteiligte sich Junud al-Sham an den Kämpfen gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin nahe Latakia. Im Februar 2014 nahm sie gemeinsam mit Jabhat al-Nusra am Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil; an dieser Operation wirkte wiederum auch Ahrar al-Sham mit. Außerdem war sie beteiligt im März 2014 an der Einnahme der Stadt Kasab sowie im April 2015 an der Eroberung der Stadt Jisr al-Shughur.

b) Die Tathandlungen des Angeklagten

Der Angeklagte wandte sich im Alter von etwa 18 Jahren verstärkt dem Islam zu und radikalisierte sich ab den Jahren 2011/2012 zunehmend. Er versteht den bewaffneten Jihad als religiöse Verpflichtung und legitimes Mittel zur gewaltsamen Durchsetzung einer radikal-fundamentalistischen Glaubensrichtung. Mit seiner Lebensgefährtin S. hat er eine gemeinsame Tochter; diese hat außerdem zwei Söhne.

Der Angeklagte trug sich jedenfalls seit Februar 2014 mit dem Gedanken, mit seiner Lebensgefährtin nach Syrien auszureisen, um dort am bewaffneten Kampf auf Seiten einer jihadistischen Gruppierung teilzunehmen. Im Juni 2014 nahm er zunächst Kontakt zu einem Mitglied des ISIG auf; sodann kam es zu mehreren Telefonaten mit A. (im Folgenden: A. ), der Mitglied der Junud al-Sham und in diesem als Vertrauter von Muslim Abu Walid dafür zuständig ist, neue Rekruten zu werben und deren Reise nach Syrien sowie die Eingliederung in die Gruppierung zu organisieren. Dies war dem Angeklagten bekannt. In der Folgezeit reiste S. mit ihren drei Kindern nach Syrien; sie hält sich seitdem in einem von der Junud al-Sham kontrollierten Gebiet auf. Für den 27. Juni 2014 war die Ausreise des Angeklagten nach Syrien geplant. Sie scheiterte daran, dass die türkischen Behörden ihn nach Belgien zurückschoben. Im August 2014 versuchte der Angeklagte erfolglos, auf dem Landweg über Bulgarien und die Türkei Syrien zu erreichen. In der Folgezeit bemühte er sich fortlaufend um neue Reisemöglichkeiten. Zuletzt plante er im Mai 2015, mit einem gefälschten Reisedokument nach Syrien zu gelangen. Zweck und Ziel der beabsichtigten Ausreise war die Teilnahme am bewaffneten Kampf in den Reihen der Junud al-Sham. Am 29. Mai 2015 schickte der Angeklagte dem A. mittels Telegram die ernst gemeinte Nachricht, es sei ihm eine Ehre, Personenschützer des Muslim Abu Walid zu sein. Auf Aufforderung des A. sandte er diesem Bilder, die seine körperliche Geeignetheit für diese Aufgabe dokumentieren sollten.

2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den umfangreichen Ergebnissen der Telekommunikationsüberwachung. Diese belegen u.a., dass der Angeklagte sich gegenüber A. bereit erklärte, nach Syrien zu reisen und dort als Personenschützer des Emirs der Junud al-Sham tätig zu werden. Dies wird indiziell bestätigt etwa durch die Bekundungen mehrerer Zeugen, darunter diejenigen des Zeugen O. und der Zeugin R. . Daneben belegen weitere Zeugenaussagen, Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes, Ergebnisse der Auswertung von sichergestellten EDVDatenträgern sowie Sachverständigengutachten, dass das Tatgeschehen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wie dargelegt zutrug. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sowie die in der Anklageschrift des Generalbundeanwalts aufgeführten Beweismittel verwiesen.

3. Danach erklärte sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit bereit, sich als Mitglied an der Junud al-Sham zu beteiligen, § 30 Abs. 2 Alternative 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB .

a) § 30 Abs. 2 Alternative 1 StGB ist auf den Verbrechenstatbestand der Beteiligung an einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung als Mitglied nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB anwendbar (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - StB 10/14, NJW 2015, 1032 , 1033). Allerdings folgt aus dem im Rahmen des § 30 StGB zu stellenden Erfordernis des Zusammenwirkens mehrerer, dass die bloße Kundgabe, ein Verbrechen begehen zu wollen, den Tatbestand des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB nicht erfüllt; vielmehr muss die Erklärung darauf gerichtet sein, sich gegenüber deren Adressaten zu binden, sei es in Form der Annahme einer durch diesen gemachten Aufforderung, sei es in Form eines aktiven Sicherbietens diesem gegenüber in der Erwartung, dass er dem Deliktsplan zustimmen werde. Diese beabsichtigte Selbstbindung macht es erforderlich, dass die Erklärung ernsthaft sein muss. Im Fall des Sichbereiterklärens zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung kommt Folgendes hinzu: Die Beteiligung als Mitglied setzt eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation und damit eine Beziehung voraus, die ihrer Natur nach der Vereinigung nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Die mitgliedschaftliche Beteiligung muss von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben getragen sein. Zwar schließt die Notwendigkeit einer Mitwirkung anderer an der Verbrechensbegehung die Variante des Sichbereiterklärens nicht aus. Die dargelegten deliktsspezifischen Besonderheiten sind jedoch auch im Vorbereitungsstadium des § 30 StGB zu beachten. Hieraus folgt, dass die erforderliche Selbstbindung erst und nur dann angenommen werden kann, wenn die Erklärung demjenigen gegenüber abgegeben wird, dessen Mitwirkung notwendig ist, im Falle der § 129a Abs. 1 , 2 und 4 , § 129b StGB mithin gegenüber einem Repräsentanten der terroristischen Vereinigung (BGH aaO mwN).

b) Diese Voraussetzungen sind gegeben.

Die Junud al-Sham ist als ausländische terroristische Vereinigung im Sinne der § 129a Abs. 1 Nr. 1 , § 129b Abs. 1 StGB anzusehen. A. war als mit wichtigen Aufgaben für die Organisation beauftragter Vertrauter des Emirs Muslim Abu Walid ein Repräsentant der Vereinigung, dem gegenüber eine Tathandlung nach § 30 Abs. 2 StGB begangen werden kann. Das Erklären der Bereitschaft des Angeklagten, als Personenschützer des Muslim Abu Walid tätig zu sein, war ernsthaft und inhaltlich darauf gerichtet, eingegliedert in die Organisation gewichtige Beteiligungshandlungen vorzunehmen.

4. Bei dem Angeklagten besteht aus den in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichthofs zutreffend dargelegten Gründen der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ). Die zu erwartende Strafe begründet einen erheblichen Fluchtanreiz. Seine Lebensgefährtin und seine Kinder befinden sich in Syrien. Der Angeklagte versuchte in der Vergangenheit mehrfach erfolglos, dorthin zu gelangen. Diese und die weiteren, in dem Haftbefehl aufgeführten Umstände begründen die Annahme, dass der Angeklagte sich, in Freiheit belassen, dem Verfahren entziehen wird. Daneben liegen die Voraussetzungen des Haftgrundes der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StGB vor. Weniger einschneidende Maßnahmen i.S.d. § 116 StPO kommen nicht in Betracht.

5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Die Auswertung der umfangreichen Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung wurde im August 2015 abgeschlossen, diejenige der am Festnahmetag sichergestellten Datenträger dauerte bis Anfang Oktober 2015 an. Mehrere wichtige Zeugen aus dem sozialen Umfeld des Angeklagten konnten erst nach Offenlegung des Ermittlungsverfahrens vernommen werden. Trotz dieses erheblichen Ermittlungsaufwandes hat der Generalbundesanwalt schon unter dem 30. Oktober 2015 Anklage erhoben. Das Oberlandesgericht hat das Zwischenverfahren zügig betrieben und bereits über deren Zulassung und die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Es beabsichtigt, im März 2016 mit der Hauptverhandlung zu beginnen. Nach alldem ist das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).