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BGH - Entscheidung vom 10.11.2016

I ZB 29/16

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 10.11.2016 - Aktenzeichen I ZB 29/16

DRsp Nr. 2017/432

Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss; Schuldhafte Versäumung der Frist für die Berufungsbegründung durch den Prozessbevollmächtigten; Ausgangskontrolle des rechtzeitigen Hinausgehens fristwahrender Schriftsätze in einem Anwaltsbüro

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Februar 2016 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 7.500 €

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 574 Abs. 2 ; GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I. Das Landgericht hat der Zahlungs- und Auskunftsklage der Klägerin mit Teilurteil vom 29. September 2015 teilweise stattgegeben. Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 1. Oktober 2015 zugestellte Urteil am 30. Oktober 2015 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2015, bei Gericht am selben Tag per Fax eingegangen, hat die Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2015, bei Gericht am selben Tag per Fax eingegangen, hat sie den Wiedereinsetzungsantrag sowie die Berufung begründet.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin vorgetragen:

Im Zuge der Einlegung der Berufung seien eine Berufungsakte angelegt und die auf den 23. November, 27. November und 1. Dezember 2015 notierte Vor-, Mittel- und Hauptfrist für die Berufungsbegründung aus der erstinstanzlichen Akte in die neu angelegte Akte übertragen worden. Am 23. November 2015 sei die Akte dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt worden, der sie wieder in das Sekretariat zurückverfügt habe. An jedem Donnerstag erhalte der Prozessbevollmächtigte morgens die Fristenliste für die kommende Woche ausgehändigt. In der ihm am 26. November 2015 vorgelegten Fristenliste habe der Prozessbevollmächtigte eine auf den 30. November 2015 zum vorliegenden Aktenzeichen notierte Frist zur Einzahlung eines Auslagenvorschusses sowie eine auf den 4. Dezember 2015 notierte Vorfrist für eine Verjährung mit einem "./." gekennzeichnet, die übrigen Fristen mit dem Vermerk "erl." markiert und die Liste am 27. November 2015 der Mitarbeiterin Frau S. ausgehändigt. In der Sozietät des Prozessbevollmächtigten bestehe die Anweisung, die noch nicht als erledigt oder unbeachtlich ausgetragenen Fristen zu überwachen und die jeweilige Akte am Morgen des Fristablaufs auf dem Schreibtisch des Rechtsanwalts unübersehbar bereit zu legen und ihn auch mündlich an die Einhaltung der Frist zu erinnern. Am 1. Dezember 2015 habe Frau S. entgegen dieser Anweisung die Akte weder am Morgen noch im Laufe des Tages dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt und ihn auch nicht auf den Fristablauf angesprochen. Am 2. Dezember 2015 sei dem Prozessbevollmächtigten die Fristversäumung aufgefallen, als er beiläufig einen Blick auf die Fristenliste des Sekretariats geworfen habe. Frau S. sei mit einer Unterbrechung von Januar 2004 bis März 2004 seit 1993 in der Sozietät des Prozessbevollmächtigten beschäftigt und erledige ihre Aufgaben uneingeschränkt zuverlässig. Während ihrer gesamten Tätigkeit sei es noch nicht vorgekommen, dass sie vergessen habe, am Tag des Fristablaufs die jeweilige Akte vorzulegen und den Rechtsanwalt an die Erledigung der Frist zu erinnern.

Nachdem der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2015 darauf hingewiesen hatte, dass eine wirksame Ausgangskontrolle es erfordere, am Ende eines jeden Arbeitstags zu prüfen, ob noch fristgebundene Sachen anstehen, machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11. Januar 2016 geltend, dass in seinem Büro auch eine Ausgangskontrolle gewährleistet sei. Fristen dürften erst gestrichen oder als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrenden Maßnahmen tatsächlich durchgeführt worden seien. Ferner sei im Zuge der Ausgangskontrolle zu prüfen, ob die Fristen eingehalten worden seien. Bereits aus dem Wiedereinsetzungsantrag ergebe sich, dass Frau S. sowohl die Vorlage der Akte als auch die Kontrolle der Fristen für diesen Tag versäumt und auch nicht geprüft habe, ob der fällige Schriftsatz gefertigt worden sei. Sie habe den gesamten Tag entgegen der Anweisung den Blick in den Fristenkalender unterlassen; dies erkläre die Versäumnisse bei der Aktenvorlage sowie der Prüfung des Kalenders am Abend.

Mit Beschluss vom 26. Februar 2016 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergebe sich nicht, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durch eine Anweisung für eine wirksame Ausgangskontrolle gesorgt habe, der zufolge die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft werde. Die Angaben im Schriftsatz vom 11. Januar 2016 seien nicht zu berücksichtigen, da ein Nachschieben von Wiedereinsetzungsgründen grundsätzlich ausgeschlossen sei. Nur erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, dürften nach Fristablauf noch erläutert oder vervollständigt werden. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall nicht vor.

II. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO , die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, sind nicht erfüllt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Der angefochtene Beschluss verletzt weder den Anspruch der Klägerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ).

2. Die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden gehindert, die Frist für die Berufungsbegründung einzuhalten. Ihr Prozessbevollmächtigter hat diese Frist schuldhaft versäumt; dessen Verschulden muss sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Rechtsanwälte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, die zuverlässig gewährleistet, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört eine Anordnung des Rechtsanwalts, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einem dazu beauftragten Mitarbeiter nochmals abschließend selbständig geprüft wird (st. Rspr.; vgl nur BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; Beschluss vom 9. Dezember 2014 - VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8; Beschluss vom 25. Februar 2016 - III ZB 42/15, WM 2016, 563 Rn. 10; Beschluss vom 6. April 2016 - VII ZB 7/15, NJW-RR 2016, 507 Rn. 10).

b) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Schriftsatz vom 4. Dezember 2015, mit dem er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat, nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er eine Ausgangskontrolle in der dargelegten Weise organisiert hat. Er hat lediglich glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß notiert wurde und seine Mitarbeiterin entgegen der in der Sozietät bestehenden Anweisung ihm weder am Morgen oder im Laufe des Tages die Akte vorgelegt noch ihn auf den Fristablauf angesprochen hat. Ausführungen zu den allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen in der Kanzlei für die Ausgangskontrolle waren in diesem Schriftsatz nicht enthalten.

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 11. Januar 2016 erstmalig Angaben zu einer Ausgangskontrolle gemacht hat, kann die Rechtsbeschwerde hierauf nicht gestützt werden. Nach § 234 Abs. 1 , § 236 Abs. 2 ZPO müssen alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der maßgeblichen Antragsfrist vorgetragen werden. Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, dürfen nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden. Später nachgeschobene Tatsachen, die nicht der Erläuterung oder Ergänzung fristgerecht geltend gemachter Wiedereinsetzungsvoraussetzungen dienen, müssen unberücksichtigt bleiben (BGH, Beschluss vom 12. Mai 1998 - VI ZB 10/98, NJW 1998, 2678 , 2679; Beschluss vom 5. Oktober 1999 - VI ZB 22/99, NJW 2000, 365 , 366; BGH, NJW-RR 2016, 507 Rn. 11). Danach ist der Inhalt des Schriftsatzes vom 11. Januar 2016 nicht zu berücksichtigen. Dieser hat neuen Tatsachenvortrag über allgemeine organisatorische Vorkehrungen für die Ausgangskontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten zum Gegenstand.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vom 4. Dezember 2015 nicht dahingehend zu verstehen, neben der Anweisung, die Akte am Morgen oder im Laufe des Tags des Fristablaufs vorzulegen, bestehe auch eine Fristenausgangskontrolle. Die zur Begründung der Wiedereinsetzung dargelegte Anweisung ging dahin, die Akte am Tag des Fristablaufs vorzulegen und den Rechtsanwalt auf den Fristablauf anzusprechen. Einen Bezug zur Ausgangskontrolle weist dieser Vortrag nicht auf. Er ist insoweit auch weder unklar noch erläuterungsbedürftig. Ebenso wenig enthielt der Vortrag eine Lücke, die auf Hinweis der Gegenseite noch nachträglich hätte beseitigt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1999 - VI ZB 22/99, NJW 2000, 365 , 366). Bei der im Schriftsatz vom 4. Dezember 2015 enthaltenen Begründung des Wiedereinsetzungsantrags handelte es sich um eine geschlossene Sachverhaltsdarstellung, die sich auf die Nichtbefolgung der Anweisung zur Aktenvorlage und Ansprache des Rechtsanwalts am Tag des Fristablaufs bezog und beschränkte.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: LG Wuppertal, vom 29.09.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 5 O 180/15
Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 26.02.2016 - Vorinstanzaktenzeichen I-17 U 7/16