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BGH - Entscheidung vom 02.06.2016

V ZB 26/16

Normen:
AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 5
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5

BGH, Beschluss vom 02.06.2016 - Aktenzeichen V ZB 26/16

DRsp Nr. 2016/15282

Rechtmäßigkeit einer Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko aufgrund des Haftgrunds der Fluchtgefahr

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Traunstein vom 22. Januar 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 2 Abs. 14 Nr. 5 ; AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 ;

Gründe

I.

Der Betroffene reiste, nachdem er wegen unerlaubter Einreise Ende November 2015 nach Österreich zurückgewiesen worden war, kurz darauf erneut unerlaubt nach Deutschland ein. Bei einer polizeilichen Kontrolle wurde er ohne Ausweisdokumente angetroffen. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2015 hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Marokko bis längstens 3. Juni 2016 angeordnet. Das Landgericht hat dessen Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 , § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG vor. Der Betroffene habe bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, dass er für den Fall einer Abschiebung nach Marokko nach Frankreich weiterreisen würde. Bei der richterlichen Anhörung habe er betont, dass er nicht in ein Flugzeug nach Marokko steigen würde. Die Haft dürfe über drei Monate hinaus angeordnet werden. Der Betroffene habe zu vertreten, dass die Abschiebung aufgrund der Dauer der Beschaffung von Passersatzpapieren voraussichtlich nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden könne. Er habe bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, seinen Pass dem Schleuser gegeben zu haben, nachdem dieser ihm gesagt habe, er solle den Pass wegwerfen, um bessere Chancen zu haben. Die dazu in Widerspruch stehende Angabe bei seiner richterlichen Anhörung, er habe den Pass dem Schleuser nur gegeben, weil dieser ihm gedroht habe, sei als unglaubwürdige Schutzbehauptung zu werten.

III.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Haftanordnung rechtsfehlerfrei auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 , § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG gestützt worden.

a) Nach § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG kann die ausdrückliche Erklärung des Ausländers, dass er sich der Abschiebung entziehen will, ein Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein. Eine solche Erklärung liegt vor, wenn der Ausländer klar zum Ausdruck bringt, dass er nicht freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen und sich vor allem auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten würde (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 33; Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 27/16, [...] Rn. 5).

b) Die tatrichterliche Schlussfolgerung auf die Entziehungsabsicht unterliegt einer Rechtskontrolle nur dahin, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen eine solche Folgerung als möglich erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2012 - V ZB 46/11, [...] Rn. 9 mwN). Mit der Rechtsbeschwerde kann nicht geltend gemacht werden, dass die Folgerungen des Tatrichters nicht zwingend seien oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso naheliegt.

Hieran gemessen bejaht das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei die Entziehungsabsicht. Es stellt zum einen darauf ab, dass der Betroffene bei seiner polizeilichen Anhörung am 3. Dezember 2015 angegeben hatte, dass er, wenn er nach Marokko abgeschoben werden solle, nach Frankreich weiterreisen würde. Zum anderen stützt sich das Beschwerdegericht auf die Angaben des Betroffenen bei dessen Anhörung am 17. Dezember 2015 durch den beauftragten Richter des Beschwerdegerichts. Dort hat er angegeben, dass er nicht in ein Flugzeug nach Marokko steigen würde. Das Beschwerdegericht hat diese Erklärung rechtsfehlerfrei dahingehend gewürdigt, dass der Betroffene sich einer Abschiebung in sein Heimatland nicht stellen und untertauchen würde, um sich in ein anderes Land abzusetzen. Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, das Beschwerdegericht habe die weitere Angabe des Betroffenen in der richterlichen Anhörung nicht hinreichend berücksichtigt, er werde im Fall seiner Entlassung Verwandte in Deutschland aufsuchen und nur für den Fall, dass sich diese nicht finden ließen und die Behörde es wolle, nach Frankreich gehen, greift sie die Würdigung des Beschwerdegerichts an, ohne einen Rechtsfehler aufzuzeigen.

2. Die Haft durfte über drei Monate hinaus angeordnet werden.

a) § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG lässt allerdings erkennen, dass im Regelfall die Dauer von drei Monaten nicht überschritten werden soll und eine Haftdauer von sechs Monaten (§ 62 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ) nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden darf (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 25/16, [...] Rn. 6; Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 396 Rn. 18 mwN). Eine über diesen Zeitraum hinausgehende Haftanordnung ist nur dann zulässig, wenn aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen die Abschiebung erst nach mehr als drei Monaten durchgeführt werden kann (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2012 - V ZB 305/10, [...] Rn. 27).

b) Ob ein Umstand, der zur Verzögerung der Abschiebung geführt hat, von dem Ausländer zu vertreten ist, ist eine Frage der Zurechnung, die nicht generell-abstrakt beantwortet werden kann, sondern unter Würdigung der gesamten Umstände zu entscheiden ist. Dabei hat der Ausländer auch solche Umstände zu vertreten, die, von ihm zurechenbar veranlasst, dazu geführt haben, dass ein Abschiebungshindernis überhaupt erst eingetreten ist (Senat, Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235 , 238 zu § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG ). Das kann der Fall sein, wenn der Ausländer einreist, ohne Ausweispapiere mit sich zu führen (vgl. § 3 Abs. 1 , § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ). Der Ausländer, der keine Ausweispapiere besitzt und der auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt, muss deshalb Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 20; Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 25/16, [...] Rn. 6).

c) So liegt es hier. Das Beschwerdegericht bejaht auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Ermittlungen ohne Rechtsfehler diese Voraussetzungen.

Der beauftragte Richter hat zwar nach der Anhörung des Betroffenen den Hinweis erteilt, dass dessen Angabe, er habe den Reisepass dem Schleuser gegeben, weil dieser ihm mit Gewalt gedroht habe, kaum zu widerlegen sein dürfte. Das hinderte das Beschwerdegericht aber nicht an einer anderen rechtlichen Würdigung. Es hat ohne Rechtsfehler auch die Angabe des Betroffenen in der zeitnah durchgeführten polizeilichen Vernehmung in die Würdigung einbezogen. Im Rahmen dieser Vernehmung hat der Betroffene nicht erklärt, von dem Schleuser bedroht worden zu sein. Er hat vielmehr angegeben, seinen Pass dem Schleuser ausgehändigt zu haben, weil dieser ihm erklärt habe, es verbessere seine Chancen, wenn er den Pass wegwerfe. Vor diesem Hintergrund durfte das Beschwerdegericht die dazu in Widerspruch stehenden späteren Angaben des Betroffenen bei seiner Anhörung durch den beauftragten Richter als Schutzbehauptung werten. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, es erscheine lebensnah, dass der Betroffene seinen Pass unter Androhung von Gewalt weggegeben habe, weil Schleuser regelmäßig ein Interesse daran hätten, dass die von ihnen geschleusten Menschen keine Ausweispapiere haben, handelt es sich um eine andere tatsächliche Würdigung; ein Rechtsfehler des Beschwerdegerichts ergibt sich daraus nicht.

3. Der aus der Sicherungshaft gestellte Asylantrag hinderte die Fortdauer der Abschiebungshaft nicht. Zwar hätte der Betroffene gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrags aus der Haft entlassen werden müssen. Aufgrund der Mitteilung der beteiligten Behörde an das Beschwerdegericht ist davon auszugehen, dass der Asylantrag erst am 11. Januar 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eingegangen und deshalb die Frist von vier Wochen bei der Entscheidung des Beschwerdegerichts noch nicht abgelaufen war. Eine weitere Nachfrage des Beschwerdegerichts zu dem Datum des Eingangs des Asylantrags war nicht veranlasst, denn die Mitteilung der Behörde war auf die Auskunft des BAMF gestützt. Dass der Antrag tatsächlich früher bei dem BAMF eingegangen war, legt die Rechtsbeschwerde nicht dar.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG , die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Vorinstanz: AG Laufen, vom 04.12.2015 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 44/15
Vorinstanz: LG Traunstein, vom 22.01.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 4350/15