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BGH - Entscheidung vom 13.07.2016

IV ZR 329/15

Normen:
ZPO § 552a S. 1
VVG a.F. § 5a Abs. 2 S. 4

Fundstellen:
VersR 2016, 1169
r+s 2016, 608

BGH, Beschluss vom 13.07.2016 - Aktenzeichen IV ZR 329/15

DRsp Nr. 2016/13494

Fortbestand des Widerspruchsrechts des Versicherungsnehmers nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung; Fehlende ordnungsgemäße Belehrung über das Recht zum Widerspruch

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. Juni 2015 wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 871,08 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 552a S. 1; VVG a.F. § 5a Abs. 2 S. 4;

Gründe

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten (Versicherer) war gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Senat hat die Parteien mit Beschluss vom 23. März 2016 auf die beabsichtigte Zurückweisung hingewiesen. Auf die dortigen Gründe wird ergänzend Bezug genommen. Der Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 10. Mai 2016 gibt keine Veranlassung, von der Zurückweisung der Revision abzusehen.

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist ein Widerspruchsrecht d. VN nicht selbst dann ausgeschlossen, wenn man die Widerspruchsbelehrung - wegen fehlenden Hinweises auf die erforderliche Textform - als fehlerhaft ansieht. Dies folgt nicht, wie die Revision meint, aus § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. Diese Vorschrift bestimmte zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse - abweichend vom Wortlaut - richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Etwas anderes gilt hier entgegen der Ansicht der Revision nicht deshalb, weil bei Abschluss des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages bereits die Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen in Kraft getreten war, durch welche die Zweite und die Dri tte Richtlinie Lebensversicherung, die in dem Verfahren IV ZR 76/11 noch ma ßgeblich waren, ersetzt wurden. Ob gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2002/83/EG gegenüber einem gewerblichen Versicherungsmakler, der sich selbst einen Vertrag vermittelt h at, ein Lösungsrecht ausgeschlossen werden kann, weil er "aufgrund seines Status" des besonderen Schutzes nicht bedarf, braucht hier nicht entschieden zu werden. Dies kommt allenfalls dann in Betracht, wenn ein solcher Versicherungsmakler über die Einzelheiten des Widerspruchsrechts genau informiert war. Wie im Hinweisbeschluss (Rn. 19 f.) ausgeführt, musste das Berufungsgericht nicht als unstreitig zugrunde legen, dass d. VN die Modalitäten der Ausübung des Widerspruchsrechts bei Abschluss des Versicherungsvertrages bekannt waren. Das Berufungsgericht konnte aufgrund der Anhörung d. VN insbesondere nicht feststellen, dass er bei Vertragsschluss wusste, wann die Widerspruchsfrist begann.

2. Die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ist auch nicht, wie im Hinweisbeschluss (Rn. 23 ff.) dargelegt, allein aufgrund des Zeitablaufs verwirkt, weil das erforderliche Umstandsmoment nicht erfüllt ist. Auch insoweit genügt es entgegen der Ansicht der Revision nicht, dass es sich bei d. VN um einen gewerbsmäßigen Versicherungsmakler handelte. Der Versicherer verweist ohne Erfolg darauf, er habe im Gegenzug für die Provisionszahlungen erwarten dürfen, dass die Versicherungsinteressenten (auch) durch d. VN als Makler ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht aufgeklärt würden. Dabei verkennt er, dass er - und nicht der Versicherungsmakler - für die ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung verantwortlich war. Dies gilt auch dann, wenn sich - wie hier ein Versicherungsmakler selbst eine Versicherung vermittelte und nicht wusste, wann die Widerspruchsfrist begann. Das Wissensdefizit hinsichtlich der Voraussetzungen des Fristbeginns konnte nicht, wie die Revision meint, durch die übrigen Angaben in der Widerspruchsbelehrung ausgeglichen werden, zumal d. VN nicht auf die nötige Textform des Widerspruchs hingewiesen worden war. Dass d. VN das Formerfordernis kannte, ist, wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, nicht festgestellt worden. Mit Blick darauf musste das Berufungsgericht auch die Inanspruchnahme des Policendarlehens nicht als vertrauensbegründenden Umstand werten. Dafür reicht es nicht, wie die Revision einwendet, dass tatrichterlich nicht festgestellt ist, dass d. VN im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Darlehens keine Kenntnis von seinem Widerspruchsrecht hatte. Eine solche Kenntnis hätte d. VN mit der Widerspruchsbelehrung und nicht irgendwann später auf anderem Weg vermittelt werden müssen.

Aus den genannten Erwägungen kann d. VN auch keine widersprüchliche und deshalb treuwidrige Rechtsausübung angelastet werden.

Vorinstanz: LG Köln, vom 21.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 26 O 177/14
Vorinstanz: OLG Köln, vom 12.06.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 25/15
Fundstellen
VersR 2016, 1169
r+s 2016, 608