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BGH - Entscheidung vom 16.03.2016

IV ZR 457/14

Normen:
BGB § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt.
VVG a.F. § 5a

BGH, Urteil vom 16.03.2016 - Aktenzeichen IV ZR 457/14

DRsp Nr. 2016/6117

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrags; Abschluss eines Versicherungsvertrags nach dem Policenmodell; Prämienrückerstattungsbegehren des Versicherungsnehmers aus ungerechtfertigter Bereicherung

Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 25. April 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 3.634,21 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Normenkette:

BGB § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt.; VVG a.F. § 5a;

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Lebensversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1999 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Mit Schreiben vom 29. Juli 2008 erklärte d. VN unter anderem den Widerspruch nach § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung des Vertrages; der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 10. Juni 2011 erklärte d. VN erneut unter anderem den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revisio n verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Es hat offengelassen, ob die Widerspruchsbelehrung im Policenbegleitschreiben vom 27. Januar 2000 ordnungsgemäß, insbesondere drucktechnisch deutlich hervorgehoben erfolgte. Der Versicherungsvertrag sei jedenfalls gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

II. Die Revision ist begründet.

1. Ein - mit der Revision allein weiterverfolgter - Anspruch d. VN auf Prämienrückzahlung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der von d. VN erklärte Widerspruch - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen ist.

aa) Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob d. VN mit dem Schreiben vom 27. Januar 2000 eine drucktechnisch ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung übersandt wurde. Für das Revisionsverfahren ist es daher zu unterstellen, dass d. VN keine drucktechnisch deutlich gestaltete Widerspruchsbelehrung erteilt wurde. Aus der bei den Gerichtsakten befindlichen Reproduktion des Schreibens ist eine drucktechnische Hervorhebung der Widerspruchsbelehrung nicht ersichtlich. Über die von der Revisionserwiderung in Bezug genommene und von d. VN ausdrücklich bestrittene Behauptung des Beklagten, die Belehrung sei durch Fettdruck im Originalschreiben hervorgehoben, wird das Berufungsgericht gegebenenfalls Beweis zu erheben haben (vgl. zur Beweislast: Senatsurteil vom 27. Januar 2016 - IV ZR 488/14, [...] Rn. 12).

Soweit die Revisionserwiderung auf den Senatsbeschluss vom 30. Juli 2015 ( IV ZR 63/13, [...]) zur Ordnungsgemäßheit der Widerspruchsbelehrung verweist, ist dieser hier nicht einschlägig, weil in einem Verfahren die drucktechnische Hervorhebung der Belehrung nicht streitig war.

Für den Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Drit ten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die hilfsweise Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.).

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nu r eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemes sen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 ( IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 ( IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 31 ff.) zu beachten haben.

Verkündet am: 16. März 2016

Vorinstanz: AG Berlin-Pankow-Weißensee, vom 21.12.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 2 C 315/11
Vorinstanz: LG Berlin, vom 25.04.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 23 S 7/12