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BGH - Entscheidung vom 27.04.2016

IV ZR 226/14

Normen:
VVG § 5a Abs. 2 S. 4

BGH, Urteil vom 27.04.2016 - Aktenzeichen IV ZR 226/14

DRsp Nr. 2016/9015

Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer kapitalbildenden Lebensversicherung

Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 3.257,70 € festgesetzt.

Normenkette:

VVG § 5a Abs. 2 S. 4;

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer kapitalbildenden Lebensversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Juni 1999 nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Mit Schreiben vom 24. Juni 2002 kündigte d. VN den Vertrag; der Versicherer zahlte den Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 erklärte d. VN den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F.

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits erbrachten Zahlungen.

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Der Versicherer habe zwar nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt, weil eine Widerspruchsbelehrung mit Übersendung des Versicherungsscheins nicht erteilt wurde. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden .

II. Die Revision ist begründet.

1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. E r ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Versicherungsvertrag im sogenannten Policenmodell geschlossen worden, weil nicht festgestellt werden konnte, dass d. VN bei Antragstellung auch die Verbraucherinformationen erhalten hat. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung belegt dies die Bestätigung im Versicherungsantrag gerade nicht. Es ist daher revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aus der unterbliebenen Reaktion des Klägers auf die später im Versicherungsschein enthaltene Information, ihm sei bei Antragstellung eine Verbraucherinformation ausgehändigt worden, keine Schlüsse gezogen hat (vgl. auch Senatsurteil vom 23. September 2015 - IV ZR 227/14, [...] Rn. 14). D. VN hat zu diesem Vertrag unstreitig eine Widerspruchsbelehrung nicht erhalten, so dass keine ordnungsgemäße Belehrung im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG erfolgt ist.

Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 ( IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die vorherige Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.).

cc) Das Widerspruchsrecht des Klägers ist auch nicht entsprechend den Regelungen des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften und des Verbraucherkreditgesetzes nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung mit Auszahlung des Rückkaufswertes erloschen (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 27. Januar 2016 - IV ZR 488/14, [...] Rn. 19).

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Der Rückgewähranspruch war bei Erhebung der Klage im Dezember 2010 noch nicht verjährt. Die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB konnte erst mit Schluss des Jahres 2009 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).

3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46) und dabei auch die Vorgaben der Senatsurteile vom 29. Juli 2015 ( IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 36 ff.; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 34 ff.) sowie vom 11. November 2015 ( IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 31 ff.) zu beachten haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 27. April 2016

Vorinstanz: LG Aachen, vom 27.01.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 586/10
Vorinstanz: OLG Köln, vom 02.05.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 36/12