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BGH - Entscheidung vom 21.06.2016

5 StR 194/16

Normen:
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 21
StGB § 49 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 21.06.2016 - Aktenzeichen 5 StR 194/16

DRsp Nr. 2016/13257

Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung im Falle einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit; Uneingeschränkte Vorwerfbarkeit einer Trunkenheit; Wertung der Alkoholaufnahme als nicht schulderhöhenden Umstand

1. Eine Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21 , 49 Abs. 1 StGB kommt im Falle einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit nicht in Betracht, wenn diese dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist und nicht auf einer Alkoholkrankheit beruht.2. Eine Alkoholerkrankung liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit einschränkt, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 9. Februar 2016 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO ).

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 4 ; StGB § 21 ; StGB § 49 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO .

1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21 , 49 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21 , 49 Abs. 1 StGB kommt im Falle einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit in Betracht, wenn diese auf einer Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist jedoch dann nicht uneingeschränkt vorwerfbar, wenn der Täter alkoholkrank oder -überempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als schulderhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit einschränkt, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. August 2012 - 3 StR 216/12, NStZ 2012, 687 , und vom 15. September 2015 - 5 StR 341/15).

b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen es als möglich erscheinen, dass eine derartige Alkoholerkrankung des Angeklagten zum Zeitpunkt der Alkoholaufnahme gegeben war. Im Urteil ist festgestellt, dass der Angeklagte schon seit Jahrzehnten Alkohol im Übermaß konsumiert. Bis zu seiner Entlassung aus der Sicherungsverwahrung im November 2011 nahm er jahrelang an Treffen der Anonymen Alkoholiker teil. Seine Bemühungen, sein Alkoholproblem aufzuarbeiten, blieben allerdings stets erfolglos. An das ihm nach seiner Entlassung aus der Sicherungsverwahrung im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Alkoholverbot hielt er sich nicht, sondern trank weiterhin regelmäßig und in erheblichem Maße, insbesondere Bier und Schnaps. Auch zur Tatzeit betrug seine Blutalkoholkonzentration 2,8 Promille. Überdies kommen nach den Angaben des psychiatrischen Sachverständigen beim Angeklagten zu seiner möglicherweise gegebenen Alkoholabhängigkeit hirnorganische Beeinträchtigungen und eine dissoziale Persönlichkeitsstruktur hinzu. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich das Landgericht im Rahmen der Prüfung einer Strafrahmenmilderung nach §§ 21 , 49 Abs. 1 StGB mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob dem Angeklagten aufgrund einer Alkoholerkrankung sein Alkoholkonsum uneingeschränkt vorgeworfen werden kann.

2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei rechtsfehlerfreier Erörterung eine Strafrahmenmilderung nach §§ 21 , 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hätte. Der Strafausspruch hat daher keinen Bestand. Dies zieht die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach sich, da diese untrennbar mit den Feststellungen zum Strafausspruch und der Höhe der Freiheitsstrafe verbunden ist. Die Sache bedarf daher zum gesamten Rechtsfolgenausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.

Vorinstanz: LG Lübeck, vom 09.02.2016